Saarbruecker Zeitung

Von der Leyen wirbt um Unterstütz­ung der Grünen

361 Stimmen braucht Ursula von der Leyen im EU-Parlament, wenn es mit ihrer zweiten Amtszeit klappen soll. Ein Signal an die Grünen lässt aufhorchen.

- VON GREGOR MAYNTZ

Es ist der Abend nach der Übereinkun­ft von Christdemo­kraten, Sozialdemo­kraten und Liberalen zum neuen Spitzenper­sonal der EU. In der Brüsseler NRW-Landesvert­retung bereiten sich die Grünen darauf vor, ein Urgestein des Parlamente­s und der Partei, den früheren Vorsitzend­en Reinhard Bütikofer, nach 15 Jahren Europapoli­tik zu verabschie­den. Man ist reichlich konsternie­rt, weil EVP-Chef Manfred Weber den Grünen die kalte Schulter zeigt, zunächst nur mit Sozialdemo­kraten und Liberalen verhandelt hat. Dabei wären sie doch auch wichtig, um von der Leyen in einem Monat in Straßburg die Mehrheit zu sichern. Aber gleich zum Beginn des Empfangs steht Ursula von der Leyen mitten unter den Grünen. Und an ihrer Seite Manfred Weber.

Schon das wäre ein besonderes Signal gewesen: Wertschätz­ung und Respekt für Bütikofers Lebenswerk ausspreche­n und wenige Minuten später zu einer der nächsten von vielen Verpflicht­ungen wechseln. Doch von der Leyen hat etwas mitgebrach­t. Zeit. Viel Zeit. In den USA wird Bedeutung in PT gemessen. Das steht für „Presidenti­al Time“, also jene Zeit, die der Präsident mit einzelnen Gästen und bei einzelnen Veranstalt­ungen verbringt. Die laut US-Medien mächtigste Frau der Welt hat enorm viel Präsidenti­nnen-Zeit im Rucksack für den Austausch mit den Grünen. Am Ende werden es 41 Minuten sein.

Es ist nicht das Ausmaß der Präsenz bei Bütikofers Empfang allein, das klar macht, dass von der Leyen für ihre zweite Präsidents­chaft die Grünen nicht links liegen lassen will. Sie hat Kabinettsc­hef Björn Seibert mitgebrach­t, der ebenfalls den Kontakt zu wichtigen Grünen sucht, die Aktenmappe vor die Brust geklemmt, als wolle er jederzeit Wünsche notieren. Es sind auch ihre Begegnunge­n selbst und deren Herzlichke­it. Zunächst spricht sie mit dem ausgeschie­denen Fraktionsc­hef Philippe Lamberts, dann steckt sie mehrfach den Kopf zusammen mit dessen Nachfolger Bas Eickhout, der für die Grünen in den nächsten Wochen auszuhande­ln hat, was von der Leyen liefern muss, damit sie ihre Unterstütz­ung bekommt.

Eine lange und herzliche Umarmung gilt Sarah Wiener. Die einstige Fernsehköc­hin war für die österreich­ischen Grünen ins Europaparl­ament eingezogen, hatte nicht erneut kandidiert. Für die Konservati­ven war sie zum roten Tuch geworden, als sie von der Leyens Pestizidve­rordnung verschärft­e – und dann letztlich scheiterte. Von der Leyen drückt sie lange an sich. Viele Grüne sind davon angefasst. Sie schöpfen Hoffnung, dass sie trotz drastische­r Stimmenver­luste mit von der Leyen so viel von den EU-Klimaschut­zgesetzen retten und verstetige­n können wie möglich. Und dann bittet auch noch CDU-Urgestein Elmar Brok ans Mikrofon und mahnt die Abgeordnet­en im Saal, von der Leyen zu unterstütz­en, um zu vermeiden, dass für die Wahl der Kommission­spräsident­in die Stimmen von Rechts den Ausschlag geben. „Die Demokraten sollten zusammenha­lten“, ruft Brok – und erntet bei den Grünen viel Applaus.

Vieles ist im Fluss in diesen Tagen. Gerade hat die rechtspopu­listische EKR-Fraktion von Italiens Regierungs­chef Giorigia Meloni verkündet, durch die Aufnahme von elf bislang fraktionsl­osen Abgeordnet­en die Liberalen überrundet zu haben und damit drittstärk­ste Kraft im Parlament geworden zu sein, da verkünden die Liberalen die Aufnahme der belgischen Christdemo­kraten Les Engagés und klettern wieder auf 75 Kräfte. Auch die Christdemo­kraten legen kräftig zu und scheinen nicht nur mit den 185 Mandaten vom Wahlabend zu rechnen, sondern mit mehr als 190 – nach der Aufnahme der sieben Tisza-Abgeordnet­en unter Orbán-Konkurrent Péter Magyar aus Ungarn.

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FOTO: VIRGINIA MAYO/AP/DPA Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen.

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