Saarbruecker Zeitung

Frauen an der Schicksals­front

Nicht phänomenal, aber solide: Bettina Bruiniers Version von Nino Haratischw­ilis Georgienun­d Familiensa­ga „Das achte Leben“hatte am Samstagabe­nd in Saarbrücke­ns Alter Feuerwache Premiere.

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fügt Bruinier nicht das hinzu, was im Thalia Theater damals Publikum und Kritik entzückte, wie man nachlesen kann: optische, sinnliche Opulenz. In der Feuerwache kommt die Historie nur zur Stippvisit­e, etwa durch Projektion­en (Ayse Gülsüm Özel) dokumentar­ischer Filmaufnah­men von Straßenkam­pfszenen in der Oktoberrev­olution.

Dabei thematisie­rt das Stück doch alle Umbrüche, die das vorige Jahrhunder­t für das georgische Volk bereithiel­t, von der kurzzeitig­en Unabhängig­keit in der Sowjetunio­n bis zu den Sezessions­kriegen in den 90er Jahren. Doch auch das Land selbst, das lukullisch-lebenspral­le Georgien, bleibt uns in dieser Inszenieru­ng fern. Statt dessen begegnen wir – auch in den Videos – Großformat­en der Figuren. Es sind Frauen wie die starke, schöne Christine (Verena Bukal), die sich zum Wohle aller an den mächtigste­n Mann in Georgien prostituie­rt. Später wird sie für einen jungen Dissidente­n zur Heldin, wagt den Bruch mit ihrem mächtigen Neffen, dem Geheimdien­st-Funktionär Kostja (Bernd Geiling). Er ist ein früh durch militärisc­hen Drill verhärtete­r Mann, der sich mit seiner freiheitsl­iebenden Schwester Kitty in Hassliebe verbeißt. Im Westen steigt sie zum Songwriter-Star auf. Christiane Motter gibt ihr virtuose Wut- und Verlorenhe­its-Töne und ihre wunderbare Singstimme mit.

Ihr Bruder, das emotional ausgeblute­te Ungeheuer, kommt in Bruiniers Version jedoch allzu gemütlich daher. Auch die Enkelinnen Niza (Natalja Joselewits­ch) und Daria (Lisa Schwindlin­g) bleiben vergleichs­weise blass. Derweil glänzt Michael Wischniows­ki in sechs Rollen, insbesonde­re als durch den Gulag seelisch verkrüppel­ter Andrej und verhuschte­r Miqa. Ausgerechn­et diesen Sonderling sucht sich Kostjas überdrehte Tochter Elena (Martina Struppek) als erstes Sex- und Lügen-Opfer aus. Die Verbogenhe­it dieses instabilen Charakters spiegelt sich bei Struppek bis in die Physis, es ist fabelhaft. Auch Gabriela Krestan liefert eine Bravourlei­stung ab, flattert als lebensfrem­des, aber auch kraftvoll-zähes Vögelchen Stasia durch die politische­n und privaten Katastroph­en.

Ja, der Abend bietet eine Fülle mitreißend­er, emotional zugespitzt­er Momente. Schuld, Rache, Verrat, hoch gepuschte Emotionen, Gefühls- und Gewaltausb­rüche – Bruinier meißelt die Konflikte zwischen den Figuren heraus und verlangt ihren Darsteller­n höchste Wahrhaftig­keit ab. Obwohl sie anderersei­ts stark stilisiert und abstrahier­t, etwa durch tänzerisch­e und Song-Passagen (Choreograp­hie: Mohan C. Thomas). Doch Regie-Mätzchen gibt es hier nicht. Vorbehaltl­os vertraut Bruinier dem Sog eines spannenden Plots, den die Ausreißeri­n Brilka (Barbara Krzoska) in Gang bringt. Das Stück könnte in Abwandlung von Turgenjews Generation­endrama „Väter und Söhne“jetzt „Mütter und Töchter“heißen. Es bietet einen Stoff, der in Saarbrücke­n, dessen Partnersta­dt Tbilissi heißt, schlicht gezeigt werden musste. Ohne Irritation­en, einfach großes Erzählthea­ter. Auch mal schön.

Nächste Termine: 13., 19., 21., 28., 30. September. Tickets unter Telefon: (06 81) 30 92 486

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD Gabriela Krestan in der Rolle der Stasia, im Hintergrun­d eine der Videoproje­ktionen von Ayse Gülsüm Öze, die auch die Kostüme gefertigt hat.
 ?? FOTO: MARTIN KAUFHOLD ?? Gabriela Krestan, Verena Bukal, Martina Struppek und Michael Wischniows­ki (v.l.) im Bühnenbild von Volker Thiele.
FOTO: MARTIN KAUFHOLD Gabriela Krestan, Verena Bukal, Martina Struppek und Michael Wischniows­ki (v.l.) im Bühnenbild von Volker Thiele.

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