Von der Leyen wirbt um Unterstützung der Grünen
361 Stimmen braucht Ursula von der Leyen im EU-Parlament, wenn es mit ihrer zweiten Amtszeit klappen soll. Ein Signal an die Grünen lässt aufhorchen.
Es ist der Abend nach der Übereinkunft von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen zum neuen Spitzenpersonal der EU. In der Brüsseler NRW-Landesvertretung bereiten sich die Grünen darauf vor, ein Urgestein des Parlamentes und der Partei, den früheren Vorsitzenden Reinhard Bütikofer, nach 15 Jahren Europapolitik zu verabschieden. Man ist reichlich konsterniert, weil EVP-Chef Manfred Weber den Grünen die kalte Schulter zeigt, zunächst nur mit Sozialdemokraten und Liberalen verhandelt hat. Dabei wären sie doch auch wichtig, um von der Leyen in einem Monat in Straßburg die Mehrheit zu sichern. Aber gleich zum Beginn des Empfangs steht Ursula von der Leyen mitten unter den Grünen. Und an ihrer Seite Manfred Weber.
Schon das wäre ein besonderes Signal gewesen: Wertschätzung und Respekt für Bütikofers Lebenswerk aussprechen und wenige Minuten später zu einer der nächsten von vielen Verpflichtungen wechseln. Doch von der Leyen hat etwas mitgebracht. Zeit. Viel Zeit. In den USA wird Bedeutung in PT gemessen. Das steht für „Presidential Time“, also jene Zeit, die der Präsident mit einzelnen Gästen und bei einzelnen Veranstaltungen verbringt. Die laut US-Medien mächtigste Frau der Welt hat enorm viel Präsidentinnen-Zeit im Rucksack für den Austausch mit den Grünen. Am Ende werden es 41 Minuten sein.
Es ist nicht das Ausmaß der Präsenz bei Bütikofers Empfang allein, das klar macht, dass von der Leyen für ihre zweite Präsidentschaft die Grünen nicht links liegen lassen will. Sie hat Kabinettschef Björn Seibert mitgebracht, der ebenfalls den Kontakt zu wichtigen Grünen sucht, die Aktenmappe vor die Brust geklemmt, als wolle er jederzeit Wünsche notieren. Es sind auch ihre Begegnungen selbst und deren Herzlichkeit. Zunächst spricht sie mit dem ausgeschiedenen Fraktionschef Philippe Lamberts, dann steckt sie mehrfach den Kopf zusammen mit dessen Nachfolger Bas Eickhout, der für die Grünen in den nächsten Wochen auszuhandeln hat, was von der Leyen liefern muss, damit sie ihre Unterstützung bekommt.
Eine lange und herzliche Umarmung gilt Sarah Wiener. Die einstige Fernsehköchin war für die österreichischen Grünen ins Europaparlament eingezogen, hatte nicht erneut kandidiert. Für die Konservativen war sie zum roten Tuch geworden, als sie von der Leyens Pestizidverordnung verschärfte – und dann letztlich scheiterte. Von der Leyen drückt sie lange an sich. Viele Grüne sind davon angefasst. Sie schöpfen Hoffnung, dass sie trotz drastischer Stimmenverluste mit von der Leyen so viel von den EU-Klimaschutzgesetzen retten und verstetigen können wie möglich. Und dann bittet auch noch CDU-Urgestein Elmar Brok ans Mikrofon und mahnt die Abgeordneten im Saal, von der Leyen zu unterstützen, um zu vermeiden, dass für die Wahl der Kommissionspräsidentin die Stimmen von Rechts den Ausschlag geben. „Die Demokraten sollten zusammenhalten“, ruft Brok – und erntet bei den Grünen viel Applaus.
Vieles ist im Fluss in diesen Tagen. Gerade hat die rechtspopulistische EKR-Fraktion von Italiens Regierungschef Giorigia Meloni verkündet, durch die Aufnahme von elf bislang fraktionslosen Abgeordneten die Liberalen überrundet zu haben und damit drittstärkste Kraft im Parlament geworden zu sein, da verkünden die Liberalen die Aufnahme der belgischen Christdemokraten Les Engagés und klettern wieder auf 75 Kräfte. Auch die Christdemokraten legen kräftig zu und scheinen nicht nur mit den 185 Mandaten vom Wahlabend zu rechnen, sondern mit mehr als 190 – nach der Aufnahme der sieben Tisza-Abgeordneten unter Orbán-Konkurrent Péter Magyar aus Ungarn.