Modelle für die Ukraine
Trotz des Kriegs wollen acht ukrainische Städte klimaneutral werden. Dresdner Wissenschaftler unterstützen sie mit einem Millionen-Projekt.
Noch herrscht Krieg in der Ukraine. Noch bestimmen Luftalarm, Angst und Ungewissheit das Leben in vielen Städten des Landes. Die Zerstörung durch den Krieg stellt die Ukraine vor eine enorme Aufgabe. Sie muss die Infrastruktur wieder aufbauen – Wohnhäuser, Brücken, Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Betriebe. Wissenschaftler richten den Blick jedoch nicht nur auf die Beseitigung der Schäden. Das Land hätte die Möglichkeit auf eine nachhaltige und klimaneutrale Entwicklung ihrer Städte. Ein Projekt aus Dresden soll dabei helfen. Forscher der TU Dresden initiierten das EUProjekt „U_CAN. Ukraine towards Carbon Neutrality“. Bis 2028 erhält es fünf Millionen Euro aus dem europäischen Förderprogramm „Horizon Europe“.
An der TU Dresden gibt es seit einigen Jahren ein ganz besonderes Labor. „Wissenschaftsarchitektur“heißt es. Das Team rund um Jörg Rainer Noennig vereint Forscher aus verschiedenen Fachdisziplinen. Es ist eine Denkfabrik, die Sozialwissenschaften und Design zusammenbringt. Wie werden die Menschen künftig zusammenleben? Wie werden unsere Städte aussehen? Mit der Landeshauptstadt Dresden arbeiten die Wissenschaftler seit einigen Jahren in diesen Fragen sehr intensiv zusammen. Sie begleiteten den Zukunftsstadt-Prozess, bei dem Dresdner eingeladen waren, Ideen für die Zukunft ihres Heimatorts zu entwickeln. Seit 2022 läuft das von der Bundesregierung finanzierte Modellprojekt Smart City Dresden. Die TU-Forscher haben die wissenschaftliche Leitung dafür übernommen. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung und Bürgern entwickeln sie Konzepte, die Dresden künftig effizienter, technologisch fortschrittlicher, gesünder, grüner und sozial inklusiver machen sollen.
All diese Erfahrungen wollen die Wissenschaftler auch in das neue europäische Projekt einbringen. Ziel ist es, den Wiederaufbau der Ukraine an den Prinzipien der Klimaneutralität und smarten Stadtentwicklung auszurichten. Zum Netzwerk aus internationalen Partnern gehören neben ukrainischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch Institute und Universitäten aus Polen, der Slowakei, Dänemark, Italien oder Österreich.
In Dresden fand jetzt das erste gemeinsame Treffen statt. „Es geht darum, in Zukunft Erfahrungen und Wissen zu teilen, das der Ukraine helfen kann“, beschreibt Markus Jüngling, im Projekt zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Denn auch die Ukraine solle die Möglichkeit bekommen, die Ziele des European Green Deal zu erreichen. Dieser sieht eine Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 vor.
Zentral ist der Ansatz, möglichst viele Bürger an den dafür notwendigen Prozessen zu beteiligen. Jüngling und seine Kollegen wissen, dass diese Aufgabe in der Ukraine nicht einfach wird. „Uns ist natürlich bewusst, dass die ukrainische Bevölkerung aktuell im Krieg mit anderen Herausforderungen konfrontiert ist.“Doch Teilhabe sei gerade für moderne Städte ein wichtiger Punkt. „Die Menschen werden zum Beispiel viel intensiver in Bauprojekte eingebunden.“Oftmals sehen Bürger Probleme, an die Verwaltungen vielleicht gar nicht gedacht haben. Diese Schwarmintelligenz ließe sich nutzen.
Die ukrainische Regierung hat acht Städte für das Projekt „U_Can“ausgewählt: Lwiw, Kiew, Schytomyr, Chmelnyzkyj, Invano-Frankiwsk, Winnyzia, Charkiw und Cherson. Diese Städte sollen in Workshops und Weiterbildungsprogrammen individuelle Entwicklungsstrategien erarbeiten für eine künftige Klimaneutralität. Die Ergebnisse werden auf einer öffentlichen Wissensplattform geteilt. Sechs der acht Städte sollen als Modellstädte fungieren und Beispiele für den Rest des Landes geben. Sie erhalten Unterstützung von zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Partnern und tauschen sich mit den Missionsstädten über bewährte Verfahren aus. Andere ukrainische Städte können diese Modelle später übernehmen und so von den Erfahrungen profitieren.
Seit 2023 ist Dresden bereits in einer Solidaritätspartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyj verbunden. Diese Kooperation ist ein Beispiel dafür, wie Städte voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen können. In diesen schwierigen Zeiten stehe man solidarisch an der Seite der Ukraine, sagt Projektkoordinatorin Swati Kulashri von der TU Dresden. „Mit dem Aufbau von Netzwerken und Wissen wollen wir die Städte in die Lage versetzen, ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken und Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu schöpfen.“
Es geht darum, in Zukunft Erfahrungen und Wissen zu teilen, das der Ukraine helfen kann.
Markus Jüngling, Sprecher „Wissensarchitektur“der TU Dresden