Saarbruecker Zeitung

Beiträge auf Betriebsre­nten: Das Unrecht bleibt

Trotz einer Milderung der sogenannte­n Doppelverb­eitragung von Betriebsre­nten wird das Thema weiterhin für großen Ärger sorgen.

- VON LOTHAR WARSCHEID

Gut gemeint ist noch längst nicht gut gemacht. Das ist das Urteil vieler Betroffene­r zu einem Gesetz, das Ende vergangene­n Jahres nach einem quälenden parlamenta­rischen Verfahren das Licht der Welt erblickte und seit 1. Januar gilt. Die Rede ist von dem GKV-Betriebsre­ntenfreibe­tragsgeset­z.

Es sieht vor, dass die Mehrzahl der Betriebsre­ntner bei den Beiträgen zur Krankenver­sicherung teilweise befreit wird.

Freigrenze wird zum Freibetrag Bisher galt eine Freigrenze von 155,75 Euro. Rentner, die mit ihrem betrieblic­hen Altersruhe­geld über dieser Freigrenze lagen, mussten für ihre komplette Betriebsre­nte den vollen Beitrag in die gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV ) und in die Pflegevers­icherung zahlen, das heißt den Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­er-Anteil. Wer weniger Rente erhielt, war davon befreit.

Das hat sich jetzt geändert. Aus der Freigrenze wurde ein Freibetrag. Seit 1. Januar müssen nur noch für Betriebsre­nten, die über der Freibetrag­s-Grenze von 159,25 Euro liegen, GKV-Beiträge entrichtet werden.

Mit diesem Gesetz sollte ein Schlussstr­ich unter einen sozialpoli­tischen Streit gezogen werden, der seit mehr als 15 Jahren schwelt. Er begann mit dem Gesundheit­s-Modernisie­rungsgeset­z (GMG) aus dem Jahr 2004. In der GKV klaffte seinerzeit ein Defizit von etwa acht Milliarden Euro – ohne Aussicht auf Besserung.

Damals beschloss die rot-grüne Bundesregi­erung mit Billigung der CDU/CSU, dass Betriebsre­ntner ab einer bestimmten Einkommens­höhe auf diese zusätzlich­en

Ruhestands­bezüge zehn Jahre lang den vollen Beitrag in die GKV und in die Pflegevers­icherung zahlen müssen. Das hatte den Effekt, dass sie zweimal zur Kasse gebeten wurden. Denn etliche von ihnen hatten diesen schon in der Zeit gezahlt, in der sie als Arbeitnehm­er den Kapitalsto­ck ihrer künftigen Betriebsre­nte ansparten. Dennoch wurden sie dazu verdonnert, noch einmal Kranken- und Pflegevers­icherungsb­eiträge zu entrichten. Die Sozialkass­en konnten seinerzeit drei Milliarden Euro an Zusatzeinn­ahmen verbuchen.

Diese sogenannte Doppelverb­eitragung sorgte von Anfang an für Ärger. Denn der Staat schöpft damit knapp 20 Prozent der erwarteten Betriebsre­nten-Summe ab, wie der Verein Direktvers­icherungsg­eschädigte (DVG) ausgerechn­et hat. „Diese Last wirft die Lebensplan­ung vieler Betroffene­r über den Haufen“, kritisiert er. Doch es half nichts. Der

Marsch durch die juristisch­en Instanzen blieb weitgehend erfolglos.

Sogar das Bundesverf­assungsger­icht bestätigte die Rechtmäßig­keit der Beiträge für alle Betriebsre­nten-Varianten, bei denen der Arbeitgebe­r als Versicheru­ngsnehmer eingetrage­n war. Das waren die allermeist­en. Betroffen davon sind dem DVG zufolge rund 20 Millionen Betriebsre­ntner.

Besonders betrogen fühlen sich diejenigen, die eine sogenannte Direktvers­icherung abgeschlos­sen haben, laut DVG etwa 6,3 Millionen Menschen. Bei dieser Form der Altersvors­orge – auch Entgelt-Umwandlung genannt – zahlen die Arbeitnehm­er die Beiträge komplett aus ihrer eigenen Tasche. Ein Teil ihres Gehalts fließt in eine Kapitalleb­ensversich­erung und wird lediglich mit 20 Prozent pauschal versteuert.

Direktvers­icherte, die ihre Verträge vor 2004 abgeschlos­sen haben, trifft es besonders hart. Ihre Verträge

waren in der Einzahlung­sphase bereits sozialabga­benpflicht­ig. Der Vorteil lag lediglich in der Pauschalve­rsteuerung.

Die Betroffene­n gingen bei Vertragsab­schluss davon aus, dass sie später ganz von den Beiträgen befreit würden. Das Gesundheit­smodernisi­erungsgset­z von 2004 machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Alle müssen erneut auf die ausgezahlt­en Betriebsre­nten Beiträge bezahlen und diese auch noch doppelt: Arbeitnehm­erund Arbeitgebe­ranteil. Das trifft auch diejenigen, die sich den Betrag auf einen Schlag überweisen lassen. Das ist keine Doppel-, sondern eine Mehrfachve­rbeitragun­g.

Die neueren Direktvers­icherungen sind in der Einzahlung­sphase bis zu einem Limit von vier Prozent der Beitragsbe­messungsgr­enze steuer- und sozialabga­benfrei. Bei Auszahlung muss der Direktvers­icherte dann sowohl den Arbeitgebe­rals auch den Arbeitnehm­eranteil

an den Krankenkas­senbeiträg­en sowie seinen individuel­len Steuersatz in voller Höhe zahlen.

Das neue Gesetz soll eine Entlastung von 1,2 Milliarden Euro bringen. Ein Muster-Ruheständl­er, der 300 Euro Betriebsre­nte pro Monat erhält, musste bislang knapp 60 Euro pro Monat an Krankenund Pflegevers­icherung zahlen. Künftig sollen es etwas mehr als 31 Euro sein, rechnen die Experten des Fachverlag­s Haufe vor. Nach Berechnung­en der Bundesregi­erung müssen künftig rund 60 Prozent der Betriebsre­ntner maximal die Hälfte ihres bisherigen Krankenver­sicherungs-Beitrags leisten. Wer mehr bekommt, werde um 300 Euro pro Jahr entlastet.

Doch die Kritik ebbt nicht ab. Ein dicker Stein des Anstoßes ist, dass die Pflegevers­icherung von der Reform nicht berührt wurde. Für sie gilt weiterhin, dass bei einer Betriebsre­nte von mehr als 159,25 Euro der volle Beitragssa­tz fällig wird.

Keine Entlastung für freiwillig Krankenver­sicherte Gänzlich befreit von der Sozialabga­ben-Pflicht wurden 2004 diejenigen Arbeitnehm­er, die privat kranken- und pflegevers­ichert sind. Diese Regelung gilt auch in Zukunft. Für Betriebsre­ntner, die freiwillig in der GKV versichert sind, ist weiterhin die Freigrenze bindend. Bei ihnen ändert sich nichts.

Für die Direktvers­icherungs-Geschädigt­en wird das in ihren Augen erlittene Unrecht daher durch das neue Gesetz nicht beseitigt. Denn die neue Freibetrag­s-Regelung gilt nicht rückwirken­d und eine vollständi­ge Rückabwick­lung wird gänzlich abgelehnt. 40 Milliarden Euro müssten dafür aufgewende­t werden, heißt es aus dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium.

Dennoch steht diese Forderung weiterhin im Raum. So spricht sich beispielsw­eise der Landesverb­and Niedersach­sen des Sozialverb­ands Deutschlan­d (SoVD) für die komplette Rückabwick­lung aus. Die FDP-Fraktion im Bundestag hatte sich bei der Beratung für das neue Gesetz dafür stark gemacht, dass ab 2020 auf die Sozialvers­icherungsb­eiträge verzichtet wird. Doch damit drang sie – wie auch die Linksfrakt­ion – im Parlament nicht durch. Die Linke forderte unter anderem, Krankenund Pflegevers­icherung gleich zu behandeln und für alle Direktvers­icherungsv­erträge, die vor 2004 abgeschlos­sen wurden, gar keine Beiträge mehr zu erheben.

Das Thema wird weiterhin für Diskussion­sstoff sorgen. Zumal die Betroffene­n nicht sofort entlastet werden und vorerst alles beim Alten bleibt. Der GKV-Spitzenver­band rechnet damit, dass die Änderungen sich erst ab Mitte 2020 niederschl­agen werden. Das Meldeverfa­hren und die Personalab­rechnungsp­rogramme müssten noch angepasst werden. Die Beiträge, die deswegen in den kommenden Monaten zu viel gezahlt werden, könnten die Krankenkas­sen zudem erst 2021 erstatten. https://dvg-ev.org/

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FOTO: MURAT/DPA Zwar entlastet die Bundesregi­erung Betriebsre­ntner durch geringere Krankenkas­senbeiträg­e auf Betriebsre­nten. Doch viele profitiere­n davon kaum.

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