Pauline Schäfer beklagt „Psychoterror“
Psychische Gewalt, exzessives Training, Medikamentenmissbrauch: Fünf deutsche Spitzenturnerinnen erheben schwere Vorwürfe gegen eine Trainerin.
(sid) Jahrelang war Turn-Star Pauline Schäfer vom TV Pflugscheid-Hixberg von ihrer Trainerin schon schikaniert worden. Doch als die Saarländerin sich entschloss, „nicht mehr nur der kleine Turnroboter zu sein“, sei es „besonders schlimm“geworden. So erzählt es zumindest die frühere Schwebebalken-Weltmeisterin von 2017 im Nachrichtenmagazin Spiegel. Die 23-jährige Bierbacherin sagt, sie habe es satt zu schweigen. Mit fünf weiteren Turnerinnen, darunter auch ihre Schwester Helene Schäfer (19) aus Püttlingen (ebenfalls TV Pflugscheid-Hixberg), erhebt Schäfer schwere Vorwürfe gegen eine Trainerin am Bundesstützpunkt in Chemnitz.
Es geht um das Trainieren über die Schmerzgrenze hinaus, mentale Erniedrigungen, Diätzwang: Demnach seien Schäfer und Co. – auch als Minderjährige – im Rahmen des Trainings psychischer Gewalt ausgesetzt gewesen, es sollen unangemessene Methoden eingesetzt und Medikamente ohne ärztliche Anordnung verabreicht worden sein. Als Turnerin könne man einiges ab, sagte Schäfer: „Aber täglich erniedrigt zu werden – das hinterlässt irgendwann Spuren.“
Der Deutsche Turner-Bund (DTB) „verurteilt jede Form von Gewalt und distanziert sich von etwaigen“der „beschriebenen Trainingsmethoden“, hieß es in einer Stellungnahme
am Freitag. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, „würde dies in keiner Weise den Werten des DTB und den Rahmenbedingungen für ein verantwortungsvolles Training entsprechen“. Man nehme die „Vorwürfe äußerst ernst und wird die in Rede stehenden Sachverhalte unverzüglich unabhängig aufklären lassen, um sodann über mögliche Konsequenzen entscheiden zu können“. Der Anwalt der Trainerin sprach gegenüber dem Spiegel von einer „Vielzahl von Unwahrheiten und haltlosen Vorwürfen“.
Schäfer berichtete, sie sei über Jahre gepiesackt worden. Das Training habe die Grenzen ihrer körperlichen und seelischen Belastbarkeit überschritten. „Meist haben wir uns gar nicht getraut zu sagen, wenn uns was wehtat, weil es dann hieß: Reiß dich zusammen, andere halten das auch durch“, sagt Schäfer, die für Deutschland 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio geturnt hatte.
Immer wieder habe sie sich auch verletzende Sprüche wegen ihrer Figur, ihres Gewichts anhören müssen. „Solche Bemerkungen sind ihr nicht rausgerutscht, damit wollte sie mich bewusst kleinhalten“, sagte Schäfer und spricht von „Psychoterror“. Der Druck sei so groß gewesen, dass sich drei andere Mädchen im Internat „eine Zeit lang“sogar „geritzt haben“, sagte Schäfer – also selbst verletzt haben, womöglich um Stress abzubauen.
Schäfer ist nicht irgendwer im Turnen. Sie hat sieben deutsche Meistertitel, Bronze am Schwebebalken bei der WM 2015 und zwei Jahre später Gold geholt. Zuletzt hatten sich die Skandale im Turnen gehäuft, in den USA, England und der Schweiz berichteten Athletinnen über Missbräuche. Das gibt auch Schäfer und ihren Kolleginnen den Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen und darüber zu berichten, wie sie angeblich behandelt oder in Essstörungen getrieben wurden. „Da sind viele Wunden noch nicht verheilt“, sagte Schäfer, aber ihre alte Trainerin habe „es nicht geschafft, mich zu brechen“.