Das Rezept des britischen Impf-Erfolgs
Europa schaut neidisch auf die Insel. Dort hat schon jeder Zweite die Spritze gegen Corona. Wie kommt’s?
(dpa) In Großbritannien ist schon die Hälfte aller Erwachsenen gegen das Coronavirus geimpft. Fast 27 Millionen Menschen haben eine erste Spritze bekommen, gut zwei Millionen auch schon die zweite. Die konservative Regierung von Premierminister Boris Johnson bejubelte am Wochenende einen „fantastischen Erfolg“. Johnson selbst hatte am Freitag von dem Impf-Tempo profitiert. „Ich kann es sehr empfehlen“, hatte der 56-jährige Premier nach seiner ersten Impfung mit dem britisch-schwedischen Astrazeneca-Vakzin geschwärmt. Er rief alle Menschen auf, sich impfen zu lassen. Denn: „Eine Spritze zu bekommen, ist das Beste, das wir tun können, um das Leben zurückzubekommen, das wir so sehr vermissen.“Während sie in der EU verzweifelt auf Nachschub warten, hat das Vereinigte Königreich nur vereinzelt mit Lieferengpässen zu kämpfen – auch, weil es selbst kaum Impfstoff exportiert. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum es auf der Insel zurzeit besser läuft als anderswo.
Alle, die impfen können, tun das auch – so simpel lässt sich der britische Weg zusammenfassen. So dürfen neben den Impfzentren auch schon seit Monaten Hausärzte impfen. Sogar zahlreiche Apotheken haben eine Zulassung. „Die
Mehrheit der Impfungen wird von Hausärzten vergeben“, erzählt der Mediziner Azeem Majeed vom Imperial College London. Bei ihren Impfzentren sind die Briten erfinderisch: Sie funktionieren auch leere Stadien, Rennbahnen, Einkaufszentren und sogar Kirchen wie die berühmte Westminster Abbey um.
Auch das Terminsystem läuft gut. Üblicherweise sind die Briten im staatlichen Gesundheitsdienst NHS mit einer Nummer registriert – und damit bei einem Hausarzt in ihrer Nähe. Neben dem offiziellen Brief vom NHS kontaktieren die Hausarztpraxen ihre Patienten auch direkt per SMS oder Telefon, wenn sie beim Impfen an der Reihe sind. Wer keine Benachrichtigung erhält, aber nach offizieller Impfreihenfolge trotzdem dran ist, bekommt auch ohne Einladung einen Termin.
Über ein landesweit einheitliches Buchungssystem lassen sich online Impftermine in den Zentren buchen. Dabei stehen meist mehrere Orte zur Auswahl, außerdem lassen sich genaue Uhrzeiten buchen. Wer lieber vom Hausarzt geimpft werden möchte, muss sich manchmal etwas länger gedulden, kann dort aber auch einen Termin ausmachen. Wer benachrichtigt wurde, aber keinen Termin bucht, gerät nicht aus dem Blick. Der sogenannte Immunisierungs-Management-Service hakt per Anruf nach. Außerdem werden SMS mit Termin-Erinnerungen verschickt.
In Sachen Logistik legen die Briten – anders als oft in Deutschland – die zweite Impfdosis nicht zurück. Was im Kühlschrank ist, wird auch geimpft. Man vertraut darauf, dass noch genug Impfstoff verfügbar ist, wenn die zweiten Termine anstehen. Bislang hat sich das ausgezahlt – allerdings ist das Land auch weniger von Lieferengpässen betroffen als die EU. Erst vor wenigen Tagen gab es die erste Meldung, dass einige Millionen Dosen aus indischer Produktion später kommen.
Großbritannien setzt zudem auf größere Abstände zwischen erster und zweiter Dosis. Beim Astrazeneca-Impfstoff handhaben das andere Länder mittlerweile genauso, nachdem weitere Daten zur Wirksamkeit veröffentlicht wurden. Die Briten strecken jedoch auch bei Biontech/ Pfizer das Intervall – und versorgen damit einen größeren Teil ihres Landes mit einer Teil-Immunität durch die erste Dosis.
„Wir verschwenden keinen Impfstoff“, sagt Majeed. Ärzte führen Listen mit Patienten, die schnell zur Praxis kommen können, falls am Abend Impfdosen übrig bleiben. So gibt es immer wieder auch Menschen, die geimpft werden, obwohl sie eigentlich noch gar nicht dran sind – aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Auch Deutschland will seine Reihenfolge künftig etwas pragmatischer nutzen als bisher.
Der Astrazeneca-Stopp war auf der Insel ebenso kein Thema: Während
etliche EU-Staaten wegen sehr seltener Fälle seltener Nebenwirkungen wie Blutgerinnseln zeitweise aussetzten, impften die Briten weiter. Die Zulassungsbehörde rief Menschen mit länger anhaltenden Nebenwirkungen zwar auf, zum Arzt zu gehen. Allerdings betont die Regierung stets, die Vorteile der Impfung seien bei weitem größer als die Risiken. Der medizinische Regierungsberater Jonathan Van-Tam sagt: „Impfstoff rettet keine Leben, wenn er im Kühlschrank liegt.“
„Impfstoff rettet keine Leben, wenn er im Kühlschrank liegt.“
Jonathan Van-Tam
Medizinischer Berater der britischen Regierung