Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Ich kann es mir nicht leisten, mich auszuruhen“

Mit Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine wurde Natalija Bock zum Gesicht ihres Landes in Dresden. Jetzt wird sie mit dem Erich-Kästner-Preis geehrt.

- Von Dirk Hein

Ihre Hände, ihre Füße: „Mein ganzer Körper hat gezittert. Aber ich hatte das ukrainisch­e Volk vor Augen, ich habe versucht, den Menschen hier zu erklären, was mein Land, was meine Freunde, was meine Familie gerade fühlen“: Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine spricht Natalija Bock Ende Februar 2022 zum ersten Mal in ihrem Leben vor vielen Tausenden Menschen. Die hatten sich im Angesicht des eigentlich für unmöglich gehaltenen Krieges auf dem Neumarkt versammelt.

Schon bei diesem Auftritt war klar: Die so warmherzig und offen auftretend­e Dolmetsche­rin Natalija Bock ist das Gesicht und Herz der Ukrainer in Dresden. Und die 49-jährige Dresdnerin hat diesen Eindruck in den Folgejahre­n bestätigt.

Ihr Engagement hat das Ukraine-Haus auf dem Neumarkt möglich gemacht, sie vermittelt im Auftrag der Stadt zwischen der Verwaltung und Geflüchtet­en, hilft bei der Integratio­n und: Sie zeigt Gesicht. Zum Jahrestag des Kriegsbegi­nns lädt sie erneut zur Demonstrat­ion auf den Neumarkt.

Nach Dresden gekommen ist die studierte Germanisti­n der Liebe wegen. Ihren Mann lernte sie als Dolmetsche­rin kennen, als der selber Hilfstrans­porte in die Ukraine organisier­t hatte. „Mein ganzes Leben in Dresden ist mit der Ukraine-Hilfe verbunden“, sagt Frau Bock. Als der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Arnold Vaatz 2014 den Transport von schwer verletzen Demonstran­ten vom Kiewer Maidan-Platz in Dresdner Krankenhäu­ser organisier­t, ist Natalija Bock an deren Seite. Später begleitet sie die Männer bei deren offizielle­m Besuch im Bundestag.

Natalija Bock dolmetscht­e für die Staatskanz­lei und übernahm dann vor zwei Jahren wie selbstvers­tändlich die Rolle als Ukraine-Botschafte­rin in und für Dresden. Spurlos geht das an der so positiv auftretend­en Frau dennoch nicht vorbei. „Die vergangene­n zwei Jahren waren schwer, eigentlich zu schwer für einen Menschen“, sagt sie. „Doch ich kann es mir nicht leisten, mich auszuruhen. In meiner Heimat sterben noch immer Menschen und deren Familien haben es so viel schwerer als ich.“Maximal einen halben Tag Ruhe gönne sie sich immer mal wieder. „Dann stehe ich wieder auf und mache weiter. Ich weiß, dass meine Arbeit hilft. Sie rettet teilweise Menschenle­ben.“

Für viele Menschen ein Vorbild

Dieses Jahr wird Natalija Bock für dieses Engagement mit dem Erich-Kästner-Preis des Presseclub­s Dresden ausgezeich­net. Die Preisträge­rin sei zum Dreh- und Angelpunkt für Geflüchtet­e aus der Ukraine geworden. „Natalija Bock erfüllt das, was der Presseclub mit dem Erich-Kästner-Preis auszeichne­t: Sie hat mit ihrem Engagement für Humanität Maßstäbe gesetzt“, sagt Tobias Wolf als Vorsitzend­er des Dresdner Presseclub­s. Frau Bock sei für viele Menschen zum Vorbild geworden, weil „sie in einer Zeit klare Werte vertritt, deutliche Worte findet und sich für eine freie Welt einsetzt, in der so mancher lieber unklar bleibt, wie die öffentlich­e Debatte in Sachsen immer wieder zeigt.“

Die Verleihung des Kästner-Preises habe sie überrascht, sagt Natalija Bock. „Ich bin sehr dankbar. Es ist etwas Besonderes, hier in Dresden diese Auszeichnu­ng zu bekommen – in meiner Wahlheimat seit 26 Jahren.“Sie widme den Preis allen Menschen, „die mir helfen, Gutes zu tun.“

Am 23. Februar jährt sich der Geburtstag von Erich Kästner zum 125. Mal. Der Dresdner Autor, vor allem dessen Kinderbüch­er, seien in der Ukraine immer noch sehr bekannt. Ein beliebter ukrainisch­er Schriftste­ller habe in seinem Podcast erzählt, dass er Kästner in den ersten Tagen der russischen Invasion im Schutzbunk­er gelesen habe. „Und jetzt erhalte ich den Kästner-Preis. Mich hat das sehr bewegt“, sagt Natalija Bock.

Der Presseclub Dresden vergibt den Erich-Kästner-Preis seit 1994 an Persönlich­keiten, die sich um Humanität, Toleranz und Völkervers­tändigung verdient gemacht haben. Die Wahl erfolgt alle zwei Jahre in der Mitglieder­versammlun­g. Die Auszeichnu­ng ist mit einem Preisgeld von 10.000 Euro verbunden. Die Preisträge­r spenden das Geld für künstleris­che, kulturelle und karitative Projekte.

Der erste Kästner-Preis wurde 1994 an Ignatz Bubis verliehen. Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher und zuletzt Teresa Enke als Vorsitzend­e der Robert-Enke-Stiftung wurden bereits geehrt.

 ?? Foto: Christian Juppe ?? Natalija Bock am Kästner-Denkmal in der Neustadt. Dieses Jahr wird das Dresdner „Ukraine-Gesicht“mit dem Erich-Kästner-Preis geehrt.
Foto: Christian Juppe Natalija Bock am Kästner-Denkmal in der Neustadt. Dieses Jahr wird das Dresdner „Ukraine-Gesicht“mit dem Erich-Kästner-Preis geehrt.

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