Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
„Unser nächstes Ziel sind die Grundschulen“
Dass Deutschland jetzt Basketball-Weltmeister ist, kann Verbandschef Ingo Weiss noch immer nicht richtig fassen. Doch er hat ganz klare Pläne, wie es jetzt weitergehen soll.
Ingo Weiss sitzt im Moment des Gesprächs am Flughafen in Frankfurt, er wartet auf den Rückflug nach Münster. Gerade hat er bei Hauptsponsor ING mit den deutschen Basketballern gefeiert, das Team ist in Manila sensationell Weltmeister geworden.
Weiss, 59 Jahre alt, ist Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) – und in dieser Woche nach dem WM-Triumph der deutschen Mannschaft vielleicht einer der glücklichsten Menschen. Bundeskanzler Olaf Scholz schickte Glückwünsche, Innenministerin Nancy Faeser und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein waren in Frankfurt genauso vor Ort wie Tausende Fans, um das deutsche Team zu begrüßen.
Im Interview gibt Weiss einen Einblick ins Innenleben der Mannschaft. Er kritisiert das Sportfördersystem und sagt, wie die Begeisterung für den Basketball über die WM hinaus noch größer werden kann.
Herr Weiss, sind Sie schon klar mit dem Fakt, dass Deutschland, und das ist ja auch Ihre Mannschaft, Basketball-Weltmeister ist?
Ja, wir sind jetzt Weltmeister, und das wird dauern, alle Facetten zu begreifen. Unsere Mannschaft wird das jetzt ja vier Jahre bleiben. Und sofort merkt man etwas anderes. Die USA haben schon nachgefragt, ob sie vor den Olympischen Sommerspielen mit ihrem nächsten Dream Team eine Vorbereitungspartie gegen den Weltmeister austragen können. In Deutschland. Urplötzlich sind wir vom Jäger im Basketball zu einem Gejagten geworden. Die Nachfrage ist in den wenigen Stunden und Tagen nach Spielende auch bereits unglaublich.
Nach Bronze bei der Heim-EM im Vorjahr nun Gold und erstmals Weltmeister. Wird aus dem kleinen Boom jetzt ein großer Boom, so wie 1985 nach dem ersten Wimbledon-Sieg von Boris Becker im Tennis oder dem Sieg bei der Tour de France durch Jan Ullrich im Radsport 1998?
Wichtig ist, dass es so weitergeht wie nach der Europameisterschaft, Basketball soll keine Eintagsfliege sein. Den Sport wollen wir gemeinsam als DBB mit den Verbänden, den Bundesligisten und Vereinen weiterentwickeln. Unser nächstes Ziel sind die Grundschulen. Es gibt rund 42.000 in Deutschland, wir möchten in jeder mindestens eine Basketball-AG etablieren. Sportlich haben wir die Vorbilder, der Plan ist da, jetzt geht es natürlich an die Umsetzung.
Wer ist denn der Star?
Ganz klar, die Mannschaft. Natürlich gibt es die Wagner-Brüder vom NBA-Club in Orlando, und natürlich ist da der Kapitän Dennis Schröder. Er hat allen Respekt und jede Anerkennung verdient. Nur, und das war dieses Mal der Unterschied zu den anderen Teams, hatten wir tolle Mannschaftsspieler dabei. Hatte einer einen schlechten Tag, sprangen andere ein. Bei der Siegerehrung habe ich zu unserem Center Johannes Voigtmann gesagt, dass er für mich der Spieler des Finals war. Oder David Krämer, der kaum gespielt hat als zwölfter Mann, dass er unfassbar wichtig für die Team-Chemie war.
Am vergangenen Sonntag kam es zu einer diametralen Entwicklung zwischen Basketball und Fußball. Die Korbjäger holten WM-Gold, die Kicker entließen Bundestrainer Hansi Flick. Das wurde in den letzten Minuten des Finals vermeldet. Stört Sie das?
Wir haben beim Turnier nur ein bisschen was aus Deutschland mitbekommen, das Team, die Trainer, alle vom DBB waren im Tunnel. Für Sportdeutschland war das WMGold jedenfalls ein Triumph, das Hin- und Herrechnen mit Fußball nützt niemandem etwas. Nach dem Sieg über die USA im Halbfinale habe allein ich 437 Nachrichten per WhatsApp erhalten, direkt nach dem Finale 813 – ich bin glücklich über unseren Triumph.
Wann haben Sie eigentlich gespürt, dass es bei der WM weit nach vorne gehen wird?
Man geht ja in jedem Spiel in die Halle, weil gewonnen werden soll. Als wir in der Vorrunde die ersten drei Spiele in Japan gewonnen hatten, dachte ich, mein Gott, wir fahren nach Manila und sind unter den letzten 16. Nach zwei weiteren Siegen dachte ich zumindest: Da geht noch mehr. Nach dem Sieg gegen Lettland wollten wir alle noch mehr. Und das Team hat sich darauf verständigt, so etwas wie die altbekannten kämpferischen Tugenden abrufen zu wollen. Und dann war da das Spiel gegen die USA, eine solche Partie habe ich noch nie erlebt. Unfassbare Verteidigung auf beiden Seiten, unfassbares Tempo, unfassbar viele Punkte. Da war mir klar: Wir haben auch gegen Serbien im Finale eine Chance. Alle Spiele wurden gewonnen, das hat in der Vergangenheit nicht jeder Weltmeister geschafft. Aber wissen Sie, was mich am meisten bewegt hat?
Nein, was?
Dass Trainer Gordon Herbert nach dem Spiel sagte: „Danke, Deutschland“.
Dirk Nowitzki trat 2016 ab, nicht wenige haben eine Talfahrt des deutschen Basketballs erwartet. Sie aber sagten schon damals, wir haben den jungen Dennis Schröder und unser Unterbau in den Bundesligen sowie im Jugendbereich sei gut aufgestellt?
Dirk Nowitzki war einzigartig. Dennis Schröder ist das auch, aber anders. Wenn Dirk früher das Feld verließ für eine Pause, dann fragten sich alle, geht das noch gut? Dennis führt die Mannschaft anders, als Teamplayer. Aber auch Dennis ist ein gigantischer Spieler. Und in ein paar Jahren wird Franz Wagner, der gerade 22 Jahre alt ist, dem Team seinen Stempel aufdrücken.
Dabei hat dem DBB die sogenannte PoTAS-Kommission, im Auftrag des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Bundesinnenministeriums, vor drei Jahren von den 26 Sportarten für Sommerspiele perspektivisch den letzten Rang zugesprochen. Ist der Titel nun eine Art Genugtuung?
Das Supersystem PoTAS. Da schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen. Ich habe unseren Leuten gesagt, dass wir nicht gut genug gelogen haben bei der Beantwortung der Fragen, deshalb wurden uns 250.000 Euro Bundesförderung pro Jahr gestrichen. So sehe ich das. Wer bei PoTAS eine gute Bewertung bekommen will, muss Potemkin’sche Dörfer aufbauen. Wir sind da einfach zu schlecht beurteilt worden.
Ist PoTAS für den deutschen Spitzensport notwendig?
Es gibt Dinge, die müssen sachlich beleuchtet werden. Wir brauchen bei der Analyse des Spitzensports nicht nur eine wissenschaftliche Analyse, sondern auch sachkundige Sportanalyse. Auch der frühere Diskus-Olympiasieger Robert Harting und der Sportwissenschaftler Helmut Digel sind da meiner Meinung. Wir müssen mehr herausholen aus den Fördergeldern, und dafür muss ein neues System her.
Was störte Sie bei dieser Analyse?
In unserem Sport wurde 2021 kein Potenzial festgestellt, also fehlen uns jetzt jährlich 250.000 Euro. Wir haben aber in diesem Zeitraum eine EM-Medaille geholt, die Olympia-Qualifikation geschafft und sind Weltmeister geworden. Das PoTAS-System hat der Basketball ad absurdum geführt. Und nicht dass ich eine Debatte um Sportarten führen will, aber der Leichtathletik wurde das größte Potenzial bescheinigt. Die Ergebnisse bei der WM sind bekannt.
Unabhängig davon, weil man ja die größten Fehler im Erfolg macht, was muss im Jugendbereich passieren?
Der Sport muss weiter gepusht werden. Wir haben so um die 50 Bundesliga-Teams in Deutschland, gemeinsam wird der DBB mit den Verbänden und den Kreisen sowie den Vereinen versuchen müssen, viel stärker in die Grundschulen zu kommen. Da müssen Kooperationen mit den Schulen her, Bälle gestellt werden, Lehrer und Übungsleiter für die AGs gewonnen werden. Ab und an sollte auch mal ein Nationalspieler mit dem WM-Pokal da auftauchen. Da steht einiges an Arbeit an.
Nicht nur Basketball, Sie sind auch Verfechter einer deutschen Bewerbung für Sommerspiele in Deutschland, warum? Dreimal war ich dabei, als deutsche Bewerbungen gescheitert sind. Doch ich bleibe dabei, 2036 oder 2040 kann ich mir Sommerspiele in Deutschland vorstellen. Dafür muss Sport-Deutschland allerdings Bock auf Olympia haben. Wir haben hierzulande die Sportstätten, Deutschland ist aus meiner Sicht ein optimaler Bewerber für eine nachhaltige und starke Bewerbung. Dafür werde ich weiter kämpfen.
Und Basketball, wie geht es da weiter? Mit den Nationalteams beginnt im Herbst bereits die Qualifikation für die EM 2025 sowie für das Frauen-Turnier. Wir sind als Vorrunden-Ausrichter bei den Frauen zwar gesetzt für das Turnier, aber die Mannschaft nimmt an den Ausscheidungsspielen dennoch teil. Dann kommt ja noch Olympia in Paris 2024. Kurzfristig fliege ich nächste Woche nach Singapur, da findet der Intercontinental Cup mit den Telekom Baskets statt. Danach bleibt etwas Zeit für Urlaub. Am 12. Oktober werde ich 60 Jahre alt, da ist der Ruhestand dann nicht weit.