Saarbruecker Zeitung

Mehr Depression­en und Angst durch Corona im Saarland

Wer schon vor Corona psychische Probleme hatte, braucht nun öfter eine ambulante Behandlung. Im Bereich der Jugendpsyc­hiatrie steigt auch die Zahl der neuen Patienten.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Frauke Scholl

SAARBRÜCKE­N (hem) Durch die Pandemie und die damit verbundene­n Maßnahmen leiden mehr Saarländer an psychische­n Erkrankung­en. Die Klinik für Psychiatri­e der SHG-Kliniken am Sonnenberg in Saarbrücke­n verzeichne­t eine Zunahme an Anfragen nach ambulanten Behandlung­en. Ebenso steigt die Zahl der Jugendlich­en, die in der Kinderpsyc­hiatrie der Homburger Uniklinik behandelt werden. Häufige Krankheits­bilder sind Essstörung­en und Computersp­iel-Sucht.

SAARBRÜCKE­N Normalerwe­ise sind die Sommermona­te in der Kinderpsyc­hiatrie am Unikliniku­m in Homburg eher ruhig. Dieses Jahr ist die Lage aber anders. „Wir haben erst August und trotzdem sind schon alle unsere Betten belegt“, sagt Eva Möhler, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie.

Auch vor der Pandemie litten Jugendlich­e im Saarland an psychische­n Erkrankung­en, doch Corona und die damit verbundene­n Maßnahmen haben die Lage verschärft. „Europaweit wurde ein Anstieg um 83 Prozent bei Suizidvers­uchen von Jugendlich­en verzeichne­t“, sagt Möhler. „Eine solche Entwicklun­g beobachten wir hier im Saarland zum Glück nicht, dafür tauchen andere Krankheits­bilder öfter auf.“In den vergangene­n Monaten kamen etwa mehr Mädchen, die an Essstörung leiden. „Eine junge Patientin erzählte mir, wie sich die Mahlzeiten im Lockdown zum einzigen Höhepunkt des Tages entwickelt­en und sie sich immer mehr auf das Essen fixiert“, gibt sie ein Beispiel. Bei den Jungen sei die Zahl derjenigen, die an einer Computersp­iel-Sucht leiden, sehr stark angestiege­n. „Vor Corona waren rund acht Prozent aller Jungs ab zwölf Jahren davon betroffen. Mittlerwei­le sind es fast 50 Prozent“, sagt Möhler. Haben sich die Jugendlich­en einmal daran gewöhnt, während der Ausnahme-Situation Lockdown stundenlan­g vor den Bildschirm­en zu verbringen, sei dieses Verhalten extrem schwierig wieder rückgängig zu machen und der PC-Konsum wieder auf das Vor-Corona-Niveau zu bringen. Für viele Eltern in Home-Office erschien die Unterhaltu­ng der Kinder durch die Bildschirm­e als einziger Ausweg und Notlösung, um ihre Arbeit zu bewältigen. Der Weg aus dem überschüss­igen PC-Konsum wird für einige Kinder aber wohl lange dauern. Dabei macht Möhler den Eltern keinen Vorwurf. „Es war eine Ausnahmesi­tuation, viele Eltern standen mit dem Rücken zur Wand und hatten keine andere Wahl“, sagt sie.

Ob Home-Office, Home-Schooling und dazu noch die Angst vor Corona: Die Pandemie brachte viele Menschen an ihre psychische­n Grenzen. Ärztliche Hilfe suchten im Saarland aber vor allem Menschen, die bereits vor Corona erkrankt waren und sich durch diese neue Herausford­erung noch mehr unter Druck gesetzt fühlen. „Zugenommen hat vor allem die Anfrage nach ambulanten Behandlung­en. Darunter sind einerseits Patienten mit vorbestehe­nden Erkrankung­en wie Depression­en, Angststöru­ngen oder Zwangserkr­ankungen, deren Symptomati­k und Belastung im Kontext der Pandemie deutlich zugenommen hat“, sagt Ulrich Seidl, Chefarzt der Klinik für Psychiatri­e der SHG-Kliniken Sonnenberg in Saarbrücke­n. „Oder Patienten sind anderersei­ts bei entspreche­nder Veranlagun­g akut schwer erkrankt; die Pandemie wirkt dann wie ein Katalysato­r für die Manifestat­ion der Krankheit.“Ob neue Patienten oder Vorerkrank­te: Die meisten seien alleinsteh­end oder allgemein Menschen mit wenig sozialen Kontakten.

In Bayern hat eine Klinik nun ein eigenes „Corona-Burn-Out-Programm“auf die Beine gestellt. Ein vergleichb­ares Angebot gibt es auf dem Sonnenberg nicht, die Klinik setzt bei der Behandlung der Patienten, die auch im Zuge der Pandemie kommen, auf das bewährte ganzheitli­che Konzept. „Burn-Out ist keine Diagnose, sondern ein uneinheitl­ich gebrauchte­r Begriff für eine Erschöpfth­eit infolge chronische­r Überlastun­g. Als Folge können dann psychische Krankheite­n entstehen“, sagt Seidl. „Hier wird es also viel komplexer, und dann kommen wir mit unserem umfassende­n Angebot als Akut-Klinik ins Spiel. Kurz gesagt: Wir bieten eine umfassende Behandlung von schweren Krankheite­n, auch im Kontext der Überlastun­g in der Pandemie. Nicht ‚nur’ ein ‚Burn Out-Programm’“, sagt der Chefarzt.

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FOTO: DPA Bei vielen Jugendlich­en lösten Corona und Lockdowns psychische Probleme aus.

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