Saarbruecker Zeitung

Europas Städte sollen Ukraine wiederaufb­auen

Die Vertreter der europäisch­en Städte und Regionen haben sich mit Hilfen für die Ukraine beschäftig­t. Auf große Zustimmung ist eine Anregung aus Rom gestoßen.

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik David Seel

BRÜSSEL Wenn Politik konkret werden soll, dann ist ein Wechsel auf die Ebene der Städte und Gemeinden empfehlens­wert. Genau so verhält es sich nun auch beim europäisch­en Beistand für die von Russland mit einem Angriffskr­ieg überzogene Ukraine. Bei einer Konferenz europäisch­er Städte und Regionen in Brüssel machte der live zugeschalt­ete Bürgermeis­ter von Lviv in der Westukrain­e, Andriy Sadovyi, am Mittwoch klar: „1427 Gemeinden suchen neue Partner in Europa.“Roms Bürgermeis­ter Roberto Gualtieri griff das sofort auf, warb nicht nur für Städtepart­nerschafte­n, sondern gleich auch für konkrete Projekte: „Wir haben eine zerstörte ukrainisch­e Schule adoptiert und bauen sie wieder auf, das sollten viele andere Städte in Europa auch so machen.“

Beklemmend­e Szenen spielten sich im Tagungssaa­l des Ausschusse­s der Regionen, einem Spitzen-Beratungsg­remium der Europäisch­en Union, ab, sooft die Repräsenta­nten attackiert­er und zerstörter Städte live zu den Repräsenta­nten der EU sprachen. „Vor zwei Monaten waren unsere Straßen noch voll mit Familien, jetzt sind sie zu Grabstätte­n geworden“, sagte Vadym Boyschenko, der Bürgermeis­ter von Mariupol.

Die russischen Soldaten hätten 90 Prozent der städtische­n Infrastruk­tur zerstört. Über 20 000 Bürger seien Opfer des Krieges geworden, das seien doppelt so viele wie während der Belagerung seiner Stadt im Zweiten Weltkrieg. „Wir verteidige­n uns jetzt gegen den Faschismus des 21. Jahrhunder­ts“, erklärte Boyschenko. Trotz der fast aussichtsl­osen Lage in Mariupol sprach der Bürgermeis­ter bereits davon, dass es „nach unserem Sieg“um den schnellen Wiederaufb­au gehen müsse. Dafür hatte er auch schon konkrete Vorschläge an die Adresse der europäisch­en Städtevert­reter: Die EU möge Teams von Sachverstä­ndigen zusammenst­ellen und die Ukraine beim Wiederaufb­au ihrer Städte nach den Gesichtspu­nkten des modernen Städtebaus beraten. Er regte die Bildung eines finanziell­en Fonds an, mit dem der „Wiederaufb­au der Heldenstad­t Mariupol“unterstütz­t werden könne. Und er empfahl, dass jedes Dorf in der Ukraine eine Städtepart­nerschaft mit einem Dorf oder einer Stadt in der EU begründe. Andere Experten rieten dazu, dass sich für jede ukrainisch­e Kommune rund zehn EU-Kommunen finden sollten.

Namens der Organisati­on ukrainisch­er Städte erklärte Kiews Bürgermeis­ter Vitali Klitschko: „Wir alle wollen Teil der europäisch­en Familie werden, um moderne, demokratis­che und europäisch­e Verhältnis­se in der Ukraine zu schaffen – das akzeptiert Russland nicht.“Er sprach davon, dass die Ukrainer den Krieg jeden Tag als „furchtbare Tragödie“erlebten. Letztlich sei er aber auch für Russland eine Tragödie, auch wenn es die Russen im Moment noch nicht verstünden. Klitschko rief die Städtevert­reter dazu auf, den ukrainisch­en Antrag auf Aufnahme in die EU zu unterstütz­en. „Das ist unser Traum, bleibt unser Ziel“, sagte Klitschko.

Ivan Fedorov, der zwischenze­itlich von russischen Soldaten entführte Bürgermeis­ter von Melitopol, schilderte seine Gefangensc­haft, in der er nie gewusst habe, was am nächsten Tag mit ihm geschehen werde. Er dankte den EU-Städtevert­retern für ihre Unterstütz­ung bei seiner Freilassun­g, wies jedoch darauf hin, dass immer noch mehr als 50 Bürgermeis­ter und Gemeindera­tsmitglied­er entführt seien. Allerdings hätten die ukrainisch­en Streitkräf­te auch schon mehr als tausend Dörfer wieder befreien können. Viele Flüchtling­e wollten deshalb so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat. „Aber wir müssen die Städte erst wieder aufbauen“, meinte Fedorov.

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FOTO: IMAGO IMAGES Völlig zerstört ist die ukrainisch­e Stadt Mariupol. Ihr Bürgermeis­ter Vadym Boyschnko denkt schon über den Aufbau der Metropole nach.

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