Dampfwalze Stadtautobahn
Bis zu 94 000 Fahrzeuge rollen täglich über das graue Asphaltband entlang der Saar, das Saarbrücken auf historischem Boden zerteilt.
(mr) Nein, halbe Sachen machte man Anfang der 1960er Jahre wirklich nicht, beim Bau der Stadtautobahn. Wie mit einer Dampfwalze wurde sie, dem Auto und dem Individualverkehr huldigend, der Saar entlang mitten durch Saarbrücken geführt. Dabei begrub die Autobahn große Teile des Neumarkts, der Partie an der Saar und Alt-Saarbrückens unter sich, unter anderem am Neumarkt die Kriegs-Ruinen der Markthalle und des Saalbaus, in Alt-Saarbrücken die Reste des „Waaren-Haus Zur Schlossfreiheit L. A. Leiner“und das noch von Friedrich Joachim Stengel erbaute Oberamtshaus an der Schlossmauer.
Die Bundesautobahn 620, am Autobahndreieck Saarlouis beginnend, wird in Saarbrücken zur „Stadtautobahn“und manchmal – wenn auch nicht mehr so oft – zum Nebenfluss der Saar mit 13 Buchstaben; jedenfalls wird die A620 gut gewässert, wenn sich das Hochwasser zwischen Wilhelm-Heinrich- und Bismarckbrücke der Vier-Meter-Marke nähert. Geplant ab etwa Mitte der 1950er Jahre, wurde die Stadtautobahn von 1961 bis 1963 gebaut. Der zuständige Baudezernent war der Saarbrücker Beigeordnete Hans Krajewski (Beigeordneter von 1957 bis 1970). Ulrike Conrath schrieb 2014 in der SZ: „Planer Dr. Hans Krajewski erntete 1957 im Stadtrat Applaus. Er war stolz, dass Saarbrücken die erste Stadtautobahn Deutschlands bekam.“
Viel wurde durch den Autobahnbau zerstört, an einer Stelle kam kurioserweise aber auch wieder Altes zu Tage: Um den notwendigen Platz für Autobahn und die spätere Franz-Josef-Röder-Straße zu bekommen, wurde die zur Saar gelegene Schlossmauer abgerissen. Oft hört man, sie sei nach hinten versetzt worden, doch tatsächlich war es wohl so, dass damals eine hinter der neueren Mauer zugeschüttete mittelalterliche Mauer der einstigen Burganlage wieder freigelegt wurde, wodurch man knapp 20 Meter zusätzlichen Platz gewinnen konnte. Allerdings endete dadurch die Alte Brücke plötzlich im Leeren, weshalb sie einen schmalen, noch heute existierenden stählernen Verlängerungs-Steg spendiert bekam. Derzeit ist geplant, den Steg durch einen ansehnlicheren Übergang zu ersetzen (die SZ berichtete).
Andere Brücken mussten nun logischerweise ebenfalls nicht nur die Saar, sondern auch die Autobahn überspannen, so entstand auch eine entsprechend klotzige Brücke mit Dreifach-Funktion: Die Wilhelm-Heinrich-Brücke, die gleichzeitig auch Kreisverkehr und Autobahnzubringer ist. Über sie rollen täglich bis zu 29 000 Kraftfahrzeuge, über die Westspange sogar bis zu knapp 55 000 Fahrzeuge, über die Ostspange Knapp 33 000 Fahrzeuge, so der „Verkehrsentwicklungsplan Saarbrücken 2030“.
Seit 2013 auf Eis gelegt ist das Projekt „Stadtmitte am Fluss“, über das wir oft berichteten. Einerseits hätte ein Überbauen der Autobahn zwischen Luisen- und Bismarckbrücke („Tunnelprojekt“) optisch nur für eine Verbesserung sorgen können und auch andere Vorteile gehabt, andererseits hätte das Projekt schlappe 428 Millionen Euro gekostet, vermutlich sogar deutlich mehr. So wird uns der Asphalt-Fluss neben dem echten Fluss wohl auf unbestimmte Zeit erhalten bleiben.
Bis zu 94 000 Kraftfahrzeuge rollen täglich die Saar entlang über die Stadtautobahn, heißt es im Verkehrsentwicklungsplan 2030, der diesen Autobahn-Abschnitt so beschreibt: „Ein prägendes Element im
Saarbrücker Straßennetz ist der Verlauf der A620 mitten durch die Innenstadt. Die ‚Stadtautobahn’ bildet das Rückgrat des Straßennetzes, da dort sowohl die städtischen, regionalen als auch die überregionalen Anbindungen zusammenlaufen. Gleichzeitig wird durch die parallele Verkehrsführung der A620 zur Saar die Trennwirkung des Flusses
zusätzlich verstärkt.“Anders ausgedrückt: Das Ding spaltet die Stadt in zwei Teile, als wäre eine Riesen-Dampfwalze durchgerattert – aber das hatten wir ja schon erwähnt.