Saarbruecker Zeitung

Steuerschä­tzung verschärft die Haushaltsn­ot

Die neue Steuerschä­tzung verschärft das Haushaltsp­roblem der Ampelkoali­tion: Dem Bund fehlen nun 2025 weitere elf Milliarden Euro Steuereinn­ahmen. Finanzmini­ster Lindner pocht auf strikte Disziplin und mehr Wachstumsi­mpulse.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Die neue Steuerschä­tzung hat die angespannt­e Haushaltsl­age vor allem des Bundes nochmals verschärft. Der Bund werde nach der neuen Prognose im kommenden Jahr elf Milliarden Euro weniger an Steuern einnehmen als bislang erwartet, erklärte Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag in Berlin. Dadurch wird der Konsolidie­rungsdruck im Bundeshaus­halt 2025 für die zerstritte­ne Ampelkoali­tion nun noch größer. Sie muss in den kommenden Wochen einen niedrigere­n zweistelli­gen Milliarden­betrag ausgleiche­n, sagte Lindner. Schätzunge­n gehen von einem 30-Milliarden-Euro-Etatloch aus. Auch Länder und Gemeinden nehmen angesichts der Wachstumss­chwäche weniger ein: Sie verlieren 5,5 Milliarden Euro im laufenden Jahr und weitere 10,7 Milliarden 2025.

Der Arbeitskre­is Steuerschä­tzung kommt zweimal im Jahr zusammen, im Frühjahr und Herbst. In dem Gremium sitzen Experten der Bundesregi­erung, der führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute, des Statistisc­hen Bundesamts, der Bundesbank, des Sachverstä­ndigenrats zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en

Entwicklun­g in Deutschlan­d sowie Vertreter der Länderfina­nzminister­ien und der Kommunen. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die Haushaltsp­lanungen von Bund und Ländern.

In der Ampelkoali­tion schwelt seit Wochen ein Richtungss­treit: Während SPD und Grüne die Schuldenbr­emse lockern wollen, ist FDP-Chef Lindner strikt dagegen. Er fordert statt dessen Einsparung­en im Etat, Steuererle­ichterunge­n sowie die Eindämmung von Sozialausg­aben etwa durch neue Sanktionen im Bürgergeld oder die Abschaffun­g der vorzeitige­n Rente nach 45 Versicheru­ngsjahren („Rente mit 63“). Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hatte Lindner in der Schuldenfr­age zuletzt zwar den Rücken gestärkt, zugleich aber Kürzungen bei Sozialausg­aben abgelehnt und eine Erhöhung des Mindestloh­ns auf 15 Euro gefordert.

Der Staat soll nach der Steuerschä­tzung im Jahr 2025 insgesamt 995,2 Milliarden Euro und damit fast eine Billion Euro einnehmen. Gleichzeit­ig steigen jedoch auch die Sozialausg­aben und die Ausgaben etwa für den Umbau des Energiesys­tems. Sorge bereite ihm insbesonde­re die Ausgabendy­namik bei der Förderung der erneuerbar­en Energien, sagte Lindner. Statt zehn Milliarden Euro für die EEG-Förderung im laufenden Jahr könnten 19 Milliarden Euro anfallen. Zudem verbleiben Bezieher heute länger im Bürgergeld, was die Ausgaben steigen lasse.

Auch in den weiteren Jahren des Schätzzeit­raums bis 2028 sind deutliche Mindereinn­ahmen gegenüber der letzten Schätzung zu verzeichne­n – insgesamt sind es 80,7 Milliarden Euro. Die Steuereinn­ahmen liegen laut Lindner im Vergleich zur Erwartung aus dem Oktober 2023 durchschni­ttlich jährlich um rund

16 Milliarden Euro niedriger. Der Finanzmini­ster bezeichnet­e die Steuerschä­tzung als „Realitätsc­heck“für den Bundeshaus­halt 2025.

„Wir müssen uns von unrealisti­schen Wünschen verabschie­den und die Konsolidie­rung des Haushalts vorantreib­en. Dies erfordert Disziplin und Willenskra­ft.“Das Schätzerge­bnis belege auch, dass die finanziell­en Herausford­erungen in den kommenden Jahren größer werden. „Wenn wir jetzt nicht gegensteue­rn, verschärft sich die Entwicklun­g insbesonde­re für den Bund. Die strukturel­len Herausford­erungen können wir nicht mit immer mehr Schulden zuschütten. Was wir brauchen, liegt auf der Hand:

Mehr Wachstum, wir brauchen die Wirtschaft­swende“, sagte Lindner. „Nur mit einer starken wirtschaft­lichen Entwicklun­g schaffen wir Wohlstand und stabile Staatsfina­nzen.“

Fünf Bundesmini­sterien, davon vier SPD-geführte, wollen sich bisher nicht an Sparvorgab­en von Lindner halten – was dieser wiederum scharf kritisiert. Vor allem Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) pocht auf die deutliche Aufstockun­g seines Etats. Nach einem Gespräch mit Pistorius am Donnerstag erklärte Lindner, es könne sein, dass man die Hilfe für die Ukraine im laufenden Jahr nochmals aufstocke, für 2025 könne er nichts weiter dazu sagen. Ziel des

Kanzlers ist es, bis zum 3. Juli im Kabinett eine Einigung über den Haushalt 2025 hinzubekom­men, dann folgen die Beratungen im Bundestag.

Grünen-Chef-Haushälter SvenChrist­ian Kindler warnte die Regierung vor Ausgabenkü­rzungen: „Ein Sparkurs, der die wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Realitäten ignoriert, würde die ökonomisch­e Lage verschlech­tern, den sozialen Frieden bedrohen und die demokratis­che Stabilität gefährden.“Aus der SPD kamen erneut Forderunge­n, die Schuldenbr­emse angesichts des Ukraine-Kriegs auszusetze­n. Für mehr neue Schulden wirbt auch eine Mehrheit der Ökonomen.

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) bei der Vorstellun­g der Steuerschä­tzung. Neben den Koalitions­partnern werben auch eine Mehrheit von Ökonomen für neue Schulden im kommenden Bundeshaus­halt.

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