AOK will regionale Versorgungszentren
Statt bundeseinheitlicher Vorgaben für die medizinische Versorgung vor Ort fordert die AOK die Möglichkeit, dass Regionen und Kommunen selbst entscheiden, welche ärztlichen und pflegerischen Angebote sie anbieten wollen.
Im deutschen Gesundheitssystem gibt es zwei sogenannte Sektoren, die noch streng voneinander getrennt sind: ambulante Behandlungen durch niedergelassene Ärzte und stationäre Behandlungen in Krankenhäusern. Seit vielen Jahren beteuert die Politik, die Grenzen zwischen beiden Sektoren beseitigen zu wollen. So steht es auch im Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums zum geplanten Krankenhausgesetz.
Die AOK, die größte Krankenversicherung in Deutschland und im Saarland, hat jetzt Vorschläge erarbeitet, um „die starren, zum Teil zentralistischen und nicht mehr zeitgemäßen“Sektorengrenzen aufzulösen und die ambulanten und stationären Bereiche eng miteinander zu vernetzen. Dadurch sollen Engpässe bei der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen aufgelöst werden. Im Saarland besteht im Raum Wadern bereits eine Unterversorgung, im Nordsaarland droht eine.
Der Mangel an Versorgungsangeboten müsse auch behoben werden, „um den zunehmenden Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des Staates zu begegnen“, schreibt der AOK-Bundesverband in seinem Positionspapier „Gesundheitsregionen: Sektorenunabhängige Versorgung gestalten“. Die vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen im Gesundheitssystem würden nicht immer wirksam und wirtschaftlich eingesetzt. Sie flössen noch zu häufig in Strukturen, die reformbedürftig seien und die Ergebnisse lieferten, die den erheblichen Einsatz dieser Mittel nicht rechtfertigten.
Die AOK fordert Lösungen, die den regional Verantwortlichen den Handlungsfreiraum geben, die medizinische Versorgung vor Ort dem Bedarf und den Möglichkeiten anzupassen. Mit den heute bundesweit gültigen Gesetzen und
Rahmenverträgen sei eine maßgeschneiderte medizinische Versorgung auf kommunaler Ebene nicht möglich.
Die AOK will nicht nur eine enge Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken auf regionaler Ebene, sondern deutlich breitere Versorgungsnetzwerke, in die auch Pflegeheime, ambulante Pflegedienste, Kommunen, Sozialund Gesundheitsämter und die Krankenkassen einbezogen sind. „Die Kranken- und Pflegekassen sollen mit den Erbringern medizinischer Leistungen eine neue Form von Verträgen schließen können“, heißt es im Positionspapier. Die AOK nennt Beispiele für neue Versorgungsstrukturen:
Kassenzulassung für Klinikärzte: Ein Krankenhaus, das über eine recht gute personelle und technische Ausstattung verfügt, lässt sich dennoch nicht wirtschaftlich betreiben, weil es mehrere andere Kliniken in der Nachbarschaft gibt. Die AOK schlägt vor, dass die Klinikärzte auch eine Zulassung als Kassenärzte erhalten, um dauerhaft die regionale ambulante Versorgung stärken zu
können. Das ist heute nur in Ausnahmefällen möglich.
Regionales Versorgungszentrum: In vielen Regionen fehlen seit Jahren Hausärzte. Im Saarland sind nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung derzeit 77,25 Hausarztstellen nicht besetzt. Die noch tätigen
Hausärzte können besonders anfällige und vor allem ältere Patienten bei Erkrankungen, die eigentlich gut ambulant therapierbar sind, nicht so umfassend wie nötig betreuen. Daher müssen Patienten oft vollstationär im Krankenhaus aufgenommen werden.
Derzeit gibt es keine gesetzliche Grundlage für eine Rund-um-die
Uhr-Versorgung solcher Patienten außerhalb der Kliniken. Die Lösung könnte ein regionales Versorgungszentrum sein, in dem Ärzte mit Pflegediensten zusammenarbeiten. In diesem Zentrum gäbe es auch einige Betten, sodass Patienten bei Bedarf über Nacht unter Aufsicht bleiben könnten. Die Krankenhäuser würden dadurch entlastet.
Primärversorgungszentrum: Obwohl sich in vielen ländlichen Regionen der Mangel an Hausärzten verschärft, sind in den Praxen angestellte Ärzte und neue Ärzte nicht bereit, eine Praxis zu übernehmen. Sie scheuen das finanzielle Risiko. Die betroffene Gemeinde könnte sich in enger Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung und mit den Krankenkassen dafür entscheiden, ein sogenanntes Primärversorgungszentrum zu gründen und Ärzte und Fachpersonal als Angestellte zu beschäftigen.
Sektorenübergreifendes Versorgungszentrum: Eine kleine Klinik hat seit vielen Jahren Probleme, Personal zu gewinnen, sodass eine ärztliche Versorgung der Patienten rund um die Uhr nur unter Schwierigkei
ten möglich ist. Der Personalmangel führt zu Qualitätsproblemen, aufgrund der geringen Patientenzahlen steht immer wieder die Schließung zur Diskussion. Die Bevölkerung will auf das kleine Krankenhaus jedoch nicht verzichten. In einem solchen Fall schlägt die AOK eine Umgestaltung zu einem sektorenübergreifenden Versorgungszentrum vor. Die ärztliche Versorgung soll ein Bereitschaftsdienst niedergelassener Ärzte sicherstellen, die auch ambulant operieren. Ein Schwerpunkt soll die medizinischpflegerische Versorgung sein. Patienten, die zum Beispiel unter mehreren Erkrankungen leiden und sich zusätzlich mit einem Virus infiziert haben, sollen vorübergehend im Versorgungszentrum, das über einige stationäre Betten verfügt, rund um die Uhr betreut werden. Durch dieses Konzept könnten die benachbarten Krankenhäuser entlastet werden. Sie müssten keine Patienten aufnehmen, für die die Pflege im Versorgungszentrum ausreicht, und in der Notaufnahme keine Patienten behandeln, die im Versorgungszentrum angemessen therapiert werden.
Die AOK schlägt vor, dass Klinikärzte auch eine Zulassung als Kassenärzte erhalten, um dauerhaft die regionale ambulante Versorgung stärken zu können. Das geht bisher nur in Ausnahmefällen.