„Die Männlichkeit befindet sich in einer Krise“
Vier Fragen, zwei Gruppen. Männer und „Nicht-Männer“antworten getrennt: Was ist Männlichkeit? Und wie kommt sie auf die Bühne?
SAARBRÜCKEN Was ist eigentlich männlich? Diese Frage stellt sich und uns das Uni-Theater Thunis. Das Ensemble hat das Stück „Männlichkeit Macht Mann“entwickelt, zum ewig Männlichen geforscht. Dazu hatten wir Fragen. Aber wir haben die Männer des Ensembles und die Nicht-Männer, wie der weibliche Teil genannt werden möchte, gebeten, getrennt zu antworten. Mit interessantem Ergebnis.
„Ladies first“soll es bei uns heute mal nicht heißen: Wir lassen den Männern den Vortritt und stellen zunächst Max Meiser, Kai Lange und Alexander Hanauer unsere Fragen. Hanauer ist auch Regisseur von „Männlichkeit Macht Mann“.
Das Männliche hat derzeit keinen guten Ruf. Man könnte fast denken, nur ein bisschen zuviel Testosteron - und schon wird Mann gleich zu Putin, Trump oder landet bei den Taliban. Aber männlich kann ja auch etwas ganz anderes sein. Wie würden Sie für sich Männlichkeit im 21. Jahrhundert definieren? MEISER Männlich ist im 21. Jahrhundert, Ikearegale aufzubauen und keine Frauen zu schlagen. HANAUER Ich kann nur eine NichtAntwort geben. Ich persönlich möchte mein Leben nicht von Zuschreibungen wie „männlich“oder „Männlichkeit“leiten lassen. Es wäre mir vermutlich egal, wären diese Zuschreibungen nicht so oft eine negative Reaktion auf mein Verhalten gewesen. Sei keine Memme, tanzen ist für Mädchen, und wer sich beschwert, ist eine Diva.
Bei Ihrem Stück stehen zwei Männer und fünf Nicht-Männer auf der Bühne. Ist das nicht ein bisschen ungerecht?
MEISER Könnte man meinen. Ist aber nicht so. HANAUER Das Theater kann als Medium spielend leicht nicht nur mit seinen Inhalten auf der Bühne, sondern auch über sein Zustandekommen Missstände aufzeigen, einen Spiegel vorhalten. Es geht uns inhaltlich um Männlichkeit als Herrschaftsprinzip. Da müssen sogar Nicht-Männer teilnehmen, wenn wir in der Art und Weise, wie wir Theater machen, auf Gerechtigkeit achten wollen. Außerdem ist unser Stück erst im Probenverlauf entstanden. Es existiert also nur, weil die Besetzung so ist, wie sie ist.
Was war im Laufe der gemeinsamen Arbeit an diesem Thema für Sie die größte Überraschung?
HANAUER Ich weiß nicht, ob es mich überrascht hat, aber ich fand es sehr schön, wie offen wir uns über z.B. Gewalt und Missbrauch unterhalten konnten, und wie sich ein gemeinsames Aushalten dieser Gespräche
einstellte, das nicht zwingend aufgelöst werden musste. Wir haben keine Lösungen, aber wir schauen auf die Wunden und geben ihnen den Raum, den sie brauchen. Und genau das hoffen wir in unseren Gesprächen nach den Vorstellungen weiterzuführen.
Würden Sie sagen, dass das Stück Ihren Blick auf Männer und Männlichkeit verändert hat?
MEISER Auf jeden Fall. Sehen Sie sich mal das Wort „Frau“an. Das kommt von dem althochdeutschen „fr “, was „Herr“bedeutet. Wenn man da tiefer gräbt, merkt man schnell, wie konstruiert Geschlechtsidentitäten sind und wie viel Ideologie nötig ist, um die durch sie gestützten und unsichtbar gemachten Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. HANAUER Naja, ich glaube, ich habe mich noch nie so sicher in meiner Männlichkeit gefühlt wie jetzt. Der Frust aber über Männer und NichtMänner, die nicht sehen können/ wollen, wie sehr sie daran mitwirken etwas aufrechtzuerhalten, das unser Zusammenleben vergiftet, sitzt weiterhin tief.
Den Mitspielerinnen bei „Männlichkeit Macht Mann“haben wir die gleichen Fragen gestellt wie den Männern. Es antworten Flora Gessner, Sarina Siebenberg, Stella Wohnig, Sophie Werner und Clara Vater. Die Gruppe legt aber Wert darauf, nicht als Frauen, sondern als Nicht-Männer bezeichnet zu werden.
Wie würden Sie für sich Männlichkeit im 21. Jahrhundert definieren? SIEBENBERG Warum braucht es denn eine Definition von Männlichkeit für das 21. Jahrhundert? Eine moderne Männlichkeit hat in meinen Augen keine Angst davor, weiblich zu sein und macht damit diese Kategorien obsolet. WOHNIG Ich glaube, tatsächlich befindet sich die Männlichkeit in einer Krise. Irgendwo zwischen alten Forderungen nach Macht, Dominanz, Geltung, Stärke und Versorgerrolle und neuen Forderungen nach „korrektem“Handeln, emotionaler Zugänglichkeit und einer ganz selbstverständlichen 50:50-Mentalität fällt es – so haben mir auch männliche Freunde bestätigt – schwer, einen „männlichen“Weg zu gehen. Insge
samt denke ich, dass Männlichkeit keiner Definition bedarf, da jeder Mensch seine eigene Persönlichkeit und geschlechtliche Entfaltung hat. WERNER Was Männlichkeit konkret ist, ist für mich als Frau immer noch ein großes Mysterium. Wenn ich genau wüsste, was Männlichkeit ausmacht, wäre ich schon lange mehr männlich. Oder vielleicht weniger? Mein aktuelles Männlichkeitslevel scheint jedenfalls der Gesellschaft nicht zu passen, andererseits haben viele Männer damit wohl auch zu kämpfen. VATER Das Männliche hat primär nicht so viel mit Testosteron zu tun, sondern eher mit der Art und Weise, wie Personen, je nachdem, ob sie als männlich oder weiblich wahrgenommen werden, sozialisiert werden. Das Problem ist, dass sich Männlichkeit auch heute noch durch die Abgrenzung vom vermeintlich „Weiblichen“definiert, welches im Hierarchiesystem weiter unten steht.
Bei Ihrem Stück stehen zwei Männer und fünf Nicht-Männer auf der Bühne. Ist das nicht ein bisschen
ungerecht?
GESSNER Wir machen Amateurtheater und haben die Menschen auf der Bühne, die sich beim Stück einbringen wollten. Über mehr Männer hätte ich mich zwar gefreut (genauso über mehr nicht binäre und trans Perspektiven), aber ungerecht ist es nicht, da wir niemand ausgeschlossen haben. SIEBENBERG Im Amateurtheater finden sich oft mehr Nicht-Männer als Männer auf der Bühne. WERNER Ich hätte gern mehr männliche Personen dabei gehabt. Ich kann mir vorstellen, dass es für sie nochmal schwieriger ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie sind schließlich Teil des Problems. VATER Ich denke nicht, dass die Aufteilung zwischen den Geschlechtern unser Stück in irgendeiner Weise beeinflusst. Auch wenn wir NichtMänner quantitativ überwiegen, haben wir alle auch innerhalb unserer Gruppe ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht und unterschiedliche Standpunkte und Lebensrealitäten in das Stück mit einbringen können. Ich habe mich während des Probenprozesses über jede individuelle Erfahrung und Geschichte gefreut, die mit uns geteilt wurde (übrigens auch nicht nur von den Personen, die jetzt auf der Bühne stehen) und hätte mir natürlich trotzdem auch immer gewünscht, noch weitere Perspektiven einzufangen.
Was war im Laufe der gemeinsamen Arbeit an diesem Thema für Sie die größte Überraschung?
SIEBENBERG Wie traurig und wütend ich doch immer noch bin darüber, welche Auswirkungen Männlichkeit auf unsere Gesellschaft hat. WOHNIG Dass Männerfreundschaften inhaltlich oft so anders ablaufen als meine Freundschaften und dort so wenig emotionaler Support stattfindet und Männer öfter einsam sind, war mir in dem Ausmaß nicht klar. Ich denke, dass Männer sich auf diese Art gegenseitig nicht so gut unterstützen, ist eine große Herausforderung, die ich unterschätzt hatte. VATER Dass wir in so kurzer Zeit einen solchen „Safe Space“kreiert haben und wir uns so schnell so verwundbar gemacht haben. Es ist nicht selbstverständlich, einen Raum zu finden, in dem man offen auch über teils traumatische Erfahrungen miteinander sprechen kann.
Würden Sie sagen, dass das Stück Ihren Blick auf Männer und Männlichkeit verändert hat?
„Dass Männer öfter einsam sind, war mir in dem Ausmaß nicht klar.“Stella Wohnig
GESSNER Verändert nicht wirklich, aber definitiv erweitert und ergänzt. Vor allem das gemeinsame Erarbeiten des Stückes hat mir neue Perspektiven eröffnet. WOHNIG Es gibt auf jeden Fall einige Punkte, wo ich durch unsere offenen Diskussionen die Perspektive/Herausforderungen männlich sozialisierter Personen besser verstehen lernen konnte. Insgesamt hat sich meine Perspektive aber nicht so stark geändert, da ich Menschen in meinem Umfeld eher aufgrund ihrer individuellen Persönlichkeit schätze und „Männlichkeit“für mich eher konzeptuell eine Rolle spielt. WERNER Leider ja, leider nicht im positiven Sinne. Das Stück frustriert, und das soll es auch. Ich kann nur hoffen, dass wir ein Teil dieser Frustration an die richtigen Menschen mitgeben können. VATER Es hat mir sehr viele Möglichkeiten gegeben, tiefer in das Thema einzusteigen. Verändert hat es meine Grundhaltung gegenüber dem „Männlichen“(damit meine ich Geschlechterkonzeptionen im Allgemeinen) nicht wirklich. Ich habe das Gefühl, dass ich durch das Stück Machtstrukturen noch stärker wahrnehme.
Aufführungen von „Männlichkeit Macht Mann“sind an diesem Donnerstag, Freitag und Samstag, 18., 19. und
20. Juli, jeweils um 19.30 Uhr im Theater im Viertel am Saarbrücker Landwehrplatz. Karten gibt es im Internet.