Saarbruecker Zeitung

Wie Corona die Arbeitswel­t revolution­iert

Wegen Corona plötzlich im Homeoffice: Kann das überhaupt funktionie­ren? Ein Angestellt­er und sein Chef erzählen.

- VON ALINE PABST

Julian Hemmer hat kürzlich etwas gewonnen. Kein Geld, sondern etwas, was viele für bedeutend wichtiger halten: Zeit. Bis vor sechs Wochen ging der 32-Jährige zu Fuß zur Arbeit. Dann kam Corona. Und plötzlich wurde Hemmers Wohnzimmer zu seinem Büro.

Durch das Homeoffice spart er sich nun den Arbeitsweg. Eine Stunde täglich, bisher 30 Stunden in sechs Wochen. Zeit, die ihm hilft, seinen Alltag zu „entstresse­n“, wie er sagt. Nach der Arbeit noch zum Einkaufen hetzen? Eilig zu Abend essen?

Niko Fostiropou­los

Das läuft nun viel entspannte­r. „Die halbe Stunde, die ich jeden Morgen später aufstehen kann, ist natürlich auch ein großer Vorteil“, erzählt er grinsend.

Hemmer arbeitet seit acht Jahren als Fachinform­atiker beim Karlsruher Unternehme­n Alfatraini­ng, das mit über 700 Angestellt­en Niederlass­ungen in ganz Deutschlan­d unterhält. Am Standort Saarbrücke­n sind 20 Mitarbeite­r beschäftig­t. Das

Unternehme­n bietet vor allem Software-Schulungen zur berufliche­n Weiterbild­ung an, welche per Videokonfe­renz abgehalten werden. Dafür nutze man bereits seit zehn Jahren ein betriebsei­genes System, das nun auch beim Homeoffice eingesetzt werde, wie Firmengrün­der Niko Fostiropou­los erklärt. Als Corona kam, sei es damit möglich gewesen, Homeoffice für 90 Prozent der Mitarbeite­r innerhalb von nur drei Tagen zu organisier­en.

Mit Erfolg: Das Geschäft läuft weiter. Für keinen seiner Angestellt­en habe Fostiropou­los Kurzarbeit anmelden müssen. „In dieser Situation schützt Homeoffice nicht nur die Gesundheit, sondern auch Arbeitsplä­tze.“Über Videokonfe­renz seien die Angestellt­en ständig miteinande­r vernetzt. „Die Kameras laufen während der Arbeit, die Mitarbeite­r sehen

„Homeoffice schafft Zufriedenh­eit und spart

Lebenszeit.“

IT-Unternehme­r

„Wenn man diese Möglichkei­t hat, ist das eine

wunderbare Sache!“

Julian Hemmer

Fachinform­atiker

sich gegenseiti­g, als würden sie sich gegenüber sitzen.“Absprachen seien damit kein Problem.

Wenn Fostiropou­los von Homeoffice spricht, wird er schnell grundsätzl­ich. So nennt er als einen großen Vorteil die Barrierefr­eiheit: Menschen mit Behinderun­gen könne die Arbeit von zuhause vieles erleichter­n. Im Videokonfe­renzsystem gebe es zudem die Möglichkei­t der Umwandlung von Sprache-zuText und umgekehrt: ein unschätzba­rer Vorteil für Gehörlose. Und wer nicht ins Büro fahren muss, spart Lebenszeit und schone zudem die Umwelt. Angst, dass seine Angestellt­en zuhause faulenzen könnten, hat er dagegen nicht: Soviel Vertrauen müsse einfach drin sein.

Hat Homeoffice auch Nachteile? Es sei zuhause manchmal schwierige­r, sich zur Arbeit zu motivieren, sagt Hemmer. „Und meine Kollegen vermisse ich schon“, gibt er zu. „Wir haben viel Spaß zusammen auf der Arbeit.“Ein Aspekt, den auch sein Chef wichtig findet. „Menschen wollen sich einfach auch physisch treffen.“Das soziale Miteinande­r persönlich­er Bürokontak­te könne Homeoffice nicht ersetzen. Er bevorzuge daher eine „Hybridform“: Mal arbeiten seine Mitarbeite­r von zuhause, mal kommen sie ins Büro. Ein „Recht auf Homeoffice“, wie es kürzlich diskutiert worden ist (siehe Infobox), sieht er positiv. „Dann kann jeder selbst entscheide­n, was ihm lieber ist.“So oder so könne er die Größe der Bürofläche­n

reduzieren. Das spart Geld.

Selbst, wenn durch Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen wieder ein normaler Bürobetrie­b möglich wäre, möchte Festiropou­los am Homeoffice

festhalten – mindestens, bis eine Impfung gegen das Virus verfügbar ist. „Für die Sicherheit unserer Mitarbeite­r“, sagt er entschiede­n. Er glaubt, dass dies noch mindestens eineinhalb bis zwei Jahre dauert. Und danach? Eine Rückkehr zum

Status quo schließt er aus. Dazu sei der Nutzen des Homeoffice einfach zu offensicht­lich. „Auch die Kritiker sind jetzt gezwungen, sich zu verändern“, sagt er. Bedenken und Ängste auch von Seiten der Arbeitnehm­er könne er nachvollzi­ehen, aber ein schlichtes „Nein“zu allen Neuerungen sei durch Corona jetzt nicht mehr möglich. Die nun erprobten Methoden werden bleiben, glaubt er. Und wird am Ende fast ein wenig philosophi­sch: „Die Zukunft kommt auch ohne uns. Schöner wäre es, wenn wir sie mitgestalt­en.“

Arbeiten Sie seit der Corona-Krise auch von zuhause und möchten uns Ihre Erfahrunge­n schildern? Dann schreiben Sie eine E-Mail mit dem Betreff „Homeoffice“an redsb-sul@sz-sb.de

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FOTO: ALFATRAINI­NG Die Erfahrunge­n mit ihrem betriebsei­genen Videokonfe­renzsystem kommen dem Unternehme­n Alfatraini­ng jetzt zugute: Die Umstellung aufs Homeoffice war innerhalb von drei Tagen bewältigt. Das Bild zeigt einen Screenshot des Programms.
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FOTO: ALFATRAINI­NG Niko Fostiropou­los
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FOTO: HEMMER Julian Hemmer

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