Die Grünen feiern ihr 40-jähriges Bestehen
Was mit Strickpullis und radikalen Ideen begann, hat heute Kanzler-Aussichten: Die Grünen haben zum 40. Geburtstag Grund zu feiern.
Einst brachten sie mit Strickpullis, langen Haaren und radikalen Ideen die etablierten Parteien auf die Palme: Heute feiern die Grünen ihr 40-Jähriges Bestehen als (längst etablierte) Bundespartei.
(dpa) Die Karlsruher Stadthalle war hoffnungslos überfüllt, als gut tausend Delegierte im Januar 1980 „Die Grünen“als Bundespartei aus der Taufe hoben. Die Bilder lassen Nostalgiker verzückt seufzen: Strickpullis, Vollbärte und radikale Ideen, dazu ein guter Schuss anarchistisch anmutendes Chaos. Eine Zumutung für die etablierten Parteien, allen voran die Konservativen. 40 Jahre später kommt sogar der Bundespräsident für eine Rede vorbei, wenn die Grünen ihr Jubiläum feiern – für den Festakt am Freitagabend wird Frank-Walter Steinmeier erwartet. Auf so eine Erfolgsgeschichte hätten damals in Karlsruhe wohl wenige gewettet.
Denn wer waren die frühen Grünen? Friedensbewegte und Atomkraftgegner, Feministinnen, Dritte-Welt-Gruppen, Christen und Kommunisten, Wertkonservative, aber auch – heute schwer vorstellbar – völkisch orientierte Bauern und Nationalisten. Das musste Ärger geben. Gemeinsam war ihnen der Wunsch, sehr viel anders zu machen. Am Anfang der Grünen-Geschichte stand der Protest. 1982 sprach Petra Kelly von der „Antipartei-Partei“und sagte: „Wenn die Grünen eines Tages anfangen, Minister nach Bonn zu schicken, dann sind es nicht mehr die Grünen, die ich mit aufbauen wollte.“Ein Jahr drauf zogen die Grünen erstmals in den Bundestag ein und überreichten Kanzler Helmut Kohl einen dürren Tannenzweig – wegen des Waldsterbens. Noch ein Jahr später rief Joschka Fischer ebendort: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“Und noch einmal ein Jahr drauf ließ er sich in weißen Turnschuhen als Umweltminister in Hessen vereidigen.
Was ganz neu und anders sein sollte, erwies sich vielfach als unpraktisch – etwa das Rotationsprinzip, nach dem Abgeordnete nach zwei Jahren ausgetauscht wurden. Schon zum zehnten Geburtstag befand Mitgründer Wolf-Dieter Hasenclever, die Grünen seien „eine stinknormale Partei geworden“. Und Kelly lästerte: „Sie sind eine richtige Machterwerbs- und Wahlkampfpartei geworden, sehr taktisch und routiniert, ständig auf sich selbst fixiert.“Auch die Vereinigung der West-Grünen mit dem ostdeutschen Bündnis 90 – vollzogen 1993 – führte zu heftigsten Auseinandersetzungen.
Und heute? „Wir sind schon noch ein Bündnis der vielen“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Aber die Gemeinsamkeiten seien heute größer als in den 80ern. „Damals gab es Streit darüber, ob wir überhaupt regieren wollen. Diese Debatten sind heute überwunden. Heute ist von Kreuzberg bis Kretschmann klar: Wir wollen regieren.“
Dabei war die erste rot-grüne Koalition im Bund alles andere als ein
Selbstläufer für die junge Partei. Der Streit um den Kosovo-Krieg hätte sie fast zerrissen. Außenminister Fischer wurde vom Farbbeutel getroffen, aber setzte sich durch. Dosenpfand und Energiewende waren das eine, die harten Einschnitte der Agenda 2010 das andere.
Auf das rot-grüne Projekt folgten schwierige Jahre mit Flügelstreit, Ärger um Veggie Day und Steuerpläne und der schmerzhaften Pädophilie-Debatte. Das ist erst ein paar Jahre her, scheint aber irgendwie weit weg: Wenn man zum 40. Geburtstag so gut dasteht wie die Grünen derzeit, fällt das Feiern leicht. Seit Monaten liegen die Grünen in Umfragen bei 20 Prozent und mehr, in zehn von 16 Bundesländern – Thüringen ist ja noch unklar und daher nicht mitgezählt – sind sie mit an der Macht, regieren mal mit CDU und FDP, mal mit SPD und Linken. In Baden-Württemberg ist Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident. Im Bund gelten sie als Regierungspartei im Wartestand. Es ist purer Luxus, über Fragen zu einer Kanzlerkandidatur genervt die Augen zu verdrehen.
Der Zulauf dürfte andere Parteien neidisch machen: Mehr als 95 000 Mitglieder haben die Grünen inzwischen, allein 20 000 kamen 2019 hinzu. Klimaschutz, Insektensterben, Vermüllung der Meere – Ökothemen bewegen die Menschen, und den Grünen ist es gelungen, bei allen Kompromissen und Veränderungen den Umweltschutz als glaubhaften Fixpunkt ihrer Politik zu behalten.
Der aktuelle Höhenflug ist mit zwei Namen eng verknüpft: Annalena Baerbock und Robert Habeck, den Parteichefs. Vor zwei Jahren schaffen sie es, dass aus den geplatzten grünen Hoffnungen auf eine Jamaika-Bundesregierung keine Oppositions-Depression wurde, sondern Aufbruchstimmung.
Sie sei die erste Parteivorsitzende, die jünger sei als die Partei selbst, sagt Baerbock, die 39 ist. Der 50-jährige Habeck nennt es den Kern grüner Arbeit bis heute, eine Politik zu machen, die auch späteren Generationen noch Entscheidungsfreiheit gebe – Stichwort: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“Mit diesem Spruch haben die Grünen schon 1980 geworben.