Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
Keine Strafanzeige mehr gegen Schwarzfahrer?
Fahrgäste ohne Ticket im Nahverkehr müssen in Dresden 60 Euro zahlen. Können sie das nicht, sollen Schwarzfahrer aber künftig nicht mehr in Haft gehen, so ein Antrag im Stadtrat.
Wer in Dresden Bus und Bahn fährt ohne ein gültiges Ticket, macht sich strafbar. „Erschleichen einer Leistung“heißt das im Amtsdeutsch. Das kostet momentan mindestens 60 Euro.
Wer das nicht zahlen kann oder will, kann unter Umständen sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, einer sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe.
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Warum gibt es Kritik am bisherigen Vorgehen mit Schwarzfahrern?
Das kritisieren Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter schon lange als unverhältnismäßig hart. Denn Menschen, die keinen Fahrschein kaufen, leben mitunter in prekären Situationen. Hier werde dann Armut bestraft, heißt es.
Trotz einer Reform, die die Strafen verkürzt, bleibt unbezahltes Schwarzfahren bisher eine Straftat. „Wir wissen, dass Geldstrafen für Menschen im Sozialleistungsbezug viel zu hoch bemessen sind. Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen und beim Schwarzfahren erwischt werden, können die Geldstrafe realistisch kaum durch Konsumverzicht aufbringen. Armut wirkt sich bei ihnen damit strafschärfend aus“, sagt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.
Dresdner Sozialarbeiter betonen zuletzt, dass es wichtig wäre, wenn sich wohnungs- und obdachlose Menschen per Bus und Bahn durch die Stadt bewegen könnten.
Die Angebote der Sozialen Arbeit liegen in der ganzen Stadt verteilt, und gerade im Winter würden viele bei Minusgraden zwei Stunden Fußmarsch auf sich nehmen müssen. Einige würden dann hin und wieder Schwarzfahren, das Strafticket können sie dann nicht zahlen. Ein Teufelskreis.
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Was fordert der Antrag für Dresden?
Nun gibt es einen Antrag der DissidentenFraktion im Stadtrat zur Entkriminalisierung des „Schwarzfahrens“. Das ist der zweite Anlauf eines solchen Antrags, der erste wurde abgelehnt aufgrund des Wortlauts. Die Begründung: „Der Stadtrat oder der Oberbürgermeister dürfen kein Wirtschaftsunternehmen anweisen.“
„Die aktuelle Gesetzeslage ist unverhältnismäßig“, sagt Dissidenten-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann. Am Bundesgesetz könne man nicht rütteln, aber über den Stadtrat Einfluss auf die Dresdner Verkehrsbetriebe ausüben. So lautet zumindest der Plan.
Mit einem Antrag will die DissidentenFraktion bewirken, dass die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) in Zukunft auf Strafanzeigen wegen Fahrens ohne Fahrschein verzichtet. Dies sei möglich, da der „Schwarzfahr-Paragraf“besage, dass der Diebstahl oder die Unterschlagung geringwertiger Sachen und Leistungen nur auf Antrag verfolgt werden. „Wenn die DVB also auf die Anzeige verzichten, entfallen faktisch die strafrechtlichen Konsequenzen“, so Schulte-Wissermann. Die DVB sollen aber ihren Anspruch auf das erhöhte Beförderungsentgelt von aktuell 60 Euro behalten.
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Wie viele Schwarzfahrer werden von den Kontrolleuren im Jahr erwischt? Zahlen, wie viele Menschen in Dresden 2023 ohne Ticket erwischt wurden, kann DVB-Sprecher Falk Lösch noch nicht liefern. Für 2022 sagt er: „Wir haben insgesamt 1,27 Millionen Fahrgäste kontrolliert.“Dabei haben man eine Beanstandungsquote von 2,74 Prozent festgestellt – also Personen, die ohne gültigen Fahrausweis angetroffen wurden. Dazu gehören aber auch Menschen, die ihre Monatskarte vergessen hatten und diese noch nachreichen konnten.
Im Jahr 2022 haben die Verkehrsbetriebe über 3.000 Strafanträge gestellt, so Lösch. „Nicht alle Strafanträge sind wegen Fahrens ohne Fahrschein.“Wer einen gültigen Fahrschein hat, aber die Kontrolleure bedrängt oder tätlich angeht, bekomme auch einen. Manchmal werden Vorgänge zusammengefasst. „Aus unserer Erfahrung landen die wenigsten vor Gericht. Viele Anträge werden eingestellt. Manchmal wegen Geringfügigkeit, manchmal weil sich die Betroffenen doch besinnen und ihre Gebühr
bezahlen“, so der DVB-Sprecher. Ist es denn möglich, die 60 Euro Strafe bei den DVB „abzustottern“, um das Gefängnis zu umgehen? „Ja, wir lassen eine Ratenzahlung zu, wenn die Betroffenen darum bitten. Wer beim ersten Mal seiner Verpflichtung nicht nachkam und wieder erwischt wird, bekommt diese Möglichkeit nicht mehr“, sagt Sprecher Lösch. Er ist kein Befürworter der Herabstufung als Ordnungswidrigkeit. Das „bagatellisiere“das Delikt und könne die Hemmschwelle heruntersetzen. Die Zahl der Menschen, die zuletzt von der Dresdner Staatsanwaltschaft zu Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden, ist hoch. Laut Sprecher Jürgen Schmidt von der Staatsanwaltschaft waren es im ersten Halbjahr 2023 genau 350 Menschen, im Jahr 2022 rund 970.
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Hilft das 9-Euro-Ticket im Kampf gegen das Schwarzfahren?
Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) sagte schon 2022: „Strafrecht muss ultima ratio sein. Es ist an der Zeit, das Fahren ohne Fahrschein aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.“Durch die gute Nutzung des 9-Euro-Tickets habe man gesehen, das eine „kostengünstige und allgemeine Fahrpreisgestaltung Straftaten der Beförderungserschleichung drastisch reduziert werden.“
Laut Meier meldeten die sächsischen Staatsanwaltschaften einen Rückgang der Zahl der Ermittlungsverfahren wegen des „Verdachts des Erschleichens von Leistungen“während der Geltungsdauer des 9-Euro-Tickets. Wurden noch in den Monaten Januar bis April 2022 sachsenweit zwischen 678 und 916 Ermittlungsverfahren wegen Leistungserschleichung eingeleitet, betrug die Anzahl neuer Verfahren in 2022 in den Monaten Juni 121, im Juli 96 und im August 47.
Die Justizministerin betont auch, dass die Kosten, die der Freistaat zahlen muss, für die Vollstreckungen der Ersatzfreiheitsstrafen hoch sind. So waren das in 2021 insgesamt 9,81 Millionen Euro, der Tagessatz pro Mensch liegt bei 140,13 Euro. Für 2020 in Summe bei 11,67 Millionen Euro.