Hans-Jochen Vogel ist gestorben
Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 94 Jahren in München.
Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel ist tot. Der ehemalige Bundesjustizminister starb am Sonntag im Alter von 94 Jahren in München, wo er lange Oberbürgermeister war. In der eigenen Partei galt Vogel zeitlebens als eine Art sozialdemokratisches Gewissen mit unerschütterlichen moralischen Grundsätzen. „Sein Tod ist ein großer Verlust für seine Sozialdemokratie“, sagte die Chefin der Saar-SPD, Anke Rehlinger. „Er hatte für seine Partei stets Rat, aber nie Schläge.“
Politik
Überrascht hat die Nachricht nicht, seit Hans-JochenVogel vor einiger Zeit seine Parkinson-Krankheit selbst öffentlich machte. Nun ist das SPD-Urgestein 94-jährig in dem Münchner Wohnstift gestorben, in dem er seit 2006 mit seiner Frau Lieselotte lebte. Viele Jüngere werden schon nicht mehr wissen, welches politische Kaliber dieser Mann war: Münchener Oberbürgermeister bis 1972, der die Olympischen Spiele an die Isar holte. Bundesbau- und Justizminister. SPD-Vorsitzender. Regierender Bürgermeister von Berlin. Kanzlerkandidat.
Aber die Jüngeren könnten mitbekommen haben, dass im letzten
Jahr ein kleines Büchlein an den Kassen lag. Der dröge Titel: „Mehr Gerechtigkeit – Wir brauchen eine neue Bodenordnung“. Darin stand, der Staat werde den Mietwucher nur stoppen, wenn er sich wieder jenes Gutes bemächtige, dessen Preissteigerung alles antreibe: des Bodens.
Vogel sprach sich für nichts weniger als eine – allerdings fair entschädigte – dauerhafte Enteignung von Bauland aus.
Das wirkte altersradikal, war es aber nicht. Zwar galt Vogel als rechter Sozialdemokrat. Aber Vogel hatte immer diese starke soziale Ader in sich, die ihn auch im Altersstift nicht los ließ, als er vernahm, wie es auf den Wohnungsmärkten heute zugeht. Da musste er sich einmischen. Außerdem war er immer bereit, der Jugend zuzuhören und sich selbst zu verändern. In den 80er Jahren sorgte er deshalb für Beschlüsse, in denen sich die SPD von der Raketenstationierung und der Atomenergie abwandte. Und als Regierender Bürgermeister von Berlin begann er 1981 sogleich, den Konflikt um die Hausbesetzungen zu befrieden. Jenen, die von ihm ein hartes Vorgehen gegen die „Chaoten“verlangten, entgegnete er damals: Nach dem Strafgesetzbuch sei die gewaltlose Regelverletzung Steuerhinterziehung, die viel häufiger geschehe, wesentlich höher zu bewerten als die gewaltlose Regelverletzung Hausfriedensbruch.
Vogel konnte den Juristen in sich in solchen Momenten nur schwer verleugnen. Nicht ohne Grund erhielt er bald den Beinamen „Oberlehrer“. Aber das war er nicht. Er war nur immer sehr gut vorbereitet, oft besser als andere. Er verlangte von sich und seinen Mitarbeitern absoluten Einsatz und höchste Präzision. Seine Pressesprecher und Referenten
hatten ihm in der Regel um 6.30 Uhr morgens die Lage vorzutragen, aber bitte lückenlos und auf den Punkt. Nicht wenige hatten Angst vor ihm. Wichtige Vorgänge sammelte er in Klarsichthüllen auf seinem Tisch, jederzeit griffbereit.
Vogel war ein Berserker und ein Pedant der Demokratie. Politik empfand er, darin trotz seiner langen Zeit in München fast schon preußisch, als die Erfüllung einer Pflicht gegenüber dem Staat und den Menschen. Typen wie er sind in diesem Geschäft selten geworden. Wolfgang Schäuble vielleicht ausgenommen. Und Vogels jüngerer Bruder Bernhard, lange Ministerpräsident in gleich zwei Bundesländern, war ebenso erfolgreich. Aber für die CDU.