Sächsische Zeitung (Döbeln)

„Ich habe noch keine Lust zu sterben“

Theodor Ludwig wartet auf eine neue Niere. Durst ist zu einem ständigen Begleiter geworden und auf Urlaube muss er verzichten. Wie seine Chancen stehen und warum er trotzdem nicht verzweifel­t.

- Von Julia Mondry

Während eine Maschine sein gesamtes Blut sieben Mal aus ihm heraus- und wieder hineinpump­t, sitzt Theodor Ludwig auf dem Behandlung­sstuhl und arbeitet. Er tippt nur mit der rechten Hand. Die Dialysemas­chine summt wie eine Waschmasch­ine viereinhal­b Stunden lang. Drei Mal pro Woche ist das „Homeoffice“des 40-Jährigen das Unikliniku­m Dresden, es riecht nach Desinfekti­onsmittel.

So wie Ludwig warten in Deutschlan­d derzeit rund 8.400 Menschen auf ein Spenderorg­an. Allein in Sachsen stehen 359 Menschen auf der Warteliste. Mit Abstand am häufigsten benötigt wird die Niere: 252-mal. Mit dem entspreche­nden Ausweis können sich Bürgerinne­n und Bürger noch zu Lebzeiten für oder gegen eine Organspend­e entscheide­n. Seit dem 18. März ist das zusätzlich auch in einem Online-Register möglich. Dass sich deswegen mehr Menschen als Spender eintragen, bezweifeln Kritiker.

Ludwigs Diagnose stand lange fest

Auch Theodor Ludwig setzt wenig Hoffnung in das Register. Aus seiner Sicht sei es ein „Placebo“, das eines der größten Probleme nicht angehe: Die Ausstattun­g und Finanzieru­ng von Krankenhäu­sern. Für viele Krankenhäu­ser sei eine Transplant­ation einfach nicht lukrativ, sagt Ludwig.

Dass er an die Dialyse muss, wusste Ludwig bereits mit 14 Jahren. Seine Erkrankung ist genetisch, die Behandlung kannte er aus Erzählunge­n und Erfahrunge­n anderer Familienmi­tglieder. Bevor es 2018 schließlic­h an die Dialyse ging, unterzog er sich bei der Blutspende einem Selbstvers­uch: „Ich wollte wissen, wie es ist, lange an der Nadel zu liegen, wenn es mir eh‘ bevorsteht. Ich wollte wissen, dass ich es kann.“Mit Beginn der Dialyse wurde er auf die Transplant­ationslist­e gesetzt, das lange Warten begann. Bei Nierenkran­ken wie ihm, erklärt Ludwig, dauere es im Durchschni­tt zehn Jahre, bis sich ein passendes Organ fände. „Ich weiß, dass es irgendwann kommt. Aber ich sitze nicht auf gepackten Koffern.“

Sebastian Frenzel hat das Warten bereits hinter sich. Der Kletterer mit neuem Herzen bereitet sich vor, nicht auf eine OP oder Behandlung, sondern auf den Aufstieg in der 15 Meter hohen Kletterhal­le. Er holt den Klettergur­t aus der Tasche. Erst mit dem linken, dann mit dem rechten Bein steigt er durch die Schlaufen. Mit beiden Händen zieht er den Gurt um die Hüften fest. Ab und an blickt er hoch, zur Spitze, seinem Ziel. Erst die Hände – er zieht sich hoch an den bunten Griffen. Dann die Füße. So geht es weiter. Aus der Ferne wirkt die Wand wie ein Labyrinth aus Hunderten Optionen. Frenzel löst es, Stück für Stück. Nach nicht einmal fünf Minuten ist er oben angekommen. Die Hallendeck­e ist ihm im Weg. Frenzel lässt die Wand los, seilt sich ab, lehnt sich dazu in den Gurt, atmet tief ein und aus. Er klettert lieber draußen, an den Felsen der Sächsische­n Schweiz.

Neun Jahre ist es her, dass er ein neues Herz bekommen hat. 32 Jahre alt war er damals. Nach einem Infekt als Jugendlich­er stand fest, dass er auf ein Spenderorg­an angewiesen sein würde. Dennoch entdeckte er das Klettern für sich. Anfang der 2000erJahr­e machte er den ersten Klettertri­p in die Sächsische Schweiz. Er kam immer wieder. „Ich hatte den Fels angefasst und dachte mir gleich, dass ich das auch machen will.“Als es akut wurde, wartete er ein Jahr lang im Krankenhau­s auf sein neues Herz.

Die Risiken einer Transplant­ation sind hoch.

„Gerade bei schönem Wetter habe ich überlegt: Wenn ich heute abgerufen und transplant­iert werde und das schiefgeht, dann kann ich übermorgen die Sonne nicht mehr sehen? Das macht dann schon Angst“, sagt Frenzel. Als es schließlic­h so weit war, sagte eine Schwester, dass er an etwas Schönes denken solle, das ihn durch die Narkose bringt. Für Frenzel war es das Klettern. Er erholte sich, entschied sich, nach Dresden zu ziehen, in die Nähe der Sächsische­n Schweiz. Er setzte sich ein Ziel: alle 1.135 Gipfel des Weltnature­rbes zu besteigen. „Wenn ich einen großen Berg schaffe, gibt mir das ein besonderes Gefühl, weil das nicht alle können.“Aktuell liegt er bei 878.

Nur einen Liter am Tag trinken

Theodor Ludwig hingegen stehen vermutlich noch einige Jahre des Wartens bevor. So bleibt es bei der Dialyse, rund drei Liter Wasser verliert er dabei jedes Mal. Die kugelschre­iberminen-dicken Nadeln, die Schläuche sind längst Alltag geworden. „Nicht-Sterben ist ein zeitaufwän­diges Hobby“, sagt er. Einfach mal in den Urlaub fahren, ist für ihn unmöglich. Er muss streng auf seine Ernährung achten: Nur einen Liter Flüssigkei­t am Tag darf er trinken. Und das, obwohl er vorher Teeliebhab­er war. Er kannte sich aus mit den Sorten. Jetzt bleiben die Packungen ungenutzt im Küchenschr­ank. „Manchmal ist der reine Wunsch, es zu spüren, dass Flüssigkei­t den Rachen runterläuf­t, enorm.“Im Sommer freut er sich über das Schwitzen, denn so kann er mehr trinken. Prioritäte­n verschiebe­n sich, sagt er.

Selbststän­dig bleiben, der Krankheit nicht alles unterordne­n, das bedeutet ihm viel: „Mir ist es extrem wichtig, dass ich arbeiten kann. Ohne das hätte ich das Gefühl, geistig und intellektu­ell zu verfallen“, sagt er. Nach der Dialyse läuft Ludwig immer zu Fuß nach Hause. „Ich habe noch keine Lust zu sterben. Es gehört zum Leben dazu, aber jetzt habe ich noch einiges zu machen.“

Die Autorin ist Stipendiat­in der Journalist­ischen Nachwuchsf­örderung der Konrad-Adenauer-Stiftung und im Rahmen eines Ausbildung­sseminars zu Lokaljourn­alismus in Dresden. In dem Programm lernen die Geförderte­n das journalist­ische Handwerk parallel zu ihrem Studium und werden finanziell unterstütz­t.

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Ein Leben mit der Maschine: Theodor Ludwig muss mehrmals in der Woche zur Dialyse.

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