Saarbruecker Zeitung

Wie Firmen mit Haltungsbo­tschaften werben

Ein Hersteller von Rasierklin­gen wirbt für ein neues Männerbild, eine Frau mit Kopftuch für Fruchtgumm­i. Immer häufiger verbinden Unternehme­n Reklame mit gesellscha­ftlichen und politische­n Statements.

- VON ESTEBAN ENGEL

(dpa) Glatte Haut war gestern – der Rasierklin­genherstel­ler Gillette will aus seinen Kunden bessere Männer machen. Aus übergriffi­gen Bossen, mobbenden Jungs und Machos am Grill sollen gefestigte Persönlich­keiten im Geist von #Metoo werden. So jedenfalls lässt sich die Botschaft eines neuen Werbeclips verstehen, der inzwischen Millionen Mal auf YouTube und anderswo geklickt wurde. „Ist das das Beste, was Männer sein können?“, heißt es in dem zwei Minuten langen Film auf Englisch für die internatio­nalen Märkte. Seinen einst stolzen Anspruch („Das Beste im Mann“) hat der Klingenfab­rikant zur Haltungsfr­age umgedeutet.

Haltung in der Werbung liegt im Trend. Ob neue Frauen- und Männerbild­er, Klimawande­l oder Integratio­n – wer mit gesellscha­ftlichen und politische­n Statements wirbt, kann sich der Aufmerksam­keit sicher sein.

Smartphone­s und soziale Medien hätten zu einer enormen Beschleuni­gung der Kommunikat­ion beigetrage­n, sagt der Werbefachm­ann André Karkalis. Selbst Unternehme­n mit Milliarden­umsätzen und riesigen Werbebudge­ts hätten Schwierigk­eiten, sich im Stimmenwir­rwarr Gehör zu verschaffe­n. „Wir haben gelernt, Werbung auszublend­en“, sagt Karkalis, der eine PR-und Kommunikat­ionsagentu­r betreibt. Firmen versuchten, sich deswegen in gesellscha­ftliche Debatten einzuklink­en.

Wenn im Namen von Katjes eine Frau mit Kopftuch für veganes Fruchtgumm­i (ohne Schweinefl­eisch-Gelatine) wirbt, steigt sofort die Erregungsk­urve in den sozialen Medien. Dass sich das Unternehme­n mit seiner Botschaft damit vor allem an Muslime richtet, immerhin etwa sechs Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d, birgt Konfliktst­off in sich. Mit dem Spot wolle Katjes junge Muslimas ansprechen, für die der Verzicht auf tierische Gelatine eine bedeutende Rolle spiele, sagt die Firma.

Hohe Wellen schlug in den USA die Kampagne von Nike („Just do it“) mit dem Football-Spieler Colin Kaepernick. Der ehemalige Quarterbac­k aus San Francisco hatte eine Krise in der patriotisc­h gestimmten NFL-Welt ausgelöst. Bei einem Spiel seiner Mannschaft hatte sich Kaepernick nicht zur Nationalhy­mne erhoben. Er wolle sich nicht zu einer Flagge bekennen, in deren Namen schwarze Menschen unterdrück­t werden. Kurz zuvor hatte die Polizei drei Schwarze erschossen. Kaepernick flog aus der Liga und hat bisher kein Team gefunden. Nikes Aktie fiel zwar zunächst in den Keller. Doch wer nun die Sneakers am Fuß hatte, zeigte, auf wessen Seite er oder sie stand.

Dass Haltungsbo­tschaften auch daneben gehen können, musste der Kosmetikhe­rsteller Dove schmerzlic­h erfahren. Der Seifenund Duschgel-Fabrikant hatte zwar früh in seinen Spots das gängige Bild dünner Models in Frage gestellt und auch rundliche Frauen Reklame machen lassen. Doch in einem späteren Spot blendete die Firma Frauen verschiede­ner Hautfarben hintereina­nder ein, die in schneller Abfolge ihre T-Shirts wechselten. Bei vielen Betrachter­n entstand der Eindruck, mit der richtigen Seife werde dunkle zur reinen, weißen Haut. Nach Rassismus-Vorwürfen entschuldi­gte sich das Unternehme­n.

„Virtue signaling“nennt sich in den USA diese Art, mit direkter Ansprache Tugenden anzumahnen und damit Aufmerksam­keit zu erregen. Mobbing, die #MeToo-Bewegung, sexuelle Belästigun­g, toxische Männlichke­it – „ist das das Beste am Mann?“, heißt es auch zu Beginn des Gillette-Spots. Viele Männer, verkündet das Unternehme­n in einem eigens geschaffen­en Webauftrit­t, „seien auf dem Scheideweg zwischen der Vergangenh­eit und einer neuen Ära der Männlichke­it“.

Anders als bei Nike, wo der „gefallene Held“Kaepernick zur positiven Identifika­tionsfigur erhoben wurde, fordert Gillette seinen Kunden auf, sich selbst zu hinterfrag­en. „Kommunikat­ion mit erhobenem Zeigefinge­r“nennt das Karkalis: „Möchte ich mir von einem Rasierer sagen lassen, dass ich mein Männerbild überdenken muss?“Karkalis spricht mit Blick auf die internatio­nale Kampagne von einer „kalkuliert­en Plumpheit“, die eben Aufmerksam­keit erzeugen solle.

Selbst Unternehme­n mit riesigen Werbebudge­ts haben heutzutage Schwierigk­eiten, sich im Stimmenwir­rwarr Gehör zu verschaffe­n.

 ?? FOTO: PAUL ZINKEN/PICTURE ALLIANCE ?? Eine Frau mit Kopftuch wirbt für den Süßwaren-Hersteller Katjes. Das Plakat sorgte für einen Shitstorm in den sozialen Medien. Doch zugleich brachte es das Unternehme­n und die Marke ins Gespräch.
FOTO: PAUL ZINKEN/PICTURE ALLIANCE Eine Frau mit Kopftuch wirbt für den Süßwaren-Hersteller Katjes. Das Plakat sorgte für einen Shitstorm in den sozialen Medien. Doch zugleich brachte es das Unternehme­n und die Marke ins Gespräch.

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