Drei Tapetenrollen und der Neoliberalismus
Ein Gespräch mit Susanne Heinrich über ihren wundersamen Wettbewerbsspielfilm „Das melancholische Mädchen“.
SAARBRÜCKEN Die junge Frau geht und leckt an ihrem Eis. Dann geht sie weiter. Und weiter. Hinter ihr scheint sich die hintapezierte Südseeszenerie langsam in einen pixeligen Farbnebel aufzulösen. Oder gibt der Kinoprojektor gerade den Geist auf? Die Frau kümmert es nicht – sie geht immer weiter, irgendwann ist das Eis gegessen. Es ist eine minutenlang ausgespielte (und sehr komische Szene), mit der „Das melancholische Mädchen“endet – der formal wohl eigenwilligste Wettbewerbsspielfilm, eine textpralle Wundertüte, bittersüß, berührend, dabei aber nie gefühlig.
Die Titelfigur, gespielt von Marie Rathscheck, ist unterwegs in der Welt, die sich hier als Sammlung bunt stilisierter Studiokulissen darstellt (mit wenigen Ausnahmen), in denen das Mädchen einen Platz zum Schlafen sucht – gleichzeitig irgendwie einen sinnigen Platz in der zunehmend unsinnigen Gesellschaft. In einer Bar, einem Museum oder einer Badewanne wird, geordnet nach Kapiteln, über Kapitalismus und Feminismus gesprochen, über Existenzialismus, Yoga und den Muttermythos. Das könnte nun dröges Thesenkino sein, ist aber durchweg hinreißend.
Aber wie soll man den Film nennen? Einen Essayfilm vielleicht? Susanne Heinrich, die den Film geschrieben und inszeniert hat (plus-Ko-Schnitt) nennt ihn ganz einfach „eine Komödie“. Viel Komik verdankt der Film seinem Umgang mit Sprache und Mimik. Die Figuren sprechen leicht entrückt, als stünden sie ein wenig neben sich, die Mimik ist artifiziell, eine Verfremdung stellt sich ein. „Das ist ein Humor, der aus einer Identifikation kommt, wie Brecht sie verstanden hat“, sagt Heinrich. „Unser Begriff von Identifikation ist ja, dass wir mitfühlen – etwa dass eine Frau am Fenster steht, weint und wir mitweinen müssen. Bei Brecht werden uns Verhältnisse vorgeführt und wir müssen lachen, weil wir uns dort wiederfinden. Ein erkenntnishaftes und befreiendes Lachen.“Leicht war diese Spielweise, irgendwo zwischen Distanz und Ironie, nicht für die Darsteller. „Sie mussten alles verlernen, die Lebendigkeit abstellen und wie Einrichtungsgegenstände wirken.“
Ein Kapitel heißt „Feminismus zu verkaufen“, denn Heinrich glaubt, „dass der aktuelle Pop-Feminismus mit einem inhaltlichen Ausverkauf einhergeht“. Viele feministische Botschaften seien „sehr gut anschlussfähig an das neoliberale Diktat vom ,Verwirkliche Dich selbst‘ oder ,Du kannst alles sein, was Du willst‘. Slogans, die natürlich nicht stimmen, aber viele strukturelle Ungleichheiten unsichtbar machen sollen.“Heinrich, seit zwei Jahren Mutter, stört sich am oftmaligen „Hineinretten anderer Mütter in etwas fast Neoreligiöses“. Dieser Muttermythos sei sehr zäh, sagt Heinrich, „es ist schwerer, sich davon zu emanzipieren, als das Ganze anzunehmen und zu sagen, dass man endlich den Sinn des Lebens und seine Rolle gefunden habe“.
Heinrich, 1985 in Leipzig geboren, wo sie heute auch lebt, studiert seit 2012 Regie an der Deutschen Filmund Fernsehakademie Berlin (dffb), kommt aber vom Schreiben her. Zwei Romane und zwei Erzählbände erschienen bis 2011. Danach erlitt Heinrich eine Schreibkrise, „ich konnte meine literarische Stimme nicht mehr gut ertragen und dachte, ich könnte mich über das Bild wieder zurücktricksen zum Schreiben“. Das hat gut funktioniert, „das Drehbuch hatte für mich eine neue und andere Stimme“. Der Film daraus entstand als Hochschulprojekt und war, seiner Dauer von 80 Minuten zum Trotz, bei der dffb als 30-Minüter angemeldet. „Ich hatte vorher nur ein paar Übungen gedreht, man hätte mir noch keinen Langfilm zugetraut.“Also reichte Heinrich ein gekürztes Drehbuch ein und begann die 18 Drehtage des Spielfilms „mit dem Budget eines Kurzfilms. Das Geld war nach dem Kauf von drei Tapetenrollen, Herumfahren und dem Catering weg.“
Der Film, in Saarbrücken uraufgeführt, hat schon einen Weltverbrieb: die Firma Coproduction Office mit einem Faible und Händchen für Filme abseits üblicher Raster – von Filmemachern etwa wie Jessica Hausner, Ulrich Seidl oder Takashi Miike. Heinrich hofft, dass der Film in einigen Ländern ins Kino kommt. Das hänge zwar „vom Mut der Verleiher ab. Aber ich glaube, dass der Film ein großes Potenzial hat, er ist schließlich eine Komödie. Jedenfalls nenne ich ihn so – weil ich mir wünsche, dass alle Komödien so sind wie mein Film.“
Letzter Termin: am Sonntag, 20 Uhr, im Cinestar 8. www.ffmop.de