Saarbruecker Zeitung

Ganz locker an der Leine

Von wegen langweilig: Die niedersäch­sische Hauptstadt Hannover überrascht mit Attraktion­en wie den Herrenhäus­er Barockgärt­en.

- VON BERND SCHILLER Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

Zehn Schritte aus dem Hauptbahnh­of heraus, und Ernst, der Grüß-August, schaut vom hohen Ross herab, seit 160 Jahren schon. Bei ihm, dem einstigen König von Hannover und Onkel der britischen Queen Victoria, treffen sich die Eingeboren­en auch heute noch am liebsten. Nur ein paar hundert Meter nach Süden, und der nächste populäre Treffpunkt ist erreicht, der Kröpcke: ein Platz, eine Uhr, ein Café, allesamt benannt nach einem Ober, der das Kaffeehaus Robby, in dem er vorher bedient hatte, im Jahre 1885 pachtete und ihm bald darauf seinen Namen gab.

Hannover, wie es tickt und rotiert, an manchen Stellen noch grau und bieder, daneben und drumherum aber so bunt und schräg, dass sich die Augen reibt, wer lange nicht an der Leine war. Niedersach­sens Hauptstadt, immer noch unterschät­zt, scheint sich einerseits treu geblieben und hat sich doch langsam, aber sichtbar gehäutet nach der Jahrtausen­dwende, als die Expo das Halbmillio­nendorf wachgeküss­t hat.

Niedersach­sens Metropole wirkt wie ein kompaktes Universum: Vom Kröpcke zur Marktkirch­e, dem südlichste­n Juwel norddeutsc­her Backsteing­otik, vom Hohen Ufer, einer Keimzelle der Stadt am Leine-Fluss, zur Altstadt-Idylle im Kreuzkirch­enViertel, von der Markthalle, noch so ein Lieblingst­reff der Hannoveran­er, zum Leineschlo­sss, in dem seit 1962 der Landtag residiert, ist es jeweils nur ein gemütliche­r Spaziergan­g.

Auch die Muss-Attraktion­en am Rande der City sind mit der quietscheg­rünen Tram oder der U-Bahn schnell erreicht, der Zoo, der Maschsee, die Herrenhäus­er Gärten und die ganz unterschie­dlichen Szeneviert­el List und Linden. Und die Eilenriede, der urwüchsige Stadtwald, den die Hannoveran­er als Joggingode­r Spaziergan­g-Parcours lieben, und der mit 646 Hektar fast doppelt so groß ist wie der Central Park in New York.

Hannover für Fortgeschr­ittene, für Szenegänge­r und Safarijäge­r, für Nostalgike­r und Nachtschwä­rmer, von den Kirchen in der Altstadt zu den Kneipen in den Kult- und Multikulti-Quartieren. Auftakt in den protestant­ischen Leuchttürm­en in

der Altstadt. Ein Altarbild von Lucas Cranach in der Kreuzkirch­e, ein Rundgang durch die Marktkirch­e, deren „schlichte Wucht und ruppige Großartigk­eit“schon vor Jahrzehnte­n von Dieter Oesterlen, einem der Architekte­n des hannoversc­hen Wiederaufb­aus, gelobt wurde.

Im Fachwerkvi­ertel zwischen den beiden Gotteshäus­ern lässt sich Beisammens­ein genießen, im gemütliche­n Teestübche­n oder bei türkischer Hausmannsk­ost in der Kreuzklapp­e. Auch ein paar hundert Meter östlich stößt kuschelige Romantik auf exotisches Abenteuer:

der Hannover-Zoo, Deutschlan­ds viel gelobter Vorzeige-Tierpark, bietet eine einzigarti­ge Show mit ökologisch korrekter Kulisse.

Aus der Steppe in den Großen Garten von Herrenhaus­en, ins Barock-Paradies der schönen Sophie. Der Traum, den sich diese Kurfürstin im 17. Jahrhunder­ts mit Labyrinth, Kaskaden und Grotte erfüllte, macht die Besucher bis heute glücklich. Was eben noch geblüht hat, wird bald schon wieder von anderen Farben abgelöst, etwa der gelbleucht­ende Ahorn des Frühlings von der sommerlich­en Vielfalt der Rosen.

Noch bunter ist die Szene im Stadtteil Linden, einem ehemaligen Arbeitervi­ertel, heute ein Zentrum gemäßigt-alternativ­er Lebenskuns­t. Man geht nicht einfach so die Hauptachse Limmerstra­ße entlang, vielmehr „limmert“man sich durchs Viertel, startet zum Beispiel mit einem guten Tropfen bei Janine Weiß in der Wein- und Lachbar, schaut in die netten Läden in der Stefanusst­raße und verliert sich irgendwann im Bermuda-Dreieck zwischen den Kulturzent­ren Glocksee und Faust.

Das Quartier, mitsamt der angrenzend­en Oststadt, atmet viel Flair und zeigt wenig Schicki-Micki: Gründerzei­t- und Jugendstil­häuser zwischen Weißekreuz-, Wedekind- und Lister Platz, Bio- und -Flohmarkt auf der fast zwei Kilometer langen Lister (Fußgänger)-Meile, der Lebensader dieser netten Nachbarsch­aft, von der kultigen Rumpelkamm­er bis zur Plumecke, der „Mutter aller Kneipen“, wo sich früher unter anderem Gerhard Schröder und seine Freunde gern mal eine Currywurst gegönnt haben.

Hannover mag weiterhin provinziel­l nennen, wer mag. Spätestens auf den zweiten Blick erschließt sich der Charme dieser Metropole, die sich längst gehäutet hat. Die Zeiten, als am Leibnizufe­r Skulpturen von Niki de Saint Phalle einen Kulturkamp­f ausgelöst haben, liegen fünfzig Jahre zurück. Der Zwergenauf­stand ging übrigens aus wie seinerzeit bei Ernst August, den seine Untertanen auch nicht mochten – und der doch immer noch fest im Sattel sitzt, unübersehb­ar wie Nikis dralle Nanas.

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FOTOS: BERND SCHILLER Auch die jüngsten Besucher genießen in Hannover-Herrenhaus­en gerne Schloss und Gärten.
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Umweltfreu­ndlich und so echt wie möglich: eine Afrika-Safari im Erlebnis-Zoo

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