Neue Regeln für über fünf Millionen künftige Bürgergeld-Bezieher
Im Schnellverfahren haben sich die Ampel-Koalition und die Union zu Wochenbeginn auf Kompromisse beim geplanten Bürgergeld-Gesetz geeinigt. Die SPD feiert den „wirklichen Kulturwandel“, der mit dem Bürgergeld einhergehe, für sie ist das Trauma Hartz IV damit überwunden. Die Union sieht sich als Siegerin der Verhandlungen, denn sie konnte viel durchsetzen. Grüne und FDP mussten dagegen Federn lassen. Am Mittwochabend einigte sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat auf das geplante Bürgergeld, das erfuhr die Deutsche PresseAgentur aus Teilnehmerkreisen. So kann die Reform noch diese Woche in Bundestag und Länderkammer beschlossen werden.
Was ist das Bürgergeld?
Die Sozialleistung soll ab 1. Januar 2023 das bisherige Arbeitslosengeld II (im Volksmund Hartz IV) ablösen, das 5,3 Millionen Menschen in Deutschland beziehen. Die Leistung erhält für sich und seine Familie, wer bereits mehr als zwei
Jahre nach dem Bezug des regulären Arbeitslosengeldes erwerbslos ist. Wie hoch ist das Bürgergeld?
Der Regelsatz wird ab Januar für einen Single um 53 Euro oder gut elf Prozent auf 502 Euro monatlich angehoben. Für Ehe- oder Lebenspartner erhöht sich der Satz auf jeweils 451 Euro, für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren auf 420 Euro, für Sechs- bis 13-Jährige auf 348 Euro und für jüngere Kinder auf 318 Euro. Das Sozialamt übernimmt zudem Kaltmiete, Betriebskosten (ohne Strom) und Heizkosten in angemessener Höhe. Während der Corona-Pandemie wurde bereits in den vergangenen zwei Jahren die Prüfung der Angemessenheit einer Wohnung ausgesetzt. Die Städte legen aber jedes Jahr Obergrenzen für die Mieten fest, die weiterhin galten.
Für wen gelten diese Regelsätze noch?
Die gleichen Regelsätze erhalten die rund 1,1 Millionen Bezieher der Grundsicherung im Alter, deren gesetzliche Rente nicht für den Lebensunterhalt ausreicht. Auch rund eine Million Empfänger von Sozialgeld, die als nicht erwerbsfähig eingestuft sind, bekommen die gleichen Regelsätze.
Was gilt künftig bei den Sanktionen?
Bisher wollte die Ampel eine sogenannte Vertrauenszeit von sechs Monaten nach Beginn des Bezugs einführen, in der die Ämter weitgehend auf Sanktionen bei Regelverstößen verzichten. Eine Kürzung des Regelsatzes um zehn Prozent sollte vorübergehend nur dann noch möglich sein, wenn jemand mehrfach beim Amt nicht erscheint. Die Vertrauenszeit wurde nun auf Druck der Union komplett gestrichen. Nun sind Kürzungen um bis zu 30 Prozent vom ersten Tag an möglich, wenn etwa ein Jobangebot grundlos nicht angenommen wird. Vor allem die Grünen mussten hier nachgeben.
Worauf einigten sich Ampel und Union beim Schonvermögen?
Bisher sollte nach den Ampel-Plänen ein Haushaltsvorstand bis zu 60 000 Euro Erspartes plus 30 000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied nicht antasten müssen, wenn er das Bürgergeld bezieht – plus die Altersvorsorge-Verträge oder eigene
Immobilie. Diese Summen wurden jetzt auf Drängen der Union auf 40 000 Euro für den Haushaltsvorstand und 15 000 für jedes weitere Haushaltsmitglied reduziert.
Was gilt bei der „Karenzzeit“?
Künftig sollen Bezieher für Selbstverdientes zwischen 520 und 1000 Euro im Monat 30 Prozent behalten dürfen, der Rest wird auf das Bürgergeld angerechnet, das heißt, es mindert sich um das Selbstver
diente. Bisher lag der Abzug bei 80 Prozent. Ökonomen halten diese Änderung für nicht weitgehend genug, um Anreize für Mehrarbeit zu setzen. Die Verbesserung erhöht allerdings den Empfängerkreis, was beim Staat Mehrausgaben verursacht. Möglich war allerdings, dass der Vermittlungsausschuss hier am Mittwoch noch einmal nachbessert.
Was gilt bei den Hinzuverdienstregeln und beim Ehrenamt?
Wer oberhalb der Minijob-Grenze (520 Euro) bis zu 1 000 Euro hinzuverdient, kann 30 statt 20 Prozent der Einkünfte behalten. Schüler und Studierende können künftig den Lohn aus einem Minijob behalten, statt bisher weniger als 200 Euro. Auszubildenden bleiben von der Ausbildungsvergütung künftig mehr als 600 Euro. Wer ein Ehrenamt hat, behält nach der Reform ab Januar mehr von der Aufwandsentschädigung.
Wie viel Sozialhilfe erhalten Bezieher in Großbritannien und Frankreich?
Ein Empfänger des „Universal Credit“in Großbritannien erhält einen Regelsatz von 334,91 Pfund oder 388 Euro im Monat. Wer über ein Vermögen von mehr als 16 000 Pfund oder 18 500 Euro verfügt, hat keinen Anspruch. Frankreich ist großzügiger: Wer das „Revenue de Solidarité Active“(RSA) beantragt, bekommt als Single 598,54 Euro monatlich. Für Alleinerziehende mit einem Kind erhöht es sich auf 897,81 Euro, mit zwei Kindern auf 1077,37 Euro. Ein Paar erhält so viel wie Alleinerziehende mit Kind.