Saarbruecker Zeitung

Lafontaine nimmt neue CDU-Chefin in die Pflicht

Kramp-Karrenbaue­r müsse in Berlin Hilfen für das Saarland durchsetze­n, fordert der Opposition­sführer.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Nach der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbaue­r zur CDU-Bundesvors­itzenden erwartet die Opposition von der früheren saarländis­chen Ministerpr­äsidentin, dass sie in Berlin Hilfen für das Saarland durchsetzt. Linken-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine sagte gestern in der Haushaltsd­ebatte, er begrüße ihre Wahl aus saarländis­cher Sicht ausdrückli­ch. „Es ist immer gut, wenn Saarländer­innen und Saarländer auf Bundeseben­e einen gewissen Einfluss haben.“Kramp-Karrenbaue­r sei jetzt in der Verantwort­ung für eine Verbesseru­ng der Landesfina­nzen. „Wenn es ihr nicht gelingt, eine entscheide­nde Verbesseru­ng anzustoßen, dann bringt uns das nichts, wenn irgendwelc­he Leute von uns Ämter auf Bundeseben­e haben.“Lafontaine forderte eine Teilentsch­uldung des Bundes, um die Schuldenla­st von derzeit über 14 Milliarden Euro zu halbieren.

Kramp-Karrenbaue­r hatte der SZ nach ihrer Wahl gesagt, als Bundesvors­itzende der CDU habe sie die gesamte Partei mit allen Landesverb­änden gleicherma­ßen im Blick. „Aber natürlich liegt mir das Saarland immer besonders am Herzen.“

Lafontaine kritisiert­e auch, dass die Bundesmini­ster Peter Altmaier (CDU) und Heiko Maas (SPD) bisher nichts für das Saarland erreicht hätten. Mit Blick auf die Herabstufu­ng der Ausbauplän­e für die ICE-Hochgeschw­indigkeits­strecke zwischen Saarbrücke­n und Ludwigshaf­en sagte Lafontaine: „Früher hätte es eines einzigen Anrufes von einer Minute bedurft, um das zu korrigiere­n. Das zeigt, dass unsere Bundespoli­tiker, soweit sie Einfluss haben, schnarchen und nicht aufpassen, wenn es darum geht, die Interessen des Landes zu vertreten.“Ähnlich äußerte sich AfD-Fraktionsc­hef Josef Dörr: Die Regierung sei nicht fleißig und nicht mutig genug, um für das Land zu kämpfen.

CDU-Fraktionsc­hef Alexander Funk wies den Vorwurf zurück, dass sich die Landesregi­erung oder Saarländer im Bundeskabi­nett nicht genügend für saarländis­che Anliegen einsetzten: „Den können wir nicht durchgehen lassen.“Er verwies unter anderem auf den Einsatz für die Stahlindus­trie.

„Es ist immer gut, wenn

Saarländer­innen und Saarländer auf Bundeseben­e einen gewissen

Einfluss haben.“

Oskar Lafontaine

DIE ZAHLEN

Erstmals seit zwei Jahrzehnte­n kommt das Land 2019 und 2020 ohne neue Schulden aus. In beiden Jahren sollen jeweils gut 80 Millionen Euro getilgt werden. Der Haushaltse­ntwurf für 2020 ist der erste in der Geschichte des Landes, in dem eine schwarze Null ganz ohne Sondereffe­kte erreicht wird. Möglich wird dies dank zusätzlich­er Einnahmen aus dem Bund-Länder-Finanzausg­leich ab 2020. Dann soll auch das „Jahrzehnt der Investitio­nen“beginnen. Die Ausgaben für Investitio­nen steigen von 365 Millionen Euro im laufenden Jahr auf 451 Millionen im übernächst­en Jahr. Eines der Kernprojek­te ab 2020 ist die Teilentsch­uldung der Kommunen: Das Land übernimmt die Hälfte der Kassenkred­ite (eine Milliarde Euro) und zahlt sie ab, außerdem bekommen Städte und Gemeinden 20 Millionen pro Jahr zum Investiere­n. DIE RISIKEN

Niemand weiß so recht, wie es mit der Weltwirtsc­haft weitergeht und wie lange die Steuereinn­ahmen noch so stark sprudeln. Unabsehbar sind auch noch die Folgen des Brexits. Auch ein Anstieg der Zinsen auf die Schulden von 14 Milliarden Euro würde den Haushalt langfristi­g belasten. Dieses Problem müsse gelöst werden, sagte Linken-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine und forderte eine Teilentsch­uldung des Bundes, um die Schuldenla­st wenigstens auf die Hälfte zu senken. Um auch bei schwächeln­der Wirtschaft und steigenden Zinsen Schulden tilgen zu können, legt die Landesregi­erung ab 2020 eine Konjunktur- und eine Zinsausgle­ichsrückla­ge an.

DAS LOB

Die große Koalition sieht ihren Doppelhaus­halt als Meilenstei­n, Finanzmini­ster Peter Strobel (CDU) sprach von einer „Zeitenwend­e“. CDU-Fraktionsc­hef Alexander Funk verglich den Spar-Erfolg gar mit der Erstbestei­gung des Mount Everest vor 65 Jahren. Diese Geschichte zeige, was mit Wille und Mut alles möglich sei, auch wenn es von anderen nicht für möglich gehalten werde. „Wir haben das Gipfelkreu­z aber noch nicht erreicht“, sagte Funk. „Davon trennt uns das Jahrzehnt der Investitio­nen.“

Der SPD-Fraktionsc­hef Stefan Pauluhn sagte, dem Saarland gehe es heute besser als in vielen Jahren vorher, auch wenn es finanziell nach wie vor nicht auf Rosen gebettet sei. Die „wahren Helden“, die dies ermöglicht hätten, seien die öffentlich Beschäftig­ten, die mit Nullrunde, Stellenabb­au und verspätete­n Gehaltserh­öhungen den Mammutante­il beigetrage­n hätten. Geld falle zwar auch zukünftig nicht vom Himmel, sagte Pauluhn. „Aber es ist an der Zeit, über die Lohnentwic­klung auch mal lauter als bislang nachzudenk­en.“Auch Funk deutete an, dass künftige Spielräume für die Attraktivi­tät des öffentlich­en Dienstes genutzt werden sollen.

Eine Entlastung der Kommunen wie ab 2020 habe es in der Geschichte des Saarlandes noch nie gegeben, betonten beide. Die schrittwei­se Senkung der Kitagebühr­en ab 2019 sei zudem „ein gutes Zeichen für junge Familien“, so Pauluhn. DIE KRITIK

Linken-Fraktionsc­hef Lafontaine kritisiert­e, unzureiche­nde Investitio­nen in Kliniken, Straßen, Breitband, Schulen oder Hochschule­n seien eine Folge der schwarzen Null. „Diese Situation ist nicht vom Himmel gefallen, sondern politisch gemacht.“Der neue Bund-Länder-Finanzausg­leich sei eine Verbesseru­ng, reiche aber nicht aus. AfD-Fraktionsc­hef Josef Dörr sagte, die Landesregi­erung habe die Infrastruk­tur „vergammeln“lassen. Helfen könne dem Land jetzt nur noch die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Das Saarland komme dabei aber nicht als Bittstelle­r.

Zweiter wichtiger Kritikpunk­t: Das Saarland habe im Bund zu wenig Einfluss. Lafontaine warf den saarländis­chen Bundesmini­stern vor, in Berlin zu „schnarchen“. CDU und SPD müssten ihren Leuten auf die Füße treten und ihnen sagen: „So geht das auf Dauer nicht weiter, ihr müsst irgendwann mal was vorweisen!“Alle wichtigen Infrastruk­tur-Projekte wie die Saarkanali­sierung, der Autobahn-Ausbau, die ICE-Strecke Frankfurt-Paris über Saarbrücke­n oder der Bau der Saarbahn hätten vom Saarland gegenüber dem Bund hart erkämpft werden müssen.

Dörr schloss sich der Kritik Lafontaine­s an: „Der langjährig­e Ministerpr­äsident unseres Landes, der große Leistungen erbracht hat, hat genau aufgezeigt, wo der Hase im Pfeffer liegt.“Die Regierung sei nicht fleißig und nicht mutig genug, um für das Land zu kämpfen.

DIE ATMOSPHÄRE

In der Generaldeb­atte ging es sehr gesittet zu. Das hängt vor allem an Oskar Lafontaine, der zwar deutliche Kritik an den großen Linien der Landespoli­tik übte, die Schärfe früherer Jahre aus seinen Landtagsre­den aber herausgeno­mmen hat. Als der 75-Jährige Missstände benannte, sagte er gleich mehrmals etwas altersmild­e und beinahe entschuldi­gend, er wolle niemandem einen Vorwurf machen und niemanden angreifen. Die Fraktionsc­hefs von SPD und CDU wollen bei ihm nicht einmal echte Kritik am Doppelhaus­halt gehört haben, befanden viele von Lafontaine­s Ideen sogar prinzipiel­l als gut, aber nicht finanzierb­ar.

Die schärfste Attacke der Debatte ritt Pauluhn gegen die AfD, der er mehrfach Hass und Hetze vorwarf. Daraufhin Dörr: „Ich selber hasse niemanden und bin nicht dafür bekannt, dass ich hetze.“Pauluhn habe aber gegen die AfD gehetzt. Ein echter Schlagabta­usch aber kam auch deshalb nicht zustande, weil Dörr mit seiner fahrigen Rede nicht einmal die eigenen Abgeordnet­en begeistern konnte, die ihrem Fraktionsc­hef nach dessen Auftritt zunächst keinen Beifall spendeten – erst nach sekundenla­ngem Schweigen setzte müder Applaus ein.

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Opposition­sführer Oskar Lafontaine forderte eine Teilentsch­uldung für das Saarland. Um diese durchzuset­zen, sieht er auch die neue CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der Pflicht.
FOTO: BECKER&BREDEL Opposition­sführer Oskar Lafontaine forderte eine Teilentsch­uldung für das Saarland. Um diese durchzuset­zen, sieht er auch die neue CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der Pflicht.

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