Wie die Testpflicht Familien auseinander reißt
Viele Saarländer haben private Verbindungen über die Grenze hinweg. Welche Probleme die aktuelle Situation für sie bringt, zeigt sich am Beispiel einer Familie aus Merzig.
In der letzten Februarwoche besuchte die Mutter von Marie-Camille Botz ihre Enkelkinder in Merzig. Dass es erstmal der letzte Besuch für längere Zeit sein würde, ahnten weder Botz noch ihre Mutter. „Die neue Testpflicht bringt unser Familienleben ziemlich durcheinander“, erzählt Botz. Seit sieben Jahren wohnt sie mit ihrem Lebensgefährten in Merzig. Beide sind Franzosen, sprechen aber sehr gut Deutsch. Er arbeitet in Luxemburg, beide wollten lieber in einer Stadt als in einer ländlichen Gegend wohnen und so war Merzig die perfekte Wahl. „Die Grenze hat bisher in unserer Lebensplanung nie eine Rolle gespielt“, erzählt sie. Die Eltern ihres Freundes wohnen in Bouzonville, ihre in Freyming-Merlebach. Mittwochs kamen diese immer vorbei, um Zeit mit ihren zwei Enkeln zu verbringen und Marie-Camille Botz zu entlasten, die sich als Übersetzerin selbstständig gemacht hat. Die Familie lebte auf beiden Seiten der Grenze, ohne dass es ihr wirklich bewusst war. Es war selbstverständlicher Alltag.
Bis auf vergangenes Jahr, als die Corona-Pandemie auf die Großregion prallte und die Schlagbäume zwischen Deutschland und Frankreich wieder errichtet wurden. „Wir waren zwar alle geschockt, es war aber wirklich eine Ausnahmesituation. Alle hatten Angst, niemand wusste, wie man mit dieser Situation umgehen sollte“, sagt sie. Immerhin hatte es nach der ersten Schockstarre einige Ausnahmen gegeben, unter anderem für Familien mit triftigen Gründen. „Wir nehmen die Pandemie sehr ernst.Wir sind bis Mitte Juni, als die Grenzen wieder geöffnet wurden, nicht nach Frankreich gefahren, aber es war gut zu wissen, dass wir das bei einem Notfall gedurft hätten“, erzählt sie. Heute sind die Grenzübergänge offen, doch die Hürden sind hoch, wenn man einfach kurz über die Grenze will.
Seitdem Deutschland das Département Moselle zum Virusmutations-Gebiet erklärt hat, braucht jeder, der von dort ins Saarland einreist, einen negativen Corona-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme, weder aus triftigen Gründen noch von der Verweildauer her. Auch wer nur für ein paar Stunden hinter der Grenze war, braucht einen Test, um wieder ins Saarland zu kommen. „Platzt bei meinen Schwiegereltern ein Rohr, kann mein Lebensgefährte zwar hinfahren, um ihnen zu helfen. Doch dann muss er sich dort um einen Test bemühen, wenn er wieder abends nach Hause will“, gibt Botz ein Beispiel. Auch sie würde gerne weiter für ihre Eltern den Großeinkauf im Supermarkt erledigen. „Sie sind älter, sie sehen niemanden außer uns, weil sie Angst haben, sich mit Corona anzustecken“, sagt sie. Aus dem gleichen Grund wollten ihre Eltern erstmal auch nicht mehr nach Merzig kommen. „In den Warteschlangen für die Tests sind so viele Menschen, die lange dicht an dicht warten. Sie haben Angst, sich dort anzustecken.“
„Natürlich weiß ich, dass wir nicht diejenigen sind, die die größten Probleme durch diese Regeln bekommen. Grenzgänger, die täglich pendeln, trifft es viel härter. Trotzdem finde ich sehr schade, dass es keine Ausnahmen für Familien gibt“, bedauert die Merzigerin. Nach Frankreich dürfen die Saarländer nach wie vor ohne Test- und Quarantänepflicht einreisen, in einem Umkreis von 30 Kilometern von der Grenze an und für maximal 24 Stunden. Doch wenn sie ihre Kinder nach
Freyming-Merlebach oder Bouzonville fahren will, damit sie einen Nachmittag mit ihren Großeltern im Garten verbringen, müssten sich alle auf dem Weg nach Hause testen lassen. Die Familie ist in Deutschland krankenversichert. Wer auf dieser Seite der Grenze keine Symptome hat oder keine Kontaktperson ist, muss den Test selbst bezahlen. „Je nachdem wo man das macht, kostet es um die 80 Euro pro Person. Das wäre ein sehr teurer Nachmittag“, stellt sie fest.
Nun hat die Bundesregierung in Aussicht gestellt, dass sich ab dem 8. März jeder Bürger einmal pro Woche testen lassen kann. „Das finde ich super, das wäre schon eine große Erleichterung für uns. Doch es ist erstmal eine Ankündigung. Ich frage mich, wann wir wirklich im Alltag über diese Tests verfügen werden“, so Botz.
Vor allem die Unsicherheit zerrt an ihre Nerven. „Die Regeln ändern sich ständig. Da blickt keiner mehr durch, was wo an welchem Tag noch erlaubt ist oder nicht“, sagt sie. Gegen die Regeln verstoßen werde sie nicht. „Wir haben uns immer an alles gehalten, auch wenn man zum Beispiel nur eine Person aus einem anderen Haushalt treffen darf. Aber die Frustration wächst“, gibt sie zu. „Es ist schwer den Kindern zu vermitteln, warum sie ihre Großeltern nicht mehr sehen können. Sie sind erst zwei und fünf, ihnen das zu vermitteln, ohne ihnen Angst zu machen und zugleich ohne ihnen eine Perspektive geben zu können, ist nicht leicht“, erzählt Botz. Am 17. April wird ihr ältester Sohn seinen sechsten Geburtstag feiern. Mit seinen Eltern, ohne Freunde, ohne Party. „Er versteht, dass er niemanden einladen kann, es war letztes Jahr schon so“, berichtet die Mutter. Eines hat er sich gewünscht: an seinem Geburtstag mit Oma und Opa im Garten zu spielen und mit ihnen Kuchen zu essen. Sollte es bis dahin keine Erleichterungen der Einreisebedingungen ins Saarland geben, werden sich die Familienmitglieder wohl spätestens an diesem Tag alle testen lassen.