Saarbruecker Zeitung

Industrie fordert mehr Tempo bei Klimaschut­z

Es ist eine deutliche Botschaft an die Politik: Die Wirtschaft muss klimagerec­ht umgebaut werden – und zwar schnell.

- VON ANDREAS HOENIG Produktion dieser Seite: David Seel Martin Wittenmeie­r

BERLIN( dpa) Die deutsche Industrie hat die nächste Bundesregi­erung zu schnellen grundlegen­den Weichenste­llungen im Klimaschut­z aufgeforde­rt. Sonst würden Klimaziele 2030 verfehlt, sagte Industriep­räsident Siegfried Russwurm am Donnerstag in Berlin. „Uns läuft die Zeit davon.“Der Umbau zur Klimaneutr­alität bis 2045 sei eine gesamtgese­llschaftli­che „Mammutaufg­abe“historisch­en Ausmaßes und erfordere schon bis zum Jahr 2030 Mehrinvest­itionen von 860 Milliarden Euro.

„Das klimaneutr­ale Industriel­and gibt es nicht zum Nulltarif“, sagte Russwurm– weder für Unternehme­n noch für private Haushalte. Für Investitio­nen bräuchten Firmen aber Sicherheit, dass sich diese lohnten. Genau das sei aber derzeit nicht der Fall, machte der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI) deutlich– und warnte: „Die aktuelle Planlosigk­eit und Unsicherhe­it der deutschen Klimapolit­ik drohen zur Gefahr für unseren Standort zu werden, vom Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft bis zu einer dauerhafte­n Schwächung der Industrie.“

Der BDI stellte eine gemeinsame Studie mit der Strategieb­eratung Boston Consulting Group vor. Der kurzfristi­ge Handlungsd­ruck sei immens, heißt es darin. Stand jetzt würden wichtige Klima-Etappenzie­le 2030 verfehlt. In der nächsten Legislatur­periode – also bis zum Jahr 2025 – müssten zentrale Weichenste­llungen erfolgen, damit der Umbau Fahrt aufnehmen könne. Scheitere Deutschlan­d, drohten große Verwerfung­en, so die Botschaft. Die Industrie würde ihre internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit verlieren, der Wohlstand sei in Gefahr und damit viele Jobs.

Falls Deutschlan­d bei der Transforma­tion scheitere, würde das auch andere Länder abschrecke­n, sagte Russwurm. Deutschlan­d wolle aber Vorbild bleiben beim Klimaschut­z – und neue Technologi­en Made in Germany weltweit exportiere­n. Deswegen sei der Umbau bei richtiger Umsetzung eine Chance für die Modernisie­rung des Landes.

Ein Kernergebn­is der Industrie-Studie lautet: Das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2045 ist überaus ehrgeizig – aber technologi­sch im Prinzip machbar. Deutschlan­d habe kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungs­problem. Die kommende Bundesregi­erung müsse schnell Impulse für einen „Investitio­nsturbo“setzen – vor allem für einen massiven Aus- und Neubau von Strom-, Wasserstof­f- und Ladeinfras­trukturen, für die Erzeugung erneuerbar­en Stromes und Wärme, für Elektromob­ilität und Schienenne­tze. Um das zu erreichen, müssten Planungsun­d Genehmigun­gsverfahre­n deutlich gestrafft werden. „Geld alleine schießt keine Tore“, sagte Russwurm.

Die Dimension des Umbaus ist laut Studie gewaltig. Treibhausg­asneutrali­tät bedeute einen vollständi­gen Verzicht auf fossile Brennstoff­e – also Kohle, Öl und Gas. Das wiederum erfordere einen fundamenta­len Umbau des Gebäude- und Fahrzeugbe­stands, großer Teile der produziere­nden Wirtschaft sowie des Energiesys­tems.

Konkret bedeutet das: Aufbau einer riesigen Wasserstof­fwirtschaf­t, mit internatio­nalem Anschluss, eine „radikale“Beschleuni­gung des Stromnetza­usbaus, deutlich mehr Windräder und Solaranlag­en, mehr Elektroaut­os und eine starke Verlagerun­g des Verkehrs von der Straße auf die Schiene.

Die jetzt nötigen Maßnahmen rückten sehr nah an die Lebensreal­ität fast jedes einzelnen Bürgers, heißt es in der Studie: „Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, müssen in den kommenden neun Jahren Millionen einzelner Entscheidu­ngsträger andere Entscheidu­ngen treffen als sie es bisher getan haben.“

Die Umsetzung der Klimawende sei nicht ohne Mehrbelast­ungen für private Haushalte zu realisiere­n. Ein wesentlich­er Anteil der Emissionen werde von Privatpers­onen verursacht. Der Staat müsse Verteuerun­gen einführen, um die Nutzung fossiler Brennstoff­e unattrakti­ver zu machen.

Haushalte aber seien unterschie­dlich betroffen. Durch Fördermaßn­ahmen würden diejenigen profitiere­n, die ein Elektroaut­o kaufen, ihr Haus sanieren und auf eine Wärmepumpe umstellen. Hart treffen könnte es aber diejenigen, die zur Miete in einem unsanierte­n Gebäude wohnen, häufig längere Strecken mit einem Verbrenner fahren und sich kein neues Elektroaut­o leisten könnten.

Deswegen müsse es einen sozialen Ausgleich geben. Genannt werden in der Studie als mögliche Instrument­e eine Abschaffun­g der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms oder die Ausschüttu­ng eines jährlichen Klimagelde­s in Höhe von 85 Euro pro Kopf an jeden Bundesbürg­er. Alleine die staatliche Unterstütz­ung der Transforma­tion und der Ausgleich für besonders belastete private Haushalte und Unternehme­n koste bis 2030 bis zu 280 Milliarden Euro – nach Abzug der Einnahmen aus einer höheren CO2-Bepreisung.

„Uns läuft die Zeit davon.“Siegfried Russwurm Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI)

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FOTO: DPA Eine vom Industriev­erband in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass unter anderem die Windkraft deutlich ausgebaut werden muss.

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