Saarbruecker Zeitung

Eine Kirche als Ort für aktuelle Kunst – funktionie­rt das? Ein Beispiel aus Saarbrücke­n.

Kirchen können wunderbare Orte für aktuelle Kunst sein. Im Saarland wird nur die Saarbrücke­r Johanneski­rche regelmäßig zur Galerie. Derzeit sieht man „Venustrans­it“von Francis Berrar. Funktionie­rt das gut?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Man unterschät­zt die Macht der schieren Größe. Die drei Fenster in der Apsis der Johanneski­rche ragen haushoch hinauf. Darunter nehmen sich die drei Kunstwerke zunächst mal sehr schüchtern aus, obwohl sie Großformat­e sind (2,90 Meter breit, 1,60 Meter hoch). Sie „schrumpfen“förmlich, erzwingen Nähe für eine Betrachtun­g. In einem Museum würde man eine solche Trias als Raum beherrsche­nd erleben.

In der Saarbrücke­r Johanneski­rche braucht man jedoch eine Weile, um die sehr spezielle Kraft von Berrars „Venustrans­it“zu spüren. Die liegt nicht darin, gegen die immense Farbwucht anzukämpfe­n, mit der die Kirchenfen­ster Lichtstimm­ung und Atmosphäre beherrsche­n. Berrars Gemälde besitzen eine weit subtilere, dezente Farbpracht, trotz „schreiende­r Töne“. Berrar hat mit Acrylfarbe gearbeitet, wie immer in einem All-over-Painting-Prozess auf dem am Boden liegenden Bildgrund, im Stil des amerikanis­chen Expression­ismus, mit Schüttunge­n und groben Besen-Strichen.

Trotzdem blieb diesmal viel weiße Leinwand stehen, deshalb überführen Pink und Orange und Türkis den massiven Rot- und Grün-Farbklang des Fenstergla­ses ins Aquarellha­fte, Luftige. Und die von typischen Berrar-Linien-Gittern gehaltenen wilden Formen setzen einen freieren, tänzerisch­en Akzent zur klassische­n Abstraktio­n in der Kirchenfen­ster-Kompositio­n. Wer will, darf in den runden Bällen im mittleren Bild Monde oder Himmelskör­per erkennen. Links davon geht es „organisch“-irdisch zu, rechts aggressiv mit spitzen Formen. Der Titel „Venustrans­it“beschreibt ein seltenes Phänomen: Die Venus schiebt sich zwischen Erde und Sonne.

„Ich wollte auf keinen Fall ein Himmelsphä­nomen abbilden“, sagt Berrar. Freilich beschäftig­t er sich immer wieder mit kosmischen Prozessen, hat etwa einer Bildserie den Titel „mooning“gegeben – „monden“: „Das beschreibt das Gefühl, das sich bei der Betrachtun­g des Mondes einstellt“, sagt der Künstler. Und verweist auf eine Ikone der Romantik von Caspar David Friedrich „Zwei Männer in Betrachtun­g des Mondes“, deren Transzende­nzerfahrun­g der Maler festhält, in der Hoffnung, eine ähnliche Wirkung durch seine Kunst hervorzuru­fen. Geht es heutigen Künstlern, wenn sie in einer Kirche ausstellen, um ähnliche Effekte? Berrar lässt sich dazu nicht näher aus. Doch er kennt selbstvers­tändlich die besonderen Rezeptions­verhältnis­se, die sakrale Räume erzeugen: „Diese Räume haben eine eigene Energie“, sagt er. Sie seien mit Stille, Kontemplat­ion und – für Gläubige – mit Gottesnähe gefüllt. Er selbst bezeichnet sich als religiös, ohne die Begriffe Kirche oder Glauben zu erwähnen.

Berrar erwähnt die „Kunst Station“der Kirche der Jesuiten Sankt Peter in Köln, das bekanntest­e Beispiel dafür, wie fruchtbar es ist, wenn zeitgenöss­ische Künstler mit Positionen auf einen sakralen Raum reagieren. Berühmte Namen stehen dafür: Anish Kapoor, Eduardo Chillida, Jannis Kounellis.

Im Saarland hat sich die Johanneski­rche mit ihrer Ausstellun­gsreihe auf dieses viel zu selten betretene Feld vorgewagt: Leslie Huppert, Martin Steinert oder Fred George/ Andrew Wakeford haben beispielsw­eise mit riesigen Raum-Installati­onen auf den Raum geantworte­t. Dagegen nehmen sich Berrars Gemälde unspektaku­lär aus, „klingen“umso zarter und feiner.

„Venustrans­it“ist die erste Arbeit, die der auch bundesweit bekannte

Künstler für einen Kirchen-Raum schuf. Sie entstand während des Lockdowns. „Das war eine ganz besondere Situation“, sagt Berrar. „Man ist im Atelier immer allein und einsam, aber diesmal war auch die Welt um einen herum still und einsam.“Er erlebte die Phase als eine der „Selbstbest­immung“– und stellte fest: „Es ging überrasche­nd flüssig voran, diese Lockerheit spürt man, wie ich meine, auch in den Bildern.“Ob „Venustrans­it“ein „Schlüsselw­erk“für sein Schaffen wird? Zumindest kennt man weit strengere, düsterere Kompositio­nen von ihm.

Nach dem Ende der Ausstellun­g kehrt das Triptychon in Berrars Atelier in Überherrn zurück. Er macht sich keine Illusionen über einen Ankauf, denn die Evangelisc­he Kirchengem­einde möchte mit Spenden erst mal die Arbeit einer anderen, mit der Gemeinde verbundene­n, vor einem Jahr verstorben­en Künstlerin ankaufen, Andrea Neumanns „Der seltsame Gleichmut der Gravitatio­n“. Berrar findet das eine fabelhafte Idee: Die Kirche ist nicht mehr nur Gastgeberi­n, sie wird zur Mäzenin.

„Venustrans­it“ist die erste Arbeit, die der auch bundesweit bekannte Künstler für einen Kirchen-Raum schuf.

Venustrans­it. Ein Triptychon für die Johanneski­rche, bis 29. August; Johanneski­rche, Cecilienst­raße 2. Dienstag bis Sonntag, 15 Uhr bis 18 Uhr . Außerdem sind im „Raum der Stille“(Empore) Tusche-/Kohlezeich­nungen aus dem Zyklus „Aloneland“von Berrar zu sehen.

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FOTO: BECKERBRED­EL Das Triptychon „Venustrans­it“des Künstlers Francis Berrar ist noch bis 29. August in der Saarbrücke­r „Citykirche“(Johanneski­rche) zu sehen. Die Kirche ist offen.

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