„Im Kleinen zu viel und im Großen zu wenig“
Der CDU- Chef äußert sich zu den Fehlern der EU, einer Reform der Schuldenbremse und seinem Ex-Nachbarn Oskar Lafontaine.
SAARLOUIS Mit einer Kundgebung im Theater am Ring in Saarlouis hat die CDU Saar den Schlussspurt im Europa- und Kommunalwahlkampf eingeläutet. Der Gastredner, CDU-Bundeschef Friedrich Merz, stellte sich bei seinem Saarland-Besuch den Fragen der SZ zu aktuellen Themen, die auch für das Saarland wichtig sind.
Herr Merz, Sie haben selbst ein paar Jahre im Saarland gelebt, waren Rechtsreferendar und Richter in Saarbrücken. Warum ist die Europawahl am 9. Juni aus Ihrer Sicht für das Saarland besonders wichtig?
MERZ Das Saarland ist eine der interessantesten und spannendsten Grenzregionen der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt kein zweites Bundesland, das eine so hohe Affinität zu Frankreich hat. Diese Brücke zwischen Deutschland und Frankreich ist in dieser Zeit ganz besonders wichtig. Für mich ist klar: Das deutsch-französische Verhältnis kann nicht so bleiben, wie es gegenwärtig ist. Denn so schadet es allen: Deutschland, Frankreich und Europa.
Welchen Bezug haben Sie heute noch zum Saarland?
MERZ Das Saarland ist Teil meiner Familie. Viele Verwandte meiner Frau leben im Saarland, meine Schwiegermutter wohnt in Saarbrücken. Wir sind relativ häufig hier. Wenn auf der Autobahn das Schild „Willkommen im Saarland“erscheint, fängt meine Frau auch an, wieder mit saarländischem Idiom zu sprechen.
Die saarländische CDU ist nach dem Wahldesaster bei der letzten Landtagswahl in ein tiefes Loch gefallen. Wie nehmen Sie den Landesverband heute wahr?
MERZ Der Landesvorsitzende Stephan Toscani geht mit neuem Elan an die Arbeit und weiß, dass die Partei im Saarland inhaltlich punkten und ein besseres Personalangebot machen muss. Eine meiner wichtigsten Aufgaben als Parteivorsitzender ist es, dafür zu sorgen, dass wir in den Ländern gute junge Leute gewinnen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Das sehe ich hier im Saarland.
Kann man so kurz nach einer Hochwasser-Katastrophe im Wahlkampf schon wieder zur Tagesordnung übergehen?
MERZ Wir haben uns genau diese Frage gestellt, und wir gehen ja auch nicht zur Tagesordnung über. Ich danke erst einmal den Helferinnen und Helfern, die sofort mit angepackt haben. Dieser Zusammenhalt ist großartig. Offensichtlich ist das Saarland auch gut vorbereitet gewesen und die Zusammenarbeit hat parteiübergreifend zwischen dem Land und den Kommunen gut funktioniert. Jetzt muss das Leben weitergehen. Wir müssen nach vorne blicken und diskutieren, was wir beim Klimaschutz tun müssen, damit so etwas nicht häufiger passiert.
Zum Beispiel?
MERZ Zum Beispiel eine gute Klimapolitik mit einer guten Wirtschaftsund Energiepolitik verbinden. Das sehen wir grundsätzlich anders als die Bundesregierung. Wir sind nicht der Meinung, dass die Politik das Leben der Menschen bis ins kleinste Detail hinein regulieren sollte. Wir wollen Ziele vorgeben. Ingenieure können dann gute Techniken entwickeln, um diese Ziele zu erreichen – und zwar so, dass andere Länder in der Welt sagen: Die Deutschen sind ein Vorbild! Zurzeit sieht das Ausland Deutschland mit der Ampel am Steuer eher als Geisterfahrer.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat Ihrer Fraktion kürzlich in einem Interview mit unserer Zeitung die Schuld daran gegeben, dass es nicht zu einer Entschuldung der Kommunen durch den Bund kommt. Blockieren Sie?
MERZ Es erstaunt mich, das von Christian Lindner zu hören. Ich höre aus der FDP, dass sie grundsätzlich nicht bereit ist, die Kommunen über den Bund zu entschulden. Wir würden zunächst einmal gerne einen Vorschlag der Bundesregierung sehen. Denn das ist eine relativ schwierige Frage, finanzpolitisch wie verfassungsrechtlich. Ich bin offen für Diskussionen, aber zunächst muss die Bundesregierung sagen, was sie will. Deshalb muss ich mit Entschiedenheit zurückweisen, dass wir hier irgendwas blockieren würden. Die Koalition ist sich nicht einig – wie leider so häufig.
Die saarländische Ministerpräsidentin fordert eine Lockerung der Schuldenbremse, auch mehrere CDU-Ministerpräsidenten sehen das so. Bewegt sich da was in Ihrer Partei?
MERZ Mein Eindruck ist, dass die SPD und große Teile der Grünen das Thema Schuldenbremse nutzen wollen, um die konsumtiven Ausgaben zulasten unserer Kinder und Enkel weiter zu erhöhen. Es gibt im Bundeshaushalt sehr viele Möglichkeiten zu sparen. Wir sehen natürlich auch, dass wir erhebliche Finanzierungsnotwendigkeiten in der Infrastruktur haben. Aber die finanziellen Spielräume dafür können wir nur gewinnen, wenn vor allem an anderer Stelle gespart wird. Darüber müssten wir zunächst einmal sprechen.
Sie sind also gesprächsbereit? Das ist neu.
MERZ Nein, das ist nicht neu. Wir sind zu allen Themen gesprächsbereit, denn wir wollen ja lieber früher als später selbst wieder politische Verantwortung für unser Land übernehmen. Ich habe den Sozialdemokraten gesagt: Wenn ihr den gesamten Sozialetat für unantastbar erklärt, und da reden wir mittlerweile über mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts, dann sind die Gespräche sinnlos.
Nochmals zur Europawahl: Worum kümmert sich Europa zu viel, worum zu wenig?
MERZ Im Kleinen zu viel und im Großen zu wenig, darüber sind Ursula von der Leyen und ich uns einig, auch in der Rückschau auf die letzten fünf Jahre. Zeitenwende muss auch für Europa gelten. Jean-Claude Juncker hat einmal gesagt: ‚Europa muss weltpolitikfähig werden.` Was heißt das? Wir werden nur weltpolitikfähig, wenn wir uns über gemeinsame Ziele in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik verständigen, den europäischen Binnenmarkt wirklich vollenden und darauf verzichten, im kleinsten Detail den Lebensalltag von 450 Millionen Menschen in der EU bestimmen zu wollen. Der Papierkram, die ganzen so genannten Berichtspflichten, die bis in den kleinsten Betrieb gelten, und dieses unfassbar dicht regulierte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – das sind alles Dinge, die zu viel sind.
... und für die Ihre Partei mitverantwortlich ist.
MERZ Selbstverständlich sind wir auch verantwortlich. Deshalb hat Ursula von der Leyen fest zugesagt, 25 Prozent dieser Regulierungen abzuschaffen. Das muss in den nächsten fünf Jahren geleistet werden.
Die SPD fordert von Ihnen ein klares Bekenntnis, dass die Union nach der EU-Wahl nicht mit Rechtspopulisten und Rechtsradikalen zusammenarbeitet, um Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zu wählen. Können Sie dieses Bekenntnis geben?
MERZ Wenn er nicht tragisches Opfer eines Attentats geworden wäre, hätte ich einmal die Frage zurückgestellt, was eigentlich die sozialdemokratische Fraktion und Partei in Europa mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Fico machen will? Fico ist ein ausgewiesener Putin-Freund. Gerade die SPD braucht uns also keine Belehrungen zu erteilen. Für uns ist völlig klar: Wir werden mit Rechtsextremisten und mit Rechtspopulisten nicht zusammenarbeiten.
Wie blicken Sie heute auf Ihren früheren Saarbrücker Nachbarn Oskar Lafontaine?
MERZ Mit Nachsicht und an der einen oder anderen Stelle auch mit Kopfschütteln. Oskar Lafontaine und ich haben uns persönlich immer gut verstanden, politisch waren wir uns sehr selten einig. Das sind halt die Irrungen und Wirrungen des Oskar L. aus dem Saarland.