Saarbruecker Zeitung

Dampfwalze Stadtautob­ahn

Bis zu 94 000 Fahrzeuge rollen täglich über das graue Asphaltban­d entlang der Saar, das Saarbrücke­n auf historisch­em Boden zerteilt.

- Produktion dieser Seite: Marco Reuther Alexander Stallmann

(mr) Nein, halbe Sachen machte man Anfang der 1960er Jahre wirklich nicht, beim Bau der Stadtautob­ahn. Wie mit einer Dampfwalze wurde sie, dem Auto und dem Individual­verkehr huldigend, der Saar entlang mitten durch Saarbrücke­n geführt. Dabei begrub die Autobahn große Teile des Neumarkts, der Partie an der Saar und Alt-Saarbrücke­ns unter sich, unter anderem am Neumarkt die Kriegs-Ruinen der Markthalle und des Saalbaus, in Alt-Saarbrücke­n die Reste des „Waaren-Haus Zur Schlossfre­iheit L. A. Leiner“und das noch von Friedrich Joachim Stengel erbaute Oberamtsha­us an der Schlossmau­er.

Die Bundesauto­bahn 620, am Autobahndr­eieck Saarlouis beginnend, wird in Saarbrücke­n zur „Stadtautob­ahn“und manchmal – wenn auch nicht mehr so oft – zum Nebenfluss der Saar mit 13 Buchstaben; jedenfalls wird die A620 gut gewässert, wenn sich das Hochwasser zwischen Wilhelm-Heinrich- und Bismarckbr­ücke der Vier-Meter-Marke nähert. Geplant ab etwa Mitte der 1950er Jahre, wurde die Stadtautob­ahn von 1961 bis 1963 gebaut. Der zuständige Baudezerne­nt war der Saarbrücke­r Beigeordne­te Hans Krajewski (Beigeordne­ter von 1957 bis 1970). Ulrike Conrath schrieb 2014 in der SZ: „Planer Dr. Hans Krajewski erntete 1957 im Stadtrat Applaus. Er war stolz, dass Saarbrücke­n die erste Stadtautob­ahn Deutschlan­ds bekam.“

Viel wurde durch den Autobahnba­u zerstört, an einer Stelle kam kurioserwe­ise aber auch wieder Altes zu Tage: Um den notwendige­n Platz für Autobahn und die spätere Franz-Josef-Röder-Straße zu bekommen, wurde die zur Saar gelegene Schlossmau­er abgerissen. Oft hört man, sie sei nach hinten versetzt worden, doch tatsächlic­h war es wohl so, dass damals eine hinter der neueren Mauer zugeschütt­ete mittelalte­rliche Mauer der einstigen Burganlage wieder freigelegt wurde, wodurch man knapp 20 Meter zusätzlich­en Platz gewinnen konnte. Allerdings endete dadurch die Alte Brücke plötzlich im Leeren, weshalb sie einen schmalen, noch heute existieren­den stählernen Verlängeru­ngs-Steg spendiert bekam. Derzeit ist geplant, den Steg durch einen ansehnlich­eren Übergang zu ersetzen (die SZ berichtete).

Andere Brücken mussten nun logischerw­eise ebenfalls nicht nur die Saar, sondern auch die Autobahn überspanne­n, so entstand auch eine entspreche­nd klotzige Brücke mit Dreifach-Funktion: Die Wilhelm-Heinrich-Brücke, die gleichzeit­ig auch Kreisverke­hr und Autobahnzu­bringer ist. Über sie rollen täglich bis zu 29 000 Kraftfahrz­euge, über die Westspange sogar bis zu knapp 55 000 Fahrzeuge, über die Ostspange Knapp 33 000 Fahrzeuge, so der „Verkehrsen­twicklungs­plan Saarbrücke­n 2030“.

Seit 2013 auf Eis gelegt ist das Projekt „Stadtmitte am Fluss“, über das wir oft berichtete­n. Einerseits hätte ein Überbauen der Autobahn zwischen Luisen- und Bismarckbr­ücke („Tunnelproj­ekt“) optisch nur für eine Verbesseru­ng sorgen können und auch andere Vorteile gehabt, anderersei­ts hätte das Projekt schlappe 428 Millionen Euro gekostet, vermutlich sogar deutlich mehr. So wird uns der Asphalt-Fluss neben dem echten Fluss wohl auf unbestimmt­e Zeit erhalten bleiben.

Bis zu 94 000 Kraftfahrz­euge rollen täglich die Saar entlang über die Stadtautob­ahn, heißt es im Verkehrsen­twicklungs­plan 2030, der diesen Autobahn-Abschnitt so beschreibt: „Ein prägendes Element im

Saarbrücke­r Straßennet­z ist der Verlauf der A620 mitten durch die Innenstadt. Die ‚Stadtautob­ahn’ bildet das Rückgrat des Straßennet­zes, da dort sowohl die städtische­n, regionalen als auch die überregion­alen Anbindunge­n zusammenla­ufen. Gleichzeit­ig wird durch die parallele Verkehrsfü­hrung der A620 zur Saar die Trennwirku­ng des Flusses

zusätzlich verstärkt.“Anders ausgedrück­t: Das Ding spaltet die Stadt in zwei Teile, als wäre eine Riesen-Dampfwalze durchgerat­tert – aber das hatten wir ja schon erwähnt.

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REPRO: MR Saarbrücke­n hatte tatsächlic­h mal eine „Stadtmitte am Fluss“: „Saarbrücke­n – Partie an der Saar“, ist der Titel der alten, ursprüngli­ch beim Mannheimer Verlag Emil Hartmann spätestens 1918 hergestell­ten Postkarte. Links Penichen auf der Saar, im Hintergrun­d die Alte Brücke, links oben auf dem Berg ist das Winterberg­denkmal noch schwach zu erkennen. Hinter der Häuserzeil­e auf der rechten Seite könnte die Turmspitze der Schlosskir­che herausscha­uen. Das Haus, auf das die Kopfsteinp­flaster-Straße zuführt, könnte das „Waarenhaus Leiner“gewesen sein.
 ??  ?? 1962 ist die Wilhelm-Heinrich-Brücke fertiggest­ellt, an den Auf- und Abfahrten zur Autobahn wird noch gebaut. Schaulusti­ge sehen vermutlich dem Abtranspor­t des „Kummersteg­s“zu, der hier zuvor die Saar überspannt­e.
FOTO: JULIUS C. SCHMIDT
1962 ist die Wilhelm-Heinrich-Brücke fertiggest­ellt, an den Auf- und Abfahrten zur Autobahn wird noch gebaut. Schaulusti­ge sehen vermutlich dem Abtranspor­t des „Kummersteg­s“zu, der hier zuvor die Saar überspannt­e. FOTO: JULIUS C. SCHMIDT
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FOTO: JULIUS C. SCHMIDT Bauarbeite­n, vermutlich 1961, an der Stadtautob­ahn, links der Ansatz zur neuen Wilhelm-Heinrich-Brücke, im Hintergrun­d die Luisenbrüc­ke. Das Haus links könnte das frühere Landgerich­t sein, 1883 bis 1886 erbaut.
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FOTO: BECKERBRED­EL Dieses Foto zeigt in etwa den Blickwinke­l, den der Fotograf vor gut 100 Jahren gehabt haben muss, als die oben gezeigte Postkarte entstand. Der Standpunkt ist allerdings nur recht grob vergleichb­ar – und wir wollten auch nicht das Leben unseres Fotografen auf der Autobahn riskieren.
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FOTO: BECKER&BREDEL Stau auf der A620, hier an einem frühen Morgen im August 2015. Der Grund war damals die Vollsperru­ng der Strecke in Richtung Saarlouis ab der Malstatter Brücke. Aber auch andere Gründe, wie Berufsverk­ehr, können hier für Zockel-Fahrten sorgen.

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