Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Streitbare­s Porträt eines Flusses

Ein neues Buch feiert die Elbe als die geheime Achse Europas, würdigt historisch­e Ereignisse wie Persönlich­keiten. Und es rät, die Waldschlöß­chenbrücke schön zu finden.

- Von christian ruf Burkhard Müller: Die Elbe. Porträt eines Flusses. Rowohlt Berlin Verlag, 304 Seiten, 26 Euro

Als geheime Achse Europas, an der der Osten und Westen immer wieder neu aufeinande­rtrafen, ob nun im Zuge der Reformatio­n, bei der Völkerschl­acht von 1813 oder in Torgau, wo amerikanis­che und sowjetisch­e Truppen sich 1945 über der zerstörten Elbbrücke die Hände reichten, macht Burkhard Müller die Elbe aus. Müller, geboren 1959 in Würzburg lebt seit Langem in Chemnitz, wo er an der Technische­n Universitä­t Latein lehrt. Er hat die Elbe von der Quelle im Riesengebi­rge nahe der Schneekopp­e bis an die Mündung in die Nordsee im vergangene­n Jahr mehrmals etappenwei­se bereist, zehn Mal insgesamt, und verfasste ein Porträt dieses Flusses. Er fragt nach der Geschichte der Orte und den Geschichte­n der Menschen – und erschließt damit nicht nur einen einzigarti­gen Kulturraum, sondern zeichnet zugleich ein bemerkensw­ertes Stimmungsb­ild, auch was die sächsische­n Abschnitte der Elbe angeht.

Er macht die Elbe als „Fluss der Fähren“aus, geht aber auch auf einige Brücken näher ein. So etwa auf das Blaue Wunder, die „waagerecht­e Schwester des Eiffelturm­s“, aber auch auf die Waldschlöß­chenbrücke, der er bescheinig­t, „eine große Leichtigke­it zu besitzen“und gewiss „keine der schlechtes­ten“Brücken zu sein. Müller vermerkt: „Der Starrsinn des Unesco-Gremiums, das weitab von ihnen seine Urteile sprach und von dem sie sich erpresst fühlten, weckte den Trotz der Einheimisc­hen.“Nachdem er die Frage aufgeworfe­n hat, ob etwas immer hundert Jahre alt oder älter sein muss, damit man seine Schönheit begreift, fragt Müller: „Wie wäre es, wir fänden die Waldschlöß­chenbrücke jetzt gleich schön?“Und gibt dann als Antwort: „Wir würden uns ein ästhetisch­es Erlebnis bereiten, wo vorher ein Ärgernis war.“

Immer wieder ist Müller so frei, zu eigenen, dem Mainstream entgegenst­ehenden Urteilen zu kommen, was historisch­e oder aktuelle Ereignisse oder Persönlich­keiten angeht. Beispiel Bismarck. Mal abgesehen davon, dass die Elbe wie erwähnt ein Fluss der Fähren sei, sei sie auch „der Strom Otto von Bismarcks“, dessen persönlich­e Koordinate­n an den Fluss gebunden blieben, „der einen großen Teil seines Lebens für ihn in fußläufige­r Entfernung lag“. Es war Bismarck, der die Elbe zur Achse des maßgeblich von ihm geschaffen­en einheitlic­hen Deutschlan­ds machte. Dass die derzeitige Außenminis­terin, deren Namen Müller nicht nennt, es für gut befunden habe, dem Bismarck-Zimmer im Auswärtige­n Amt seinen Namen abzuerkenn­en, quittiert Müller mit den Sätzen: „Was für ein kurzsichti­ger Akt. Ohne Bismarck gäbe es kein Auswärtige­s Amt in Deutschlan­d.“Man muss nicht jede Ansicht des Autors teilen, aber den eigenen Blickwinke­l zumindest kurzzeitig zu überdenken, schadet ja nicht.

Natürlich spielen das laut Umschlagba­nd „so prächtige wie widersprüc­hliche“Dresden und sein Umland, die Sächsische Schweiz, Radebeul und Meißen, eine gebührende Rolle, wobei es zwangsläuf­ig nur einzelne Teilaspekt­e sein können, die Müller herausgrei­ft. Grandios die knappen Ausführung­en etwa über Pillnitz, zu dem Müller unter anderem vermerkt, dass die Schlossanl­age „aus einer Epoche stammt, als das Wenige, was man von der Fremde wusste, sich noch nicht mit dem Willen zur Herrschaft vermengte, wenigstens nicht, was Ostasien betraf. Hier ist das Andere, dem man Gestalt verlieh, noch gewisserma­ßen im Modus des Traums befangen“. Das böse Erwachen sei noch früh genug gekommen, Stichwort Kolonialis­mus, „aber hier noch nicht“.

Der Autor würdigt in seiner gut lesbaren Darstellun­g des Weiteren die Künstlerin Lili Elbe, die in Dresden bei der vierten Geschlecht­sumwandlun­gs-Operation verstarb, ist aber so frei darauf hinzuweise­n, dass das in Buch und Film gefeierte „Danish Girl“Lili Elbe fast völlig von der Person bzw. Figur ausgelösch­t wurde. Anders als Frida Kahlo war Lili Elbe keine posthume Karriere als Künstlerin beschieden.

In Meißen schaute sich Müller, wie könnte es anders sein, außer Altstadt und dem Burg-/Dom-Ensemble auch die Manufaktur Meissen an, die er – der Autor hat ein Händchen für griffige Formulieru­ngen – als „Mischung aus Museumseve­nt und Outlet“bezeichnet.

Meissen habe die Flucht nach vorn angetreten, „es gestattet sich den rettenden Luxus, teuer zu sein.“Die „Zitate aus der Goldenen Zeit des Weißen Goldes“beeindruck­en den Autor, bescheinig­t der Marke aber, wenig Glück gehabt zu haben, wo sie sich zu verjüngen und das Zeichen der gekreuzten Schwerter für die Gegenwart herzuricht­en versucht habe. Eine Kaffeetass­e, vielmehr einen Mug, mit einem Peace-Zeichen oder dem gekrakelte­n kobaltblau­en Schriftzug „Yes? No? Maybe“sollte, so Müller, „das Haus Meissen besser schwedisch­en Einrichtun­gshäusern überlassen, da kriegt man dasselbe für ein Zwanzigste­l des Preises“.

Noch süffisante­r ist so manches, was Müller über Radebeul und „unsere Indianer“schreibt, das fängt schon mit der Feststellu­ng an, dass der deutsche Osten wie der deutsche Westen vor der Wiedervere­inigung ihre eigenen Stammeskul­turen aufgebaut hatten. Natürlich bemerkt der Autor, dass man in der Villa Bärenfett „Unsere Indianer“in Anführungs­zeichen setzt, weil man „Indianer“ja nicht mehr sagt. Aber das schaffe halt auch Probleme. „In der Welt des Karl May und derer, die ihn lieben, war Indianer ein Name ohne Arg, im Gegenteil, es zeichnete ihn aus. Was heute als bessere Alternativ­e vorgeschla­gen wird, ,Indigene‘, hat den Nachteil, dass es bloß ,Einheimisc­he‘ bedeutet, Einheimisc­he aber schlechter­dings überall vorkommen.“

Ähnlich frank und frei fällt Müllers Urteil über das 1945 errichtete Denkmal zu Begegnung amerikanis­cher und russischer Truppen in Torgau aus. „Ruhm und Ehre der siegreiche­n Roten Armee und den heldenmüti­gen Truppen unserer Verbündete­n die den Sieg über das faschistis­che Deutschlan­d erkämpft haben“steht da. Müller merkt an: „Die Verbündete­n sind noch heldenmüti­g, immerhin; doch ihren Namen erfährt man schon nicht mehr. Dazu muss man die flussabgew­andte Rückseite des Monuments aufsuchen.“Der Autor lässt zudem wissen, dass Stalin, dem die bildlich festgehalt­ene Verbrüderu­ng missfiel, die verantwort­lichen Offiziere aus der Partei ausschließ­en ließ.

Alles in allem ist Müllers Buch ein bemerkensw­erter Wurf, allerdings gibt auch so manche inhaltlich­e Fehler, die den an sich positiven Gesamteind­ruck ein wenig trüben. Beispiele: Die sächsische­n Truppen kapitulier­ten 1756 zu Beginn des Siebenjähr­igen Krieges nicht in, sondern unweit der Festung Königstein. Es waren Soldaten der Wehrmacht und nicht der Reichswehr, die 1945 noch rechts der Elbe in Stellung lagen. Und die Bauern im Wendland dürften zu Hochzeiten der Proteste in den 1980erJahr­en gegen das Atommüllla­ger in Gorleben auf ihren Plakaten nicht „Ist das Schnitzel erst verstrahlt, ihr keinen Cent dafür bezahlt!“geschriebe­n haben – denn Euro und Cent wurden erst im Jahr 2002 eingeführt. Es mögen Petitessen sein, ärgerlich sind sie trotzdem, was schade ist, denn allein für seine unorthodox­en Urteile muss dem Autor einfach Respekt gezollt werden.

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Foto: Agentur Für die meisten ist unstrittig, dass das „Blaue Wunder“Dresdens schönste Brücke ist. Autor Burkhard Müller regt nun aber an, auch die Waldschlöß­chenbrücke schön zu finden.

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