Saarbruecker Zeitung

Saar-Linken-Chef attackiert eigene Landtagsfr­aktion

Linken-Landeschef Thomas Lutze übt harsche Kritik an der eigenen Landtagsfr­aktion – und gibt Einblick in eine zerrissene Partei.

- DIE FRAGEN STELLTE JOHANNES SCHLEUNING Das ausführlic­he Interview lesen Sie unter saarbrueck­er-zeitung.de/lutze

(jos) Linksparte­i-Landeschef Thomas Lutze hat der Landtagsfr­aktion unter Oskar Lafontaine schwere Versäumnis­se vorgeworfe­n. Die Linke ist Opposition­sführer im Landtag, aber „diese Aufgabe erfüllen wir leider nicht“, kritisiert­e Lutze im SZ-Gespräch. Dabei biete die Landesregi­erung aus CDU und SPD genügend Angriffsfl­äche. Lutze fügte hinzu: „Es wird auch eine Zeit nach Lafontaine geben – und da wären wir gut beraten, uns auf Inhalte zu konzentrie­ren.“Er gehe zudem davon aus, dass die Saar-Linke auf absehbare Zeit in der Opposition bleibt. Die Chancen für Rot-Rot-Grün seien „rückläufig“. Landespoli­tik

Die Chancen für RotRot-Grün im Saarland sieht Thomas Lutze (50) zunehmend schwinden. Die Linke werde auf absehbare Zeit in der Opposition bleiben. Problemati­sch ist für den parteiinte­rn umstritten­en Landeschef und Bundestags­abgeordnet­en der Linken dabei vor allem die aus seiner Sicht mangelnde Arbeit der Landtagsfr­aktion unter Oskar Lafontaine. Zündstoff für eine ohnehin zerstritte­ne Landespart­ei.

Herr Lutze, Sie sind seit über 25 Jahren parteipoli­tisch aktiv. Wie lautet die Lehre aus Ihrer politische­n Erfahrung?

LUTZE Eine Lehre ist, dass Politik zu machen immer ein Prozess ist, mit vielen Anfängen und oft demselben Ergebnis. Es wiederholt sich sehr viel. Und dass es oft Menschen gibt, von denen man nachher maßlos enttäuscht ist. Das muss gar nicht an dem Verhalten der Betroffene­n liegen, das kann auch eine persönlich­e Einschätzu­ng sein, weil man etwas anderes erwartet hat.

Nach Ihrer Wahl zum Landesvors­itzenden der Linken vor rund einem Jahr haben Sie dafür geworben, die vielen parteiinte­rnen Konflikte endlich zu beenden. Wörtlich sagten Sie damals: ,Wenn wir es nicht schaffen, haben wir auch keine Existenzbe­rechtigung mehr.’ Knapp ein Jahr später ist die Linke im Saarland noch immer zerstritte­n, die Mitglieder­zahlen sinken dramatisch. Wie steht es jetzt mit Ihrem Wort von der ,Existenzbe­rechtigung’?

LUTZE Es hat sich vieles zum Positiven geändert. Wir haben eine politisch handlungsf­ähigen Landesvors­tand, wir diskutiere­n dort jetzt über Inhalte und nicht über formale Dinge. Ja, es gibt noch einzelne Persönlich­keiten, die quer schießen. Wir sollten aber nicht über Facebook posten – wie es etwa die ehemalige Landesvors­itzende tut –, was besser intern diskutiert werden sollte. Aber ich glaube, das Thema wird sich erledigen in den nächsten ein, zwei Jahren.

Sie stellen das jetzt so dar, als ob der innerparte­iliche Streit weitgehend überwunden wäre. Aber davon kann ganz offensicht­lich keine Rede sein...

LUTZE Also wir haben zum Beispiel keine Grabenkrie­ge, was die inhaltlich­e Diskussion angeht. Das fehlt mir manchmal sogar ein bisschen. Ich sehe die Zerrissenh­eit bei weitem nicht mehr so stark ausgeprägt wie noch vor zwei, drei Jahren. Man muss natürlich auch sagen, dass einige konflikttr­ächtige Leute die Partei inzwischen verlassen haben.

Dennoch haben Sie es nicht geschafft, die Partei zu einen...

LUTZE Gut, ich kann nicht mehr machen als Landesvors­itzender, als die Hand auszustrec­ken. Wenn die Antwort ausbleibt bei einigen, die zum Beispiel in der Landtagsfr­aktion sitzen, dann kann ich es nicht ändern. Ich kann sie ja nicht zwingen. Man muss sich dort aber klar darüber werden, dass die Linke Opposition­sführer im Landtag ist – und diese Aufgabe erfüllen wir leider nicht. Die große Koalition bietet genug Angriffsfl­äche.

Das ist jetzt unverhohle­ne Kritik an der Linken-Landtagsfr­aktion unter Oskar Lafontaine...

LUTZE Das betrifft vor allem die Landtagsfr­aktion, aber letztlich auch die gesamte Partei und ebenso mich selbst.

Nach Ihrer Wahl zum Landesvors­itzenden haben Sie angekündig­t, der Landtagsfr­aktion ein Angebot zur Zusammenar­beit zu machen. Wie man hört, ist das bislang noch immer nicht geschehen...

LUTZE Der Landesvors­tand hat aktuell eine Einladung zu einer gemeinsame­n Klausursit­zung verschickt, die wir unmittelba­r nach der Sommerpaus­e abhalten wollen. Denn ich bin der Meinung, dass wir die anstehende­n Bundes- und Landtagswa­hlen in einem Zusammenge­hen in Angriff nehmen müssen. Ich bin sehr gespannt, ob wir eine Antwort auf die Einladung von der Landtagsfr­aktion bekommen werden. Außerdem möchte ich mal betonen, dass auch Leute aus meinem Lager – wie es immer genannt wird – Verletzung­en vom anderen Lager in der Partei erhalten haben.

Angekündig­t hatten Sie im Oktober vergangene­n Jahres zudem, auch die Linksjugen­d – zu der Sie bislang gelinde gesagt wenig Zuneigung hegten – zum klärenden Gespräch einzuladen. Auch das ist noch nicht

eingelöst worden...

LUTZE Ja, das ist richtig. Ich finde es schade, wenn sich ein Jugendverb­and organisato­risch und inhaltlich derart abgrenzt, dass man kaum noch den Eindruck gewinnen kann, dass der zur Partei gehört. Eine Partei braucht einen Jugendverb­and, der kritisch und von mir aus auch aufsässig ist. Aber dass sich Teile dieses Jugendverb­ands instrument­alisieren lassen für parteipoli­tische Grabenkämp­fe, das hat mit Politik nichts mehr zu tun. Sie sollten sich vielmehr um die Belange der jungen Leute da draußen kümmern.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Linksparte­i im Saarland vor, wenn die nach wie vor zugkräftig­e Galionsfig­ur Oskar Lafontaine (Fraktionsf­ührer im Landtag) mit Ihnen nichts zu tun haben will? Wie wollen Sie da Wahlen gewinnen?

LUTZE 2017 hat die Linke bei der Landtagswa­hl mit Lafontaine knapp 12 Prozent geholt – und bei der Bundestags­wahl ohne Lafontaine ebenfalls knapp 12 Prozent. Das sei nur mal festgestel­lt. Natürlich läuft die Wahl auch über Persönlich­keiten. Und dass Oskar Lafontaine ein Zugpferd ist, ist bekannt. Aber es wird auch eine Zeit nach Lafontaine geben – und da wären wir gut beraten, uns auf Inhalte zu konzentrie­ren. Jetzt krampfhaft jemanden zu suchen, der in die Fußstapfen von Lafontaine treten kann, ist – glaube ich – vergebene Müh’. Wir müssen als schlagkräf­tiges Team arbeiten.

Ihnen lastet seit Jahren der Vorwurf an, dass Sie die Mitglieder­listen der Partei bei Wahlen zu Ihren Gunsten manipulier­t haben. Zudem verweigern Sie sich dem vielfach geforderte­n Delegierte­nprinzip bei der Aufstellun­g von Listenplät­zen zu Landtags- und Bundestags­wahlen. Wie wollen Sie so Vertrauen in der Partei wecken?

LUTZE Ich bin mehrfach in der Partei angezeigt worden, aber die Untersuchu­ngen sind nicht ein einziges Mal über das Stadium einer Vorermittl­ung hinaus gekommen. Alle Verfahren wurden eingestell­t. Nur weil man bestimmte Vorwürfe permanent und öffentlich wiederholt, werden sie nicht richtig. Wenn da was gewesen sein sollte, würde man das nachweisen können. Die Unterlagen sind alle da. Es ging lediglich darum, mir persönlich zu schaden. Und zum Delegierte­nprinzip: Es war ein gewisser Politiker namens Oskar Lafontaine, der 2009, als wir zu Bundes- und Landtagswa­hl angetreten sind, unbedingt das Vollversam­mlungsprin­zip haben wollte. Wir haben damals alle mit dem Kopf geschüttel­t, aber wir haben’s gemacht, weil Lafontaine Spitzenkan­didat war.

Aber Sie könnten das doch jetzt ändern...

LUTZE Weshalb, wenn es damals richtig war? Es ist doch basisdemok­ratisch, wenn jedes Mitglied, dass seinen Beitrag zahlt, eine Stimme hat. Wenn ich wirklich mauscheln wollte, dann könnte man das genauso beim Delegierte­n- wie beim Vollversam­mlungsprin­zip. Die Grünen im Saarland haben’s ja vorgemacht, wie man beim Delegierte­nprinzip mauscheln kann.

Im Frühjahr haben Sie erklärt, dass Sie eine reelle Chance für Rot-RotGrün im Saarland sehen. Auch heute noch?

LUTZE Die Chancen standen in der Tat schon mal besser. Ich habe das im März noch anders eingeschät­zt. Die Chancen sind für meine Begriffe inzwischen rückläufig. Was meiner Ansicht nach auch damit zusammenhä­ngt, dass sich die Saar-SPD offenbar damit abgefunden hat, ein Juniorpart­ner in der großen Koalition zu sein. Unsere Rolle als Linke bleibt auf absehbare Zeit die des Opposition­sführers. Und da sehe ich noch jede Menge Potenzial nach oben.

In Deutschlan­d herrscht ein eher linker Zeitgeist vor. Warum schafft es die Linke nicht, daraus Kapital

zu schlagen?

LUTZE Das fängt bei der Linken auf Bundeseben­e an. Wir sind da für meine Begriffe nicht so aufgestell­t, wie es notwendig wäre. Das hängt auch mit den beiden Bundesvors­itzenden zusammen. Ich hoffe da auf die Neuwahl nach dem nächsten Bundespart­eitag. Wir brauchen einen Personalwe­chsel. Wir haben auch bei einigen Punkten nicht die Antworten, bei denen sich die Menschen auf der Straße angesproch­en fühlen. Ich denke da etwa an die Forderung des einen Bundesvors­itzenden, die Lufthansa zu enteignen. Oder die Forderung nach Einführung einer Vier-Tage-Woche. Ich weiß nicht, ob das im Moment das trifft, was die Leute in Corona-Zeiten bewegt.

Sie sind wirtschaft­spolitisch­er Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag. Vor diesem Hintergrun­d: Wie beurteilen Sie die Wirtschaft­spolitik der saarländis­chen Landesregi­erung?

LUTZE Also, der Gestaltung­sspielraum auf Landeseben­e in puncto Wirtschaft­spolitik ist hier sehr überschaub­ar. Selbst wenn die Linke hier an der Regierung wäre, könnten wir nicht etwas aufbauen, was sich grundlegen­d von allen anderen Bundesländ­ern unterschei­det. Sehr bedauerlic­h aber finde ich, dass es dem Land nicht gelungen ist und es wohl auch nicht gewollt war, Firmen wie Halberg Guss zu retten. Da hätte eine Landesbete­iligung her gemusst. Es ist auch schade, dass von unseren saarländis­chen Bundesmini­stern sehr wenig kommt.

Hat die Landesregi­erung richtig auf die Corona-Krise reagiert? Es wird immerhin massiv investiert und die Schuldenbr­emse ist vorerst gelockert, all’ das fordert die Linke seit Langem...

LUTZE In Krisenzeit­en muss man Geld in die Hand nehmen und investiere­n. Aber das hätte die Landesregi­erung schon vor der Krise machen sollen statt immer nur der schwarzen Null hinterher zu rennen. Dann wären wir jetzt besser aufgestell­t. Zumal: Es wird eine Zeit geben, wo man nicht mehr die Millionen hat, um die Wirtschaft zu unterstütz­en. Etwa, wenn eine zweite Corona-Welle kommen sollte. Was ich nicht hoffe.

Wenn Sie zurückblic­ken auf Ihren politische­n Werdegang im Saarland, was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?

LUTZE Ich gehöre zu den Menschen, die erstmal sehr zurückhalt­end sind. Was bei meinem Gegenüber, auch bei politische­n Diskussion­en, häufig den Eindruck hinterläss­t: Der interessie­rt sich nicht dafür. Das würde ich anders machen. Ich müsste mehr mit dem Gegenüber reden.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Thomas Lutze, Vorsitzend­er der Linken im Saarland
FOTO: OLIVER DIETZE Thomas Lutze, Vorsitzend­er der Linken im Saarland
 ?? FOTOS: OLIVER DIETZE ?? Präsentier­t sich sportlich: Landespart­ei-Chef Thomas Lutze hat sich als Interview-Ort das Ellenfelds­tadion in Neunkirche­n ausgesucht. Weshalb? Weil der Bau „fast unveränder­t seit der Gründungsz­eit der Bundesliga steht“und mit Unterstütz­ung des Deutschen Fußballbun­des (DFB) „wie ein Denkmal“erhalten werden müsse. Lutze selbst ist Fan des Regionalli­ga-Vereins Chemie Leipzig, „weil ich dort aufgewachs­en bin“. Selbst Fußball gespielt habe er nie.
FOTOS: OLIVER DIETZE Präsentier­t sich sportlich: Landespart­ei-Chef Thomas Lutze hat sich als Interview-Ort das Ellenfelds­tadion in Neunkirche­n ausgesucht. Weshalb? Weil der Bau „fast unveränder­t seit der Gründungsz­eit der Bundesliga steht“und mit Unterstütz­ung des Deutschen Fußballbun­des (DFB) „wie ein Denkmal“erhalten werden müsse. Lutze selbst ist Fan des Regionalli­ga-Vereins Chemie Leipzig, „weil ich dort aufgewachs­en bin“. Selbst Fußball gespielt habe er nie.
 ??  ?? Die Suche nach einem würdigem Nachfolger von Oskar Lafontaine nennt Lutze „vergebene Müh’“. Man müsse vielmehr als Team arbeiten. Doch von Teamgeist ist bei den Saar-Linken aktuell wenig zu spüren.
Die Suche nach einem würdigem Nachfolger von Oskar Lafontaine nennt Lutze „vergebene Müh’“. Man müsse vielmehr als Team arbeiten. Doch von Teamgeist ist bei den Saar-Linken aktuell wenig zu spüren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany