Saarbruecker Zeitung

Eine Zeitreise zurück ins Jahr 1927

Sie ist ein ganz besonderes Juwel, die Fellenberg­mühle in Merzig. Denn dort lässt sich Produktion wie vor 100 Jahren authentisc­h erleben. Und neben der Industrieg­eschichte erwarten die Besucher weitere spannende Geschichte­n.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Martin Wittenmeie­r

Ganz in der Nähe der größten erhaltenen romanische­n Kirche des Saarlandes, St. Peter in Merzig, befindet sich das Feinmechan­ische Museum Fellenberg­mühle. Das Gebäude der ehemaligen Getreidemü­hle stammt aus dem Jahr 1767. Noch heute verströmt der dreigescho­ssige Bau mit hellen Mauern und Sandsteine­infassunge­n der Sprossenfe­nster romantisch­en Charme, der durch das Rauschen des angrenzend­en

Seffersbac­hs und dessen Mühlengrab­ens noch verstärkt wird.

Im Eingangsbe­reich der Mühle wird man freundlich begrüßt. Hier befindet sich nicht nur die Kasse, sondern auch ein kleines Bistro. Hier können sich Besucher erfrischen. „In der Schmiede der Mühle finden Trauungen statt. Dann kann man das Bistro ‚Café Cardan` auch für einen Sektempfan­g nutzen“, erklärt Brunhilde Wittke. Sie ist Mitglied im Fördervere­in Fellenberg­mühle, der mit wenigen Aktiven den Betrieb des Bistros und die Öffnungsze­iten des Feinmechan­ischen Museums abdeckt.

Wittke organisier­t auch die Ausstellun­gen, die bis zu sechsmal im Jahr im obersten Geschoss der Mühle stattfinde­n. Sie kennt sich aber auch mit der Geschichte des Hauses gut aus. „Im 18. und 19. Jahrhunder­t war das Gebäude eine Getreide- und Ölmühle und hatte verschiede­ne Besitzer“, berichtet sie. Aufgrund einer Familientr­agödie im Jahr 1922 wurde die Mühle samt Inventar an die Firma Villeroy & Boch versteiger­t. Sie nutzte die Mühle als Lager. 1927 erwarb Johann Peter Hartfuß die Mühle und errichtete hier eine feinmechan­ische Werkstatt zur Herstellun­g von Juwelier- und Uhrmacherw­erkzeugen. Gemeinsam mit seinem Neffen Stefan Gottfrois ersetzte er das Wasserrad der Mühle durch eine Turbine, um die Effizienz zu steigern. 1932 wurde die Mühle an Stefan Gottfrois verpachtet, 1959 erwarb er sie. Bis 1973 blieb die Mühle als feinmechan­ische Werkstatt im Besitz der Familie Gottfrois, die hier weiterhin Präzisions­werkzeuge für Juweliere

und Uhrmacher herstellte, später auch Teile für Maschinenb­au- und Automobili­ndustrie. 1973 verließ die Firma Gottfrois die Mühle und verlegte den Firmenstan­dort. Die feinmechan­ische Werkstatt blieb jedoch in der Mühle, denn wegen des Antriebs mit Wasserkraf­t konnten die Maschinen am neuen Standort nicht

genutzt werden.

So versank Gebäude und Interieur in einen Dornrösche­nschlaf, wurde aber in den 1980er Jahren unter Denkmalsch­utz gestellt. 1991 erwarb die Stadt Merzig die Mühle mit dem gesamten Inventar. 1994 gründete sich der Fördervere­in. Und nach längerer Restaurier­ung wurde die

Mühle 1997 als Feinmechan­isches Museum Fellenberg­mühle eröffnet. Wer das Museum besucht, sollte über die Tourismus-Informatio­n Merzig eine Führung buchen. Der Betrieb der kstatt ist für die Besucher bis heute authentisc­h nachvollzi­ehbar. Das Besondere dieses Museums ist, dass es den kompletten Betrieb der Werkstatt aus dem Jahr 1927 konservier­t hat. Im ersten Raum des Museums, der Schmiede, sind noch historisch­e Fotos des alten Mühlrads zu sehen. „Schon 1929 wurde das hölzerne Rad abgebaut und eine Turbine eingebaut. Diese Turbine befindet sich unter Wasser und konnte im Winter nicht mehr einfrieren“, erklärt Peter Gottfrois.

Er ist Vorstandsm­itglied des Fördervere­ins, ehrenamtli­cher Gästeführe­r im Museum, aber auch Sohn und Enkel der früheren Firmeninha­ber. Daher kennt er die Maschinen, deren Funktion und Geschichte ganz genau. Seine erste Handlung bei der Besichtigu­ng ist, die Turbine anzuschalt­en. Sie ist über eine Welle mit den Maschinen verbunden und treibt alles an. Der alte Generator von AEG aus dem Jahr 1910 erzeugt den Strom, der für die alte Beleuchtun­g in der Werkstatt bis heute genutzt wird. In der oberen Etage ist der Werkstattc­harakter erhalten geblieben. Über die Transmissi­on laufen alle Maschinen, mit deren Hilfe früher Werkzeuge für Juweliere und Uhrmacher hergestell­t wurden.

Es rattert, es klackert, es zischt in allen Ecken des hellen Raums und überall laufen Riemen, die die Maschinen antreiben. Insgesamt befinden sich hier rund zehn Arbeitsplä­tze an ganz unterschie­dlichen Maschinen, die allesamt noch funktionie­ren. Die älteste ist eine elektrisch­e Drehmaschi­ne aus dem Jahr 1898, die man sogar noch mit Muskelkraf­t betreiben kann. An Technik Interessie­rte werden begeistert sein. Denn manche Maschinen sind selbstgeba­ut, so wie die kleine Poliermasc­hine, die über einen Motor verfügt, der aus einem Jagdbomber aus dem 2. Weltkrieg stammt. Oder wie der Revolverdr­ehautomat aus dem Jahr 1927, dessen Mechanik an die Trommel einer Schusswaff­e erinnert. Im nächsten Raum, der früher als Lager und Büro diente, werden heute die Produkte ausgestell­t, die an Ort und Stelle hergestell­t wurden. Die von der Familie Gottfrois erfundene Trauringgr­aviermasch­ine, deren Patent aus dem Jahr 1928 ebenfalls ausgestell­t ist, war damals ein großer Erfolg. Sie war begehrt, wurde damals sogar weltweit vertrieben. Eine Besichtigu­ng der obersten Räume der Mühle mit den temporär wechselnde­n Kunstausst­ellungen rundet anschließe­nd den Besuch des Museums ab.

Feinmechan­isches Museum Fellenberg­mühle,

Marienstra­ße 34, 66663 Merzig. Geöffnet Freitag bis Sonntag von 14.30 bis 17 Uhr. Aktuelle Kunstausst­ellung: „Brigitte Fritsch und Manfred Schmidt, Ton, Acryl, Fotografie“, zu sehen bis Ende August. Weitere Infos unter: https://www.merzig.de/tourismus-kultur/ sehenswuer­digkeiten/feinmechan­ischesmuse­um-fellenberg­muehle/

 ?? ?? Blick in die Feinmechan­ische Werkstatt in der Merziger Fellenberg­mühle. Weil das Gebäude quasi über Jahrzehnte im Dornrösche­nschlaf versank, lässt sich hier eine Produktion wie den späten 1920er Jahren authentisc­h erleben.
Blick in die Feinmechan­ische Werkstatt in der Merziger Fellenberg­mühle. Weil das Gebäude quasi über Jahrzehnte im Dornrösche­nschlaf versank, lässt sich hier eine Produktion wie den späten 1920er Jahren authentisc­h erleben.
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FOTOS: BARONSKY-OTTMANN Die Fellenberg­mühle in Merzig von außen.

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