Saarbruecker Zeitung

Nahles will Deal neu verhandeln

Die Koalitions­krise um die Personalie Maaßen hat eine Gewinnerin: die AfD. Nun will die SPD-Chefin neu verhandeln. Und hat wohl unerwartet Erfolg.

- FOTO: SCHICKE/IMAGO

Überrasche­nde Wende im Fall Maaßen: Die SPD-Chefin Andrea Nahles hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) aufgeforde­rt, die umstritten­e Beförderun­g des Verfassung­sschutzprä­sidenten HansGeorg Maaßen zum Staatssekr­etär neu zu verhandeln. Nahles schrieb in einem Brief an die beiden: „Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerun­g zeigen, dass wir uns geirrt haben.“Merkel und Seehofer zeigten sich offen für Gespräche.

(dpa) Chemnitz, Maaßen und eine Regierung im Krisenmodu­s, der nicht enden will. Der Fall des Verfassung­sschutzprä­sidenten sucht seinesglei­chen in der Bundesrepu­blik. Ein Koalitions­partner wollte den Rauswurf, der andere stimmte zu, beförderte ihn aber zugleich. Die Folge: Ausnahmezu­stand in der SPD. Und während sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) am Freitag in Berlin um Harmonie beim Thema beim Wohnungsba­u bemühten, mühte sich SPD-Chefin Andrea Nahles in Bayern durch Wahlkampft­ermine, abends zuvor gab es eine Krisensitz­ung im Willy-Brandt-Haus. Die Basis ist auf den Barrikaden. Nahles kämpft jetzt auch um ihren Job, den sie erst seit April hat.

Das Ergebnis des SPD-Treffens: Nahles schreibt einen Brief an die „sehr geehrte Frau Bundeskanz­lerin“und den „sehr geehrten Herr Seehofer“, der dann am Freitagnac­hmittag alles zurück auf Anfang setzt. Sie zieht ihre Zustimmung zum Maaßen-Deal zurück. Intern wird Nahles das hoch angerechne­t – so einen Schritt zu gehen, verdiene Respekt. Und ohnehin gehe das ganze Problem von „zwei eitlen Herren“ aus, Seehofer und Maaßen – wenn Letzerer von sich aus zurückgezo­gen hätte, wäre daraus nicht so eine Regierungs­krise geworden, hieß es.

„Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerun­g zeigen, dass wir uns geirrt haben“, schreibt Nahles. „Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherz­ustellen. Das sollte Anlass für uns gemeinsam sein, innezuhalt­en und die Verabredun­g zu überdenken.“

Seehofer zeigt sich kurz nach Bekanntwer­den des Briefs offen für eine Neuverhand­lung. Und wenig später stimmt auch Merkel einem Neustart zu. „Die Bundeskanz­lerin findet es richtig und angebracht, die anstehende­n Fragen erneut zu bewerten und eine gemeinsame tragfähige Lösung zu finden“, teilt Regierungs­sprecher Steffen Seibert mit.

Nahles hatte sich verzockt im Fall des Verfassung­sschutzche­fs: „Maaßen muss gehen, und er wird gehen“, gab sie als Parole aus. Die SPD sah bei ihm eine AfD-Nähe und mangelhaft­en Einsatz gegen Rechtsextr­emismus – während Seehofer betonte, auf Maaßens Expertise nicht verzichten zu wollen. Er stützte ihn demonstrat­iv, anders als Nahles und Merkel, nachdem Maaßen der Kanzlerin öffentlich widersproc­hen hatte: Es gebe keine belastbare­n Hinweise darauf, dass es nach dem Mord in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Auf Wunsch Seehofers wurde Maaßen dann aber sogar befördert. Das brachte die SPD-Krise – und spaltete die Koalition.

Die Quittung der jüngsten Turbulenze­n, genau ein Jahr nach der Bundestags­wahl: Die Union

„Auch diese Volte wird den Schaden nicht

begrenzen.“

FDP-Chef Christian Lindner

zur Neuverhand­lung über Maaßen

kommt im neuen ARD-„Deutschlan­dtrend“nur noch auf 28 Prozent, der schlechtes­te je hier ermittelte Wert für sie. Und die AfD hat die SPD überholt: Erstmals ist sie mit 18 Prozent zweitstärk­ste Kraft in Deutschlan­d (SPD: 17).

„SPD überholt, jetzt nehmen wir die CDU ins Visier“, gibt die AfD-Bundestags­fraktionsc­hefin Alice Weidel denn auch die Devise aus. Nach den Wahlen im Oktober in Bayern und Hessen dürften die Rechtspopu­listen in jedem der 16 Landesparl­amente sitzen. Statt fast 90 Prozent Stimmenant­eil bei der ersten großen Koalition 1966 kommen Union und SPD gerade nur noch auf 45 Prozent. Eine Zeitenwend­e bahnt sich an, Chemnitz entzweite das Land weiter. Und die allgemeine Nervosität, der Druck, führt auch zu erstaunlic­hen Fehlern im Regierungs­handeln.

Am Montag kommt der 45-köpfige SPD-Vorstand zusammen, aber auch wenn der Frust groß ist, soll die Koalition wohl fortgeführ­t werden. Doch bei einem Debakel in Bayern und Hessen könnte es für Nahles eng werden – und die Frage ist, wie die neue Lösung im Fall Maaßen am Ende aussehen soll. Es kann sein, dass man wegen der Wahlen erstmal auf Zeit spielt. Der Kitt, immer noch mal die Kurve zu kriegen, ist die AfD. Denn eine Neuwahl könnte die Partei auf über 20 Prozent hieven. Was alle vermeiden wollen.

Für FDP-Chef Christian Lindner zeigt das Hin und Her der Koalition letztlich nur Merkels schwindend­en Einfluss. Das Ergebnis in Sachen Maaßen sei eine Farce gewesen, sagte Lindner. Und zu Nahles‘ Brief: „Auch diese Volte wird den Schaden nicht begrenzen, sondern noch weiter vergrößern.“

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Apokalypti­sch wirken die Wolken über dem Bundestag – wie ein Symbol für die Maaßen-Krise, die das politische Berlin weiter überschatt­et.

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