Sächsische Zeitung (Dresdner Meißner Land)
VW holt sich Hilfe beim E-Autobauer Rivian
Das strauchelnde amerikanische Unternehmen soll die SoftwareProbleme des deutschen Autoriesen lösen. Dafür macht Volkswagen Milliarden locker.
Volkswagen verbündet sich mit dem EAutohersteller Rivian, um sein größtes Problem in den Griff zu bekommen: Die Software des US-Unternehmens soll sich schon bald in Fahrzeugen des Wolfsburger Konzerns wiederfinden. Dafür bekommt das schwer angeschlagene US-Start-up eine Kapitalspritze aus Wolfsburg. „Durch unsere Zusammenarbeit werden wir die besten Lösungen schneller und zu geringeren Kosten in unsere Fahrzeuge bringen“, sagte VW-Chef Oliver Blume.
Damit reagiert Blume auf ein Dauerproblem, dass er schon beim Amtsantritt vor fast zwei Jahren vorgefunden hat: VW rennt seinen großen Ambitionen im Bereich Software hinterher. Der konzerneigene Spezialist Cariad kann die hochgespannten Erwartungen bisher nicht erfüllen. Es geht um Vernetzung der Fahrzeug-Multimedia-Systeme und automatisiertes Fahren. „Das Lastenheft wurde immer dicker“, heißt es in Konzernkreisen.
Die Folge sind zum Teil jahrelange Verzögerungen bei wichtigen neuen Automodellen und erhebliche Zusatzkosten. Blumes Vorgänger Herbert Diess wollte unter dem VW-Dach den zweitgrößten europäischen Softwarekonzern nach SAP schaffen und plante mit 10.000 Beschäftigten. Das Scheitern an der Umsetzung kostete ihn den Job.
Blume hat bescheidenere Pläne für die Cariad und sammelt stattdessen Expertise von außen ein. In China etwa hat sich VW am privaten E-Autohersteller Xpeng beteiligt, um sich dessen Digital-Know-how zu sichern. Der Rivian-Deal folgt dem gleichen
Muster: Im ersten Schritt wird sich Volkswagen mit einer Milliarde Dollar an Rivian beteiligen, zwei weitere Tranchen in gleicher Höhe sollen 2025 und 2026 folgen. Welcher Anteil am Ende dabei herauskommt, hängt von der Entwicklung des Rivian-Aktienkurses ab. Eine Mehrheit wird es nach Stand der Dinge nicht sein. „Es geht nicht darum, das Unternehmen zu übernehmen“, sagte ein Konzernsprecher. Zusammen mit Starthilfe für das Joint-Venture sind Investitionen von bis zu fünf Milliarden Dollar vorgesehen.
Außerdem werden beide Partner zu gleichen Teilen ein Gemeinschaftsunternehmen gründen, um mit Rivians Technologie neue Fahrzeuge zu entwickeln. Schon bevor die fertig sind, will Blume allerdings „kurzfristig“die bestehende Softwareplattform und Elektroarchitektur der Amerikaner nutzen. Ob und wie die Systeme zusammenpassen, ist nicht klar. Man habe die Kompatibilität in den vergangenen Monaten „überprüft“, teilt VW mit.
Börse feiert nur einen Teil des Deals
„Die Partnerschaft fügt sich nahtlos in unsere bestehende Software-Strategie, unsere Produkte und Kooperationen ein“, wird Blume zitiert. Tatsächlich aber sei es ein „harter strategischer Schnitt“, hieß es am Mittwoch in Aufsichtsratskreisen. So wird die zweite Version des VW-Betriebssystems in ein paar Jahren von Rivian kommen – auf völlig anderer technischer Basis als bisher geplant. Die sogenannte „zonale Architektur“von Rivian kommt mit relativ wenig Steuereinheiten aus. An diesem Ziel haben sich Volkswagens Softwareentwickler offenbar die Zähne ausgebissen.
Cariad behalte dennoch eine Schlüsselrolle, sagte ein Konzernsprecher. Dort gilt ohnehin eine Beschäftigungsgarantie bis 2029, aber es fehle auch weiter nicht an Aufgaben. Ein Teil der Beschäftigten dürfte allerdings in das neue Gemeinschaftsunternehmen mit Rivian wechseln. Auf der Arbeitnehmerseite werden akut keine zusätzlichen Einschnitte erwartet, „aber es ist die Frage, wie viele mittel- und langfristig betroffen sein werden“.
Für Rivian dagegen dürfte das Bündnis die Rettung sein. Das 2009 gegründete Unternehmen gilt zwar als zweitgrößter E-Autohersteller der USA, ist aber um viele Nummern kleiner als Tesla und macht hohe Verluste. Der Spezialist für Elektro-SUVs hat im vorigen Jahr 57.000 Autos gebaut. Das ist im VW-Konzern etwas mehr als eine Tagesproduktion. Rivian machte zwar 4,4 Milliarden Dollar Umsatz, konnte damit aber nicht einmal die Hälfte der Kosten decken, es blieben 5,4 Milliarden Dollar Verlust. Kooperationen mit Ford und Mercedes platzten, Amazon scheint das Interesse verloren zu haben. Der Internetriese nutzt Rivian-Fahrzeuge für die Auslieferung und ist mit 16 Prozent bisher größter Aktionär.
Nach Meinung von Experten hat das Unternehmen dennoch einiges zu bieten. „Volkswagens Investition bestärkt uns in der Meinung, dass Rivians Elektroarchitektur und Softwareplattform erheblichen Wert haben“, schreibt etwa Philippe Houchois vom Investmenthaus Jefferies in einer Analyse. Pedro Pacheco vom Marktforscher Gartner sieht „ein echtes Schnäppchen“– jedenfalls im Vergleich zu den Summen, die VW bisher für SoftwareEigenentwicklungen ausgegeben habe.
Auch bei VW ist wegen des zuvor stark gefallenen Rivian-Kurses von einem „günstigen Einstieg“die Rede. Die Kostenprobleme des Partners hält man dort für lösbar, entscheidend sei das Know-how.
An der Börse herrschte dagegen nur einseitige Begeisterung. Die VW-Aktie verlor am Mittwoch mehr als zwei Prozent, denn Anleger hatten gehofft, dass Blume das Softwareproblem ohne weitere Großinvestition in den Griff bekommen würde. Die Rivian-Rettung dagegen wurde gefeiert: Außerbörslich sprang der Kurs nach der Ankündigung um knapp 50 Prozent, zu Beginn des US-Handels am Mittwoch lag er immerhin noch 25 Prozent im Plus.