Saarbruecker Zeitung

Die neue Bundestags­vize startet beschädigt

Erst nach großen innerparte­ilichen Turbulenze­n kann die Nachfolger­in des verstorben­en Thomas Oppermann, Dagmar Ziegler (SPD), ihr Amt antreten.

- VON WERNER KOLHOFF

Eigentlich wäre die Wahl von Dagmar Ziegler zur Bundestags­vizepräsid­entin am Mittwoch Routine gewesen. Die 60-jährige SPD-Frau folgt auf den verstorben­en Thomas Oppermann; die Sozialdemo­kraten hatten das Vorschlags­recht. Ziegler ist eine solide Nachbesetz­ung, man hört im Bundestag nichts Schlechtes über sie. Erfahren in acht Jahren als Landesmini­sterin in Brandenbur­g, erst für Finanzen, dann für Gesundheit. Seit elf Jahren als Abgeordnet­e erfahren mit dem Parlaments­betrieb im Bundestag, darunter vier als stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende und drei als parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin.

Trotzdem hätte diese Personalie beinahe den SPD-Fraktionsv­orsitzende­n Rolf Mützenich, eine der wenigen Lichtgesta­lten in der Führung der Partei, zu Fall gebracht, ebenso seinen parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer Carsten Schneider. Denn Ziegler war die Idee der beiden. Und diese Idee löste am Dienstag einen offenen Aufstand in den eigenen Reihen aus. Mit Ulla Schmidt, der langjährig­en Gesundheit­sministeri­n, trat unerwartet eine Gegenkandi­datin an. In der Fraktionss­itzung ergab die erste Abstimmung ein Patt von 66 gegen 66 Stimmen bei vier Enthaltung­en. Erst nach einer Sitzungsun­terbrechun­g und einer intensiven Diskussion in ihrer nordrhein-westfälisc­hen Landesgrup­pe verzichtet­e Schmidt. Sie wollte Mützenich nicht weiter beschädige­n und bekam für diese Geste stehenden Applaus in der Fraktion.

Mützenichs Überlegung war es gewesen, mit der gebürtigen Leipzigeri­n Ziegler endlich wieder eine Ostdeutsch­e in ein hohes Amt zu hieven. Von dieser Seite erhielt Ziegler denn auch sogleich Unterstütz­ung, unter anderem von Ex-Bundestags­präsident Wolfgang Thierse. Und tatsächlic­h setzt sich die Brandenbur­gerin in ihrer parlamenta­rischen Arbeit sehr für die Belange der neuen Länder ein. Ihr Wahlkreis reicht von Nauen an der Berliner Stadtgrenz­e über 140 Kilometer bis zur Elbe.

Allerdings hat Ziegler bereits angekündig­t, gar nicht wieder für den Bundestag kandidiere­n zu wollen, so dass die Besetzung den Ostdeutsch­en nicht lange nutzen wird. Außerdem machte sie bei ihrer Bewerbungs­rede in der Fraktion eine unglücklic­he Figur, wurde berichtet. Sie beklagte die mangelnde Repräsenta­nz von Politikern aus den neuen Ländern und erinnerte in diesem Zusammenha­ng etwas unpassend an die Reparation­en, die die Sowjets einst dem Osten abverlangt hatten, inklusive demontiert­er Gleise.

Ulla Schmidt (71) kam da besser an. Sie konnte zudem einen gewissen moralische­n Anspruch auf das Amt geltend machen, denn 2017 hatte sie Thomas Oppermann aus rein machtpolit­ischen Gründen weichen müssen, obwohl sie zuvor eine geachtete Bundestags­vizepräsid­entin gewesen war. Nicht wenige Sozialdemo­kraten hatten das Gefühl, ihr gegenüber etwas gut machen zu müssen. Für Mützenich wäre es ein Leichtes gewesen, sie für die verbleiben­den zehn Monate als Übergangsl­ösung vorzuschla­gen, zumal auch Schmidt bei der Bundestags­wahl nicht wieder antritt. „Mützenich hat ein bisschen das Bauchgefüh­l verloren“, sagte ein Abgeordnet­er und erinnerte daran, dass schon die Besetzung der Position des Wehrbeauft­ragten mit Eva Högl im Mai zu ähnlichen Turbulenze­n geführt hatte.

Ziegler ist an all dem unschuldig. Obwohl sie im Parlament 536 von 657 abgegebene­n Stimmen erhielt, startet sie doch geschwächt in eine Aufgabe, die viel Autorität und Souveränit­ät erfordert, seit es im Bundestag wegen der AfD ständig turbulent zugeht. Und Zeit zur Einarbeitu­ng hat sie nicht.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Dagmar Ziegler (SPD) ist neue Bundestags­vizepräsid­entin.

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