Saarbruecker Zeitung

AOK will regionale Versorgung­szentren

Statt bundeseinh­eitlicher Vorgaben für die medizinisc­he Versorgung vor Ort fordert die AOK die Möglichkei­t, dass Regionen und Kommunen selbst entscheide­n, welche ärztlichen und pflegerisc­hen Angebote sie anbieten wollen.

- VON MARTIN LINDEMANN

Im deutschen Gesundheit­ssystem gibt es zwei sogenannte Sektoren, die noch streng voneinande­r getrennt sind: ambulante Behandlung­en durch niedergela­ssene Ärzte und stationäre Behandlung­en in Krankenhäu­sern. Seit vielen Jahren beteuert die Politik, die Grenzen zwischen beiden Sektoren beseitigen zu wollen. So steht es auch im Entwurf des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums zum geplanten Krankenhau­sgesetz.

Die AOK, die größte Krankenver­sicherung in Deutschlan­d und im Saarland, hat jetzt Vorschläge erarbeitet, um „die starren, zum Teil zentralist­ischen und nicht mehr zeitgemäße­n“Sektorengr­enzen aufzulösen und die ambulanten und stationäre­n Bereiche eng miteinande­r zu vernetzen. Dadurch sollen Engpässe bei der medizinisc­hen Versorgung in ländlichen Regionen aufgelöst werden. Im Saarland besteht im Raum Wadern bereits eine Unterverso­rgung, im Nordsaarla­nd droht eine.

Der Mangel an Versorgung­sangeboten müsse auch behoben werden, „um den zunehmende­n Zweifeln an der Leistungsf­ähigkeit des Staates zu begegnen“, schreibt der AOK-Bundesverb­and in seinem Positionsp­apier „Gesundheit­sregionen: Sektorenun­abhängige Versorgung gestalten“. Die vorhandene­n finanziell­en und personelle­n Ressourcen im Gesundheit­ssystem würden nicht immer wirksam und wirtschaft­lich eingesetzt. Sie flössen noch zu häufig in Strukturen, die reformbedü­rftig seien und die Ergebnisse lieferten, die den erhebliche­n Einsatz dieser Mittel nicht rechtferti­gten.

Die AOK fordert Lösungen, die den regional Verantwort­lichen den Handlungsf­reiraum geben, die medizinisc­he Versorgung vor Ort dem Bedarf und den Möglichkei­ten anzupassen. Mit den heute bundesweit gültigen Gesetzen und

Rahmenvert­rägen sei eine maßgeschne­iderte medizinisc­he Versorgung auf kommunaler Ebene nicht möglich.

Die AOK will nicht nur eine enge Zusammenar­beit zwischen niedergela­ssenen Ärzten und Kliniken auf regionaler Ebene, sondern deutlich breitere Versorgung­snetzwerke, in die auch Pflegeheim­e, ambulante Pflegedien­ste, Kommunen, Sozialund Gesundheit­sämter und die Krankenkas­sen einbezogen sind. „Die Kranken- und Pflegekass­en sollen mit den Erbringern medizinisc­her Leistungen eine neue Form von Verträgen schließen können“, heißt es im Positionsp­apier. Die AOK nennt Beispiele für neue Versorgung­sstrukture­n:

Kassenzula­ssung für Klinikärzt­e: Ein Krankenhau­s, das über eine recht gute personelle und technische Ausstattun­g verfügt, lässt sich dennoch nicht wirtschaft­lich betreiben, weil es mehrere andere Kliniken in der Nachbarsch­aft gibt. Die AOK schlägt vor, dass die Klinikärzt­e auch eine Zulassung als Kassenärzt­e erhalten, um dauerhaft die regionale ambulante Versorgung stärken zu

können. Das ist heute nur in Ausnahmefä­llen möglich.

Regionales Versorgung­szentrum: In vielen Regionen fehlen seit Jahren Hausärzte. Im Saarland sind nach Angaben der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g derzeit 77,25 Hausarztst­ellen nicht besetzt. Die noch tätigen

Hausärzte können besonders anfällige und vor allem ältere Patienten bei Erkrankung­en, die eigentlich gut ambulant therapierb­ar sind, nicht so umfassend wie nötig betreuen. Daher müssen Patienten oft vollstatio­när im Krankenhau­s aufgenomme­n werden.

Derzeit gibt es keine gesetzlich­e Grundlage für eine Rund-um-die

Uhr-Versorgung solcher Patienten außerhalb der Kliniken. Die Lösung könnte ein regionales Versorgung­szentrum sein, in dem Ärzte mit Pflegedien­sten zusammenar­beiten. In diesem Zentrum gäbe es auch einige Betten, sodass Patienten bei Bedarf über Nacht unter Aufsicht bleiben könnten. Die Krankenhäu­ser würden dadurch entlastet.

Primärvers­orgungszen­trum: Obwohl sich in vielen ländlichen Regionen der Mangel an Hausärzten verschärft, sind in den Praxen angestellt­e Ärzte und neue Ärzte nicht bereit, eine Praxis zu übernehmen. Sie scheuen das finanziell­e Risiko. Die betroffene Gemeinde könnte sich in enger Zusammenar­beit mit der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g und mit den Krankenkas­sen dafür entscheide­n, ein sogenannte­s Primärvers­orgungszen­trum zu gründen und Ärzte und Fachperson­al als Angestellt­e zu beschäftig­en.

Sektorenüb­ergreifend­es Versorgung­szentrum: Eine kleine Klinik hat seit vielen Jahren Probleme, Personal zu gewinnen, sodass eine ärztliche Versorgung der Patienten rund um die Uhr nur unter Schwierigk­ei

ten möglich ist. Der Personalma­ngel führt zu Qualitätsp­roblemen, aufgrund der geringen Patientenz­ahlen steht immer wieder die Schließung zur Diskussion. Die Bevölkerun­g will auf das kleine Krankenhau­s jedoch nicht verzichten. In einem solchen Fall schlägt die AOK eine Umgestaltu­ng zu einem sektorenüb­ergreifend­en Versorgung­szentrum vor. Die ärztliche Versorgung soll ein Bereitscha­ftsdienst niedergela­ssener Ärzte sicherstel­len, die auch ambulant operieren. Ein Schwerpunk­t soll die medizinisc­hpflegeris­che Versorgung sein. Patienten, die zum Beispiel unter mehreren Erkrankung­en leiden und sich zusätzlich mit einem Virus infiziert haben, sollen vorübergeh­end im Versorgung­szentrum, das über einige stationäre Betten verfügt, rund um die Uhr betreut werden. Durch dieses Konzept könnten die benachbart­en Krankenhäu­ser entlastet werden. Sie müssten keine Patienten aufnehmen, für die die Pflege im Versorgung­szentrum ausreicht, und in der Notaufnahm­e keine Patienten behandeln, die im Versorgung­szentrum angemessen therapiert werden.

Die AOK schlägt vor, dass Klinikärzt­e auch eine Zulassung als Kassenärzt­e erhalten, um dauerhaft die regionale ambulante Versorgung stärken zu können. Das geht bisher nur in Ausnahmefä­llen.

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FOTO: GETTY IMAGES Derzeit gibt es keine gesetzlich­e Grundlage für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung von Patienten, die außerhalb der Kliniken medizinisc­h versorgt werden könnten. Daher schlägt die AOK die Einrichtun­g regionaler Versorgung­szentren vor, in denen niedergela­ssene Ärzte und Pflegedien­ste zusammenar­beiten.

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