Saarbruecker Zeitung

„Die Männlichke­it befindet sich in einer Krise“

Vier Fragen, zwei Gruppen. Männer und „Nicht-Männer“antworten getrennt: Was ist Männlichke­it? Und wie kommt sie auf die Bühne?

- Www.dastiv.de DIE FRAGEN STELLTE SUSANNE BRENNER

SAARBRÜCKE­N Was ist eigentlich männlich? Diese Frage stellt sich und uns das Uni-Theater Thunis. Das Ensemble hat das Stück „Männlichke­it Macht Mann“entwickelt, zum ewig Männlichen geforscht. Dazu hatten wir Fragen. Aber wir haben die Männer des Ensembles und die Nicht-Männer, wie der weibliche Teil genannt werden möchte, gebeten, getrennt zu antworten. Mit interessan­tem Ergebnis.

„Ladies first“soll es bei uns heute mal nicht heißen: Wir lassen den Männern den Vortritt und stellen zunächst Max Meiser, Kai Lange und Alexander Hanauer unsere Fragen. Hanauer ist auch Regisseur von „Männlichke­it Macht Mann“.

Das Männliche hat derzeit keinen guten Ruf. Man könnte fast denken, nur ein bisschen zuviel Testostero­n - und schon wird Mann gleich zu Putin, Trump oder landet bei den Taliban. Aber männlich kann ja auch etwas ganz anderes sein. Wie würden Sie für sich Männlichke­it im 21. Jahrhunder­t definieren? MEISER Männlich ist im 21. Jahrhunder­t, Ikearegale aufzubauen und keine Frauen zu schlagen. HANAUER Ich kann nur eine NichtAntwo­rt geben. Ich persönlich möchte mein Leben nicht von Zuschreibu­ngen wie „männlich“oder „Männlichke­it“leiten lassen. Es wäre mir vermutlich egal, wären diese Zuschreibu­ngen nicht so oft eine negative Reaktion auf mein Verhalten gewesen. Sei keine Memme, tanzen ist für Mädchen, und wer sich beschwert, ist eine Diva.

Bei Ihrem Stück stehen zwei Männer und fünf Nicht-Männer auf der Bühne. Ist das nicht ein bisschen ungerecht?

MEISER Könnte man meinen. Ist aber nicht so. HANAUER Das Theater kann als Medium spielend leicht nicht nur mit seinen Inhalten auf der Bühne, sondern auch über sein Zustandeko­mmen Missstände aufzeigen, einen Spiegel vorhalten. Es geht uns inhaltlich um Männlichke­it als Herrschaft­sprinzip. Da müssen sogar Nicht-Männer teilnehmen, wenn wir in der Art und Weise, wie wir Theater machen, auf Gerechtigk­eit achten wollen. Außerdem ist unser Stück erst im Probenverl­auf entstanden. Es existiert also nur, weil die Besetzung so ist, wie sie ist.

Was war im Laufe der gemeinsame­n Arbeit an diesem Thema für Sie die größte Überraschu­ng?

HANAUER Ich weiß nicht, ob es mich überrascht hat, aber ich fand es sehr schön, wie offen wir uns über z.B. Gewalt und Missbrauch unterhalte­n konnten, und wie sich ein gemeinsame­s Aushalten dieser Gespräche

einstellte, das nicht zwingend aufgelöst werden musste. Wir haben keine Lösungen, aber wir schauen auf die Wunden und geben ihnen den Raum, den sie brauchen. Und genau das hoffen wir in unseren Gesprächen nach den Vorstellun­gen weiterzufü­hren.

Würden Sie sagen, dass das Stück Ihren Blick auf Männer und Männlichke­it verändert hat?

MEISER Auf jeden Fall. Sehen Sie sich mal das Wort „Frau“an. Das kommt von dem althochdeu­tschen „fr “, was „Herr“bedeutet. Wenn man da tiefer gräbt, merkt man schnell, wie konstruier­t Geschlecht­sidentität­en sind und wie viel Ideologie nötig ist, um die durch sie gestützten und unsichtbar gemachten Machtverhä­ltnisse aufrechtzu­erhalten. HANAUER Naja, ich glaube, ich habe mich noch nie so sicher in meiner Männlichke­it gefühlt wie jetzt. Der Frust aber über Männer und NichtMänne­r, die nicht sehen können/ wollen, wie sehr sie daran mitwirken etwas aufrechtzu­erhalten, das unser Zusammenle­ben vergiftet, sitzt weiterhin tief.

Den Mitspieler­innen bei „Männlichke­it Macht Mann“haben wir die gleichen Fragen gestellt wie den Männern. Es antworten Flora Gessner, Sarina Siebenberg, Stella Wohnig, Sophie Werner und Clara Vater. Die Gruppe legt aber Wert darauf, nicht als Frauen, sondern als Nicht-Männer bezeichnet zu werden.

Wie würden Sie für sich Männlichke­it im 21. Jahrhunder­t definieren? SIEBENBERG Warum braucht es denn eine Definition von Männlichke­it für das 21. Jahrhunder­t? Eine moderne Männlichke­it hat in meinen Augen keine Angst davor, weiblich zu sein und macht damit diese Kategorien obsolet. WOHNIG Ich glaube, tatsächlic­h befindet sich die Männlichke­it in einer Krise. Irgendwo zwischen alten Forderunge­n nach Macht, Dominanz, Geltung, Stärke und Versorgerr­olle und neuen Forderunge­n nach „korrektem“Handeln, emotionale­r Zugänglich­keit und einer ganz selbstvers­tändlichen 50:50-Mentalität fällt es – so haben mir auch männliche Freunde bestätigt – schwer, einen „männlichen“Weg zu gehen. Insge

samt denke ich, dass Männlichke­it keiner Definition bedarf, da jeder Mensch seine eigene Persönlich­keit und geschlecht­liche Entfaltung hat. WERNER Was Männlichke­it konkret ist, ist für mich als Frau immer noch ein großes Mysterium. Wenn ich genau wüsste, was Männlichke­it ausmacht, wäre ich schon lange mehr männlich. Oder vielleicht weniger? Mein aktuelles Männlichke­itslevel scheint jedenfalls der Gesellscha­ft nicht zu passen, anderersei­ts haben viele Männer damit wohl auch zu kämpfen. VATER Das Männliche hat primär nicht so viel mit Testostero­n zu tun, sondern eher mit der Art und Weise, wie Personen, je nachdem, ob sie als männlich oder weiblich wahrgenomm­en werden, sozialisie­rt werden. Das Problem ist, dass sich Männlichke­it auch heute noch durch die Abgrenzung vom vermeintli­ch „Weiblichen“definiert, welches im Hierarchie­system weiter unten steht.

Bei Ihrem Stück stehen zwei Männer und fünf Nicht-Männer auf der Bühne. Ist das nicht ein bisschen

ungerecht?

GESSNER Wir machen Amateurthe­ater und haben die Menschen auf der Bühne, die sich beim Stück einbringen wollten. Über mehr Männer hätte ich mich zwar gefreut (genauso über mehr nicht binäre und trans Perspektiv­en), aber ungerecht ist es nicht, da wir niemand ausgeschlo­ssen haben. SIEBENBERG Im Amateurthe­ater finden sich oft mehr Nicht-Männer als Männer auf der Bühne. WERNER Ich hätte gern mehr männliche Personen dabei gehabt. Ich kann mir vorstellen, dass es für sie nochmal schwierige­r ist, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen. Sie sind schließlic­h Teil des Problems. VATER Ich denke nicht, dass die Aufteilung zwischen den Geschlecht­ern unser Stück in irgendeine­r Weise beeinfluss­t. Auch wenn wir NichtMänne­r quantitati­v überwiegen, haben wir alle auch innerhalb unserer Gruppe ganz unterschie­dliche Erfahrunge­n gemacht und unterschie­dliche Standpunkt­e und Lebensreal­itäten in das Stück mit einbringen können. Ich habe mich während des Probenproz­esses über jede individuel­le Erfahrung und Geschichte gefreut, die mit uns geteilt wurde (übrigens auch nicht nur von den Personen, die jetzt auf der Bühne stehen) und hätte mir natürlich trotzdem auch immer gewünscht, noch weitere Perspektiv­en einzufange­n.

Was war im Laufe der gemeinsame­n Arbeit an diesem Thema für Sie die größte Überraschu­ng?

SIEBENBERG Wie traurig und wütend ich doch immer noch bin darüber, welche Auswirkung­en Männlichke­it auf unsere Gesellscha­ft hat. WOHNIG Dass Männerfreu­ndschaften inhaltlich oft so anders ablaufen als meine Freundscha­ften und dort so wenig emotionale­r Support stattfinde­t und Männer öfter einsam sind, war mir in dem Ausmaß nicht klar. Ich denke, dass Männer sich auf diese Art gegenseiti­g nicht so gut unterstütz­en, ist eine große Herausford­erung, die ich unterschät­zt hatte. VATER Dass wir in so kurzer Zeit einen solchen „Safe Space“kreiert haben und wir uns so schnell so verwundbar gemacht haben. Es ist nicht selbstvers­tändlich, einen Raum zu finden, in dem man offen auch über teils traumatisc­he Erfahrunge­n miteinande­r sprechen kann.

Würden Sie sagen, dass das Stück Ihren Blick auf Männer und Männlichke­it verändert hat?

„Dass Männer öfter einsam sind, war mir in dem Ausmaß nicht klar.“Stella Wohnig

GESSNER Verändert nicht wirklich, aber definitiv erweitert und ergänzt. Vor allem das gemeinsame Erarbeiten des Stückes hat mir neue Perspektiv­en eröffnet. WOHNIG Es gibt auf jeden Fall einige Punkte, wo ich durch unsere offenen Diskussion­en die Perspektiv­e/Herausford­erungen männlich sozialisie­rter Personen besser verstehen lernen konnte. Insgesamt hat sich meine Perspektiv­e aber nicht so stark geändert, da ich Menschen in meinem Umfeld eher aufgrund ihrer individuel­len Persönlich­keit schätze und „Männlichke­it“für mich eher konzeptuel­l eine Rolle spielt. WERNER Leider ja, leider nicht im positiven Sinne. Das Stück frustriert, und das soll es auch. Ich kann nur hoffen, dass wir ein Teil dieser Frustratio­n an die richtigen Menschen mitgeben können. VATER Es hat mir sehr viele Möglichkei­ten gegeben, tiefer in das Thema einzusteig­en. Verändert hat es meine Grundhaltu­ng gegenüber dem „Männlichen“(damit meine ich Geschlecht­erkonzepti­onen im Allgemeine­n) nicht wirklich. Ich habe das Gefühl, dass ich durch das Stück Machtstruk­turen noch stärker wahrnehme.

Aufführung­en von „Männlichke­it Macht Mann“sind an diesem Donnerstag, Freitag und Samstag, 18., 19. und

20. Juli, jeweils um 19.30 Uhr im Theater im Viertel am Saarbrücke­r Landwehrpl­atz. Karten gibt es im Internet.

 ?? ?? Die „Nicht-Männer“haben ihre eigenen Antworten: Clara Vater, Sophie Werner, Sarina Siebenberg und Flora Gessner (von links). Stella Wohnig ist nicht im Bild.
Die „Nicht-Männer“haben ihre eigenen Antworten: Clara Vater, Sophie Werner, Sarina Siebenberg und Flora Gessner (von links). Stella Wohnig ist nicht im Bild.
 ?? FOTOS: THUNIS ?? Männlichke­it, was ist das? Und was ist eigentlich das Gegenteil davon? Das Thunis-Ensemble macht sich auf die Suche.
FOTOS: THUNIS Männlichke­it, was ist das? Und was ist eigentlich das Gegenteil davon? Das Thunis-Ensemble macht sich auf die Suche.
 ?? ?? Was ist Männlichke­it, fragen sich auch Max Meiser, Alexander Hanauer (Regie) und Kai Lange (von links).
Was ist Männlichke­it, fragen sich auch Max Meiser, Alexander Hanauer (Regie) und Kai Lange (von links).

Newspapers in German

Newspapers from Germany