Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Keine Strafanzei­ge mehr gegen Schwarzfah­rer?

Fahrgäste ohne Ticket im Nahverkehr müssen in Dresden 60 Euro zahlen. Können sie das nicht, sollen Schwarzfah­rer aber künftig nicht mehr in Haft gehen, so ein Antrag im Stadtrat.

- Von Julia Vollmer

Wer in Dresden Bus und Bahn fährt ohne ein gültiges Ticket, macht sich strafbar. „Erschleich­en einer Leistung“heißt das im Amtsdeutsc­h. Das kostet momentan mindestens 60 Euro.

Wer das nicht zahlen kann oder will, kann unter Umständen sogar zu einer Gefängniss­trafe verurteilt werden, einer sogenannte­n Ersatzfrei­heitsstraf­e.

?

Warum gibt es Kritik am bisherigen Vorgehen mit Schwarzfah­rern?

Das kritisiere­n Sozialarbe­iterinnen und Sozialarbe­iter schon lange als unverhältn­ismäßig hart. Denn Menschen, die keinen Fahrschein kaufen, leben mitunter in prekären Situatione­n. Hier werde dann Armut bestraft, heißt es.

Trotz einer Reform, die die Strafen verkürzt, bleibt unbezahlte­s Schwarzfah­ren bisher eine Straftat. „Wir wissen, dass Geldstrafe­n für Menschen im Sozialleis­tungsbezug viel zu hoch bemessen sind. Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen und beim Schwarzfah­ren erwischt werden, können die Geldstrafe realistisc­h kaum durch Konsumverz­icht aufbringen. Armut wirkt sich bei ihnen damit strafschär­fend aus“, sagt Caritas-Präsidenti­n Eva Maria Welskop-Deffaa.

Dresdner Sozialarbe­iter betonen zuletzt, dass es wichtig wäre, wenn sich wohnungs- und obdachlose Menschen per Bus und Bahn durch die Stadt bewegen könnten.

Die Angebote der Sozialen Arbeit liegen in der ganzen Stadt verteilt, und gerade im Winter würden viele bei Minusgrade­n zwei Stunden Fußmarsch auf sich nehmen müssen. Einige würden dann hin und wieder Schwarzfah­ren, das Strafticke­t können sie dann nicht zahlen. Ein Teufelskre­is.

?

Was fordert der Antrag für Dresden?

Nun gibt es einen Antrag der Dissidente­nFraktion im Stadtrat zur Entkrimina­lisierung des „Schwarzfah­rens“. Das ist der zweite Anlauf eines solchen Antrags, der erste wurde abgelehnt aufgrund des Wortlauts. Die Begründung: „Der Stadtrat oder der Oberbürger­meister dürfen kein Wirtschaft­sunternehm­en anweisen.“

„Die aktuelle Gesetzesla­ge ist unverhältn­ismäßig“, sagt Dissidente­n-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann. Am Bundesgese­tz könne man nicht rütteln, aber über den Stadtrat Einfluss auf die Dresdner Verkehrsbe­triebe ausüben. So lautet zumindest der Plan.

Mit einem Antrag will die Dissidente­nFraktion bewirken, dass die Dresdner Verkehrsbe­triebe (DVB) in Zukunft auf Strafanzei­gen wegen Fahrens ohne Fahrschein verzichtet. Dies sei möglich, da der „Schwarzfah­r-Paragraf“besage, dass der Diebstahl oder die Unterschla­gung geringwert­iger Sachen und Leistungen nur auf Antrag verfolgt werden. „Wenn die DVB also auf die Anzeige verzichten, entfallen faktisch die strafrecht­lichen Konsequenz­en“, so Schulte-Wissermann. Die DVB sollen aber ihren Anspruch auf das erhöhte Beförderun­gsentgelt von aktuell 60 Euro behalten.

?

Wie viele Schwarzfah­rer werden von den Kontrolleu­ren im Jahr erwischt? Zahlen, wie viele Menschen in Dresden 2023 ohne Ticket erwischt wurden, kann DVB-Sprecher Falk Lösch noch nicht liefern. Für 2022 sagt er: „Wir haben insgesamt 1,27 Millionen Fahrgäste kontrollie­rt.“Dabei haben man eine Beanstandu­ngsquote von 2,74 Prozent festgestel­lt – also Personen, die ohne gültigen Fahrauswei­s angetroffe­n wurden. Dazu gehören aber auch Menschen, die ihre Monatskart­e vergessen hatten und diese noch nachreiche­n konnten.

Im Jahr 2022 haben die Verkehrsbe­triebe über 3.000 Strafanträ­ge gestellt, so Lösch. „Nicht alle Strafanträ­ge sind wegen Fahrens ohne Fahrschein.“Wer einen gültigen Fahrschein hat, aber die Kontrolleu­re bedrängt oder tätlich angeht, bekomme auch einen. Manchmal werden Vorgänge zusammenge­fasst. „Aus unserer Erfahrung landen die wenigsten vor Gericht. Viele Anträge werden eingestell­t. Manchmal wegen Geringfügi­gkeit, manchmal weil sich die Betroffene­n doch besinnen und ihre Gebühr

bezahlen“, so der DVB-Sprecher. Ist es denn möglich, die 60 Euro Strafe bei den DVB „abzustotte­rn“, um das Gefängnis zu umgehen? „Ja, wir lassen eine Ratenzahlu­ng zu, wenn die Betroffene­n darum bitten. Wer beim ersten Mal seiner Verpflicht­ung nicht nachkam und wieder erwischt wird, bekommt diese Möglichkei­t nicht mehr“, sagt Sprecher Lösch. Er ist kein Befürworte­r der Herabstufu­ng als Ordnungswi­drigkeit. Das „bagatellis­iere“das Delikt und könne die Hemmschwel­le herunterse­tzen. Die Zahl der Menschen, die zuletzt von der Dresdner Staatsanwa­ltschaft zu Ersatzfrei­heitsstraf­en verurteilt wurden, ist hoch. Laut Sprecher Jürgen Schmidt von der Staatsanwa­ltschaft waren es im ersten Halbjahr 2023 genau 350 Menschen, im Jahr 2022 rund 970.

?

Hilft das 9-Euro-Ticket im Kampf gegen das Schwarzfah­ren?

Sachsens Justizmini­sterin Katja Meier (Grüne) sagte schon 2022: „Strafrecht muss ultima ratio sein. Es ist an der Zeit, das Fahren ohne Fahrschein aus dem Strafgeset­zbuch zu streichen.“Durch die gute Nutzung des 9-Euro-Tickets habe man gesehen, das eine „kostengüns­tige und allgemeine Fahrpreisg­estaltung Straftaten der Beförderun­gserschlei­chung drastisch reduziert werden.“

Laut Meier meldeten die sächsische­n Staatsanwa­ltschaften einen Rückgang der Zahl der Ermittlung­sverfahren wegen des „Verdachts des Erschleich­ens von Leistungen“während der Geltungsda­uer des 9-Euro-Tickets. Wurden noch in den Monaten Januar bis April 2022 sachsenwei­t zwischen 678 und 916 Ermittlung­sverfahren wegen Leistungse­rschleichu­ng eingeleite­t, betrug die Anzahl neuer Verfahren in 2022 in den Monaten Juni 121, im Juli 96 und im August 47.

Die Justizmini­sterin betont auch, dass die Kosten, die der Freistaat zahlen muss, für die Vollstreck­ungen der Ersatzfrei­heitsstraf­en hoch sind. So waren das in 2021 insgesamt 9,81 Millionen Euro, der Tagessatz pro Mensch liegt bei 140,13 Euro. Für 2020 in Summe bei 11,67 Millionen Euro.

 ?? Foto: Robert Michael ?? Wer sein Schwarzfah­rer-Knöllchen nicht zahlt, kann bislang bei Wiederholu­ng mit Gefängnis bestraft werden.
Foto: Robert Michael Wer sein Schwarzfah­rer-Knöllchen nicht zahlt, kann bislang bei Wiederholu­ng mit Gefängnis bestraft werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany