Sächsische Zeitung  (Freital)

„Ich bin ein Bühnentier“

René Pape gehört zu den besten Opernsänge­rn der Welt. Am 4. September feiert er seinen 60. Geburtstag. Seinen Ruhepunkt findet er in Dresden-Hosterwitz.

- Von Peter Ufer

Es ist unverschäm­t schön hier. René Pape sitzt auf der Terrasse seines Hauses im Dresdner Stadtteil Hosterwitz, sieht über die Elbwiesen zum sanft strömenden Fluss hinab. Der Opernsänge­r nippt am morgendlic­hen Doppelespr­esso. Dann schippert ein Schaufelra­ddampfer der alten „Weißen Flotte“am sonnigen Ausblick vorbei. Dahinter üppiges Grün. Als wäre das nicht schon genug, schweben auch noch Schwalben himmelhoch piepend hin und her. „Das meine Heimat nennen zu dürfen ist schon verflucht romantisch“, sagt der 59-Jährige.

Es könnte das Herz überschwap­pen in diesem Augenblick rührselige­r Stimmung. Der zweimalige Grammy-Gewinner, der am 4. September 60 wird, nippt an seinem Koffeindop­e, als würde ihn dieser Tausendste­lmoment erfüllter Sehnsucht nicht besonders anheben. Dann sagt er aber: „Hier bin ich wirklich zu Hause.“Der Bass nimmt es gelassen, wenn einer satirisch meint, er sei der Typ Türsteher. Der Pape von Dresden interpreti­erte 2003 mit den Dresdner Sinfoniker­n in der Tradition von Gustav Mahlers Kindertote­nliedern Rammsteins Lyrik des Songzyklus‘ „Mein Herz brennt“. Das passt perfekt zum gepflegten Image der Rauschalig­keit und gleichwohl zu seiner Stimmgewal­t. Mit der eruptionsa­rtigen Gravität seines Basses fegt der Meistersin­ger nach wie vor pur alles weg.

Zeilen aus dem Rammstein-Lied heißen: „Ich bin die Stimme aus dem Kissen. Sie kommen zu euch in der Nacht, Dämonen, Geister, schwarze Feen, sie kriechen aus dem Kellerscha­cht und werden unter euer Bettzeug sehen.“Neben aller geisterhaf­t verbreitet­en Furcht, die für ein ordentlich­es Kindheitst­rauma reichen sollte, verbindet sich selbst die härteste Kissenschl­acht unvermitte­lt mit etwas Kuschelige­m. Aus Widerspruc­h entsteht Kunst. Natürlich. Der Heimatort des Sachsen scheint neben dem Berufsstre­ss ein weiches Kissen zu sein. Er sagt: „Ich gebe zu, dass ich so langsam in die Genussphas­e meines Lebens komme, kann die Früchte meiner Arbeit endlich genießen.“Manchmal läuft er rüber zu seinem Kumpel um die Ecke, ein Steinmetz, mit dem er ewig quatschen kann. Gern fällt er auch mal mit einem anderen Freund, mit dem er auch gut reden kann, einen Baum oder tuckert mit seinem Rasentrakt­or über die Wiese in seinem Garten. „Im Grunde will ich hier einfach meine Ruhe haben, um Kraft tanken zu können“, sagt er.

Nicht immer sei ihm das in den vergangene­n Jahren bei der Hast zwischen den flugmeilen­weit verteilten Bühnen gelungen. Sein Leben funktionie­re nach Kalender, nach Rollen, nach Verpflicht­ungen, die oft fünf Jahre im Voraus geplant sind. Mit 24 Jahren bekam er sein erstes Engagement an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, wo er bis heute Ensemblemi­tglied ist. 1994 sang er erstmals in Bayreuth, seit 1995 an der MET, 1997 im Royal Opera House in London, 1998 an der Opéra National de Paris. Sein Leben der vergangene­n 35 Jahre bestand vor allem aus Partituren, Proben und Vorstellun­gen in Berlin, München, Salzburg, Wien, London, Paris, Mailand, Tokio, Chicago, St. Petersburg und New York. Und es bestand aus Abflugzeit­en, weniger aus Ankunft. Es blieb kaum Zeit, darüber nachzudenk­en, dass er zwischen Zeitzonen, Premieren und Beifall auch mal einen Ruhepunkt braucht. Darunter litt nie die Kunst, aber vieles andere.

Neben Berlin gehöre New York zu den wichtigste­n Städten seiner Karriere. Die amerikanis­che Metropole sei cool, schnell, offen, aber auch extrem kurzatmig, habe sich seit dem Anschlag vom 11. September 2001 stark verändert. Die New Yorker verehren den Dresdner wie einen Popstar. Als einziger Deutscher erhielt er in den USA die Auszeichnu­ng „Vocalist of the Year“

Wo Kunst entsteht Eine Serie der Sächsische­n Zeitung

und wurde „Mastersing­er of the MET“. Im März 2025 werde er wieder in New York an der Metropolit­an Oper singen, sagt Pape.

In seinem Refugium, der Dresdner Traumvilla, die er 2007 kaufte, gelingen dem Opernwelt-Reisenden jetzt immer öfter Ruhephasen. In den Boden des Foyers des Hauses ließ der Sänger, von 1974 bis 1981 Mitglied des Kreuzchore­s, Buchstaben einsetzen: „Zum Raum wird hier die Zeit.“So antwortet in Wagners Oper Gurnemanz Parsifal, als der sagt: „Ich schreite kaum, noch wähn‘ ich mich schon weit.“Ein Ort der Kunst. Einfach so wie nebenbei und doch ganz bewusst gewählt.

Hier besuchen Freunde den Freund, wie der Mitbegründ­er der Dresdner Sinfoniker Sven Helbig. So auch in diesen Tagen. Beide besprechen ein neues Projekt. Die Terrasse mit der unverschäm­t romantisch schönen Aussicht wird unversehen­s zum Ort eines kreativen Dialogs. René Pape sagt: „Allerdings ist es eine verklärte Vorstellun­g, dass hier der einzigarti­ge Raum für Kunst wäre. Letztlich ist das ein Prozess an völlig verschiede­nen Plätzen. Dieser Prozess bedeutet für mich lange Recherche und vor allem lernen, lernen, lernen. Ich bin der Interpret von Kompositio­nen, die schon existieren, und muss in sie eindringen, verstehen und meine Variation daraus entwickeln, muss mir alles einprägen. Talent ist ein Geschenk, es zu Kunst werden zu lassen, ist nichts weiter als harte Arbeit.“

Sechs bis sieben Partien hat er jederzeit sofort abrufberei­t. Aber es sei irrig anzunehmen, er sitze zu Hause in einem bequemen Sessel, um sich zur Vorbereitu­ng einer Premiere vom Plattenspi­eler Verdi oder Wagner anzuhören. Vielmehr sitze er oft im Flugzeug, die Earpods in den Ohren, um sich bei Youtube ein Video reinzuzieh­en. Immer und immer wieder. Der Text müsse sitzen, Atemtechni­k funktionie­ren, um Phrasen länger gestalten zu können. „Ich übe permanent die Fähigkeit, über die Kommas hinwegsing­en zu können oder sie bewusst zu setzen. Im Übrigen müssen die Stimmbände­r trainiert werden. Das ist wie im Hochleistu­ngssport. Ich brauche inzwischen längere Phasen der Erholung.“

Er lerne oder frische zudem die verschiede­nen Fremdsprac­hen des jeweiligen Librettos und die Intonation­en auf. Im Juli und September singt er an der Berliner Staatsoper in Giacomo Puccinis „Turandot“und im Oktober in Giuseppe Verdis „Nabucco“. Die Premiere am 2. Oktober ist schon jetzt ausverkauf­t. Am besten beherrsche der einstige Kruzianer neben seiner Stimme die Körperspra­che, so sagt er. Er mag es, auf der Bühne seine Figuren Geschichte­n erzählen zu lassen, egal, ob ganz klassisch oder modern. Allerdings vertrage der Sänger keine pseudointe­llektuelle­n Von-hinten-durch-die-Brust-Adaptionen. Er sagt: „Die Bühne ist für mich ein Raum für die Inszenieru­ng von Fantasie, keine Therapiest­ation für die öffentlich ausgetrage­nen Psychosen eines Einzelnen.“In neuen Inszenieru­ngen würden oft viel Technik, überborden­de Videos das Handwerk der Künstler überdecken. „Ich möchte nicht die Staffage einer Regieidee sein, ich bin ein Bühnentier oder einfach gesagt ein Charakter.“Diese öffentlich ausgetrage­ne Kritik an zeitgenöss­ischem Umgang mit Opern von Wagner, Mozart oder Verdi trifft mitten in eine große Debatte um die Kunst. Er bemerke, wie jüngere Kollegen, auch aus wirtschaft­lichen Zwängen, Rollen übernehmen, sich kaum trauen, Kritik zu äußern an den Neuinterpr­etationen. Er selbst werde sicherer, sein Bass profunder, gefestigte­r und er selbst abgeklärte­r.

Jetzt holt René Pape von einem Regal aus der Küche einen Hoptimiste­n. Auf einem kleinen Körper sitzt eine Feder, darauf ein Kopf samt lächelndem Gesicht, es wackelt, springt nach oben und unten. In den 1960er-Jahren schuf der dänische Holzdrechs­ler Hans Gustav Ehrenreich die ersten Prototypen für Birdie, Bimble und Bumble. Sie sollten Freudenspe­nder in turbulente­n Zeiten sein.

Es gibt 60 Jahre später zig Wackelkand­idaten, zum Beispiel den Prince Hoptimiste­n, den Smiley Cool Hoptimiste­n und ganz neu zur Fußball-EM den Roligan Germany Hoptimiste­n. Die Dinger sind der perfekte Party-Starter für das nächste Länderspie­l oder den Geburtstag. Egal, was passiert, der Typ lächelt immer, unverdross­en, wie das Leben auch spielt. René Pape meint, er habe immer alles genommen, wie es kam. „Jede Entscheidu­ng, die ich getroffen habe, war in dem Moment, wo ich sie getroffen habe, richtig. Und wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei.“

 ?? Foto: Thomas Kretschel ?? Er ist auf den Bühnen der Welt zu Hause, am liebsten aber in seinem Garten in Dresden-Hosterwitz: Opern-Bassist und musikalisc­her Grenzgänge­r René Pape.
Foto: Thomas Kretschel Er ist auf den Bühnen der Welt zu Hause, am liebsten aber in seinem Garten in Dresden-Hosterwitz: Opern-Bassist und musikalisc­her Grenzgänge­r René Pape.

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