Kulturfestival in einer Geisterstadt
In Bataville in Lothringen gibt es im August drei Tage lang anspruchsvolle Kultur. Mit dabei ist auch Elodie Brochier, die sich auch in der Saarbrücker Kunstszene einen Namen gemacht hat.
„Bataville“, das in Lothringen auf halber Strecke zwischen Nancy und Straßburg liegt, heißt nicht zufällig wie eine Schuh-Marke. Denn der Firmengründer Tomas Bata hatte hier einst mitten in der Pampa zu seiner Schuhfabrik im Stil auch eine ganze Stadt mit Kindergarten, Kirche und Geschäften für seine Arbeiter bauen lassen.
Seit der Schließung 2002 ist Bataville mit seinen Fabrikgebäuden im Bauhaus-Stil nahezu eine Geisterstadt. Wären da nicht die Künstlerinnen und Künstler. Einer kaufte vor Jahren die alte Kantine. Vor etwa zehn Jahren hat sich darin das Kollektiv „Faa“angesiedelt. Die Abkürzung steht für „Fabrique autonome des artistes“. Zur sechsköpfigen Künstlerinnen-Equipe der Faa gehört auch Elodie Brochier. Die vielseitige Französin aus der Isère lebt und wirkt schon lange in Saarbrücken, unter anderem zusammen mit dem Liquid Penguin Ensemble. Sie liebt das interdisziplinäre Arbeiten und Erforschen neuer artistischer Möglichkeiten. Kein Wunder also, dass es sie auch zu den Artistinnen von Bataville zog. Denn bei ihnen steht das „Erforschen der Kunst des Spiels“, des „Handwerks“, der „Techniken“der performativen Künste, wie Faa-Mitbegründerin Daria Lippi es nennt, im Mittelpunkt der Arbeit.
Alle zwei Jahre, so auch vom 23. bis 25. August, veranstaltet die Faa das Festival „Les Antipodes“. Doch sie verstünden sich nicht etwa als Gruppe, die für ein Festival „spectacles“, Bühnenproduktionen kreiiert, betont Lippi. Vielmehr sei das Festival nur die Gelegenheit, die jeweili
gen Ergebnisse ihrer Forschungen, denen sie sich in den zwei Jahren zwischen zwei Festivals widmen, mit dem Publikum zu teilen. Und mit den Künstlern und Forschern, mit denen sie zusammengearbeitet haben und die sie sich als Gäste dazu einladen. Diesmal hat sich die Künstlerinnengruppe intensiv mit dem polyphonen Gesang befasst, vor allem mit dem „Canto a Tenores“, jener archaischen Gesangstradition der Hirten auf Sardinien, die zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit gehört. Zwei Jahre hätten sie Gesangsunterricht bei renommierten italienischen Lehrerinnen genommen und sein dann zu den Oster-Zeremonien nach Sardinien gereist, erzählen Elodie Brochier und Daria Lippi. Aber auch mit einer Verhaltensforscherin, die sich mit den bedrohten Pavianen in
Südafrika beschäftigt, hat sich die Gruppe ausgetauscht.
Das Festival „Les Antipodes“, das am 23. August mittags mit einem „performativen Essen“für die Künstler sowie die Besucher und Besucherinnen beginnt, hat daher ein wirklich abwechslungsreiches, aber auch forderndes Programm, kleinen und großen Aufführungs-Formaten und einer bunten Mischung aus künstlerischen Disziplinen.
Als Gast wird am Freitag und Samstag etwa der renommierte sardische Männerchor aus Bosa, der Coro di Bosa auftreten. Das in London ansässige Duo Silvia Mercriali und Gemma Brockis spielt ein Theaterstück, das Italo Calvinos „Unsichtbare Städte“auf Bataville bezieht. Eine Flamenco-Tänzerin tritt gemeinsam mit einem Rapper auf, die Verhaltensforscherin lädt ein zu einem Spaziergang mit Vortrag durch die Wiesen. Das sechsköpfige Faa-Kollektiv wird nicht nur seine neuen Erkenntnisse zu einem „Oratorium der Recherche“verbinden. Es führt auch eine neue Staffel seiner „Theater-Serie“namens „La grande forme“auf. „Darin nutzen wir Kampfkunst, Verhaltensforschung, Evolutionstheorie polyphonen Gesang, Tanz und Radiokunst“, sagt Elodie Brochier.
Und schließlich hat die Faa ein eigenes Format namens „Mon théâtre“geschaffen. Dabei stellt sich eine Gast-Künstlerin in jeweils 30 bis 45 Minuten mit ihrem besonderen künstlerischen Werdegang und Profil dem Publikum vor. Rund 30 Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland seien diesmal mit dabei, sagt Daria Lippi. Gespielt werde im ehemaligen Ballsaal über der Arbeiterkantine. Darüber hinaus mietet die Faa immer ein Zirkuszelt und eine Außenbühne. 200 bis 300 Zuschauer zieht das Festival laut Lippi und Brochier jedesmal an.
Zwischen den Festivals nutzt die Gruppe den Ballsaal zum Arbeiten. „Wir leben aber nicht das ganze Jahr hier, nur in der warmen Jahreshälfte, das Gebäude ist nicht beheizbar“, fügt Lippi hinzu. Finanziell unterstützt wird die Faa durch die Kulturförderung der Region Grand Est, des Kulturmininisteriums (DRAC), des Départments und einiger Kommunen. Durch Elodie Brochier entstand eine gute Verbindung zum Netzwerk Freie Szene Saar. Das Künstlerinnen-Kollektiv war so schon mehrmals im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, und es werde auch beim nächsten Freistil-Festival im Herbst dabei sein, ist schon vor der offiziellen Programmverkündung zu erfahren. Umgekehrt wünscht sich die Faa, dass auch deutsches Publikum den Weg nach Bataville findet. Mit dem Auto ist das kein Problem und man könne dort auch campen, heißt es. Überhaupt liege Bataville, das offiziell zur Gemeinde Moussey gehört, idyllisch im Grünen, meint Daria Lippi. Nicht umsonst heißt die Gegend „le pays des étangs“, das Land der Weiher.