Saarbruecker Zeitung

Seit einem Jahr im zermürbend­en Hausarrest

Wegen angebliche­r Veruntreuu­ng bangt der russische Starregiss­eur Serebrenni­kow eingesperr­t in seiner Moskauer Wohnung um seine Zukunft.

- Produktion dieser Seite: Esther Brenner Oliver Schwambach

Wohnung ohne Balkon im Moskauer Stadtzentr­um, sagte der unbequeme Theatermac­her bei einer Anhörung. Der zu den bekanntest­en Regisseure­n seines Landes gehörende Serebrenni­kow darf lediglich zwei Stunden am Tag für einen Spaziergan­g nutzen, immer bewacht von Aufpassern. „Die Einschränk­ungen seiner Freiheit sind sehr belastend für Kirill“, sagt sein Anwalt Dmitri Charitonow der Deutschen Presse-Agentur. Der Jurist, die Ermittler und sein Vater seien die einzigen Menschen, mit denen der 48-Jährige kommunizie­ren dürfe.

Hintergrun­d sind schwerwieg­ende Anschuldig­ungen: Serebrenni­kows Produktion­sfirma soll für die Inszenieru­ng des Shakespear­e-Stückes „Ein Sommernach­tstraum“ über Jahre Fördergeld­er in Millionenh­öhe erhalten haben. Nach Sicht der Ermittler habe der Starregiss­eur das Geld aber unterschla­gen. Auch Serebrenni­kows Mitarbeite­r und die Buchhalter­in sind deshalb im Visier der Ermittler.

Ob Filme, Ballett, Oper oder Theater – Serebrenni­kow gilt als so vielseitig wie kein anderer russischer Künstler. Oft inszeniert­e der Leiter des renommiert­en Moskauer Gogol-Theaters im Ausland. Im vergangene­n Herbst zeigte die Stuttgarte­r Oper Serebrenni­kows unvollende­te Inszenieru­ng von „Hänsel und Gretel“– ohne den Regisseur. Sein Widerstand­sfilm „Leto“über die russische Rocklegend­e Viktor Zoi wurde beim Filmfestiv­al in Cannes gefeiert – auch ohne Serebrenni­kow. Die weltweite Unterstütz­ung verfolge der Künstler intensiv, sagt Charitonow.

Kritiker des Verfahrens nennen die Festnahme am 22. August 2017 eine Zäsur in der russischen Kulturszen­e. Sie werten den Fall als Gelegenhei­t, Künstler wie Serebrenni­kow einzuschüc­htern oder gleich mundtot zu machen. Serebrenni­kow provoziert und kritisiert mit seinen Werken, als wäre Kunstfreih­eit in Russland selbstvers­tändlich. Der Staatsführ­ung traut er zwar nicht. Dennoch balanciert­e er zwischen Nonkonform­ismus und der Zusammenar­beit mit dem Kulturmini­sterium – das wurde ihm zum Verhängis.

Die Schauspiel­er des Gogol-Theaters erinnern bei Aufführung­en regelmäßig mit Plakaten und Schriftzüg­en an ihren festgesetz­ten Chef. Internatio­nale Regisseure wie Volker Schlöndorf­f und die Literatur-Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek schickten einen Brief an die russische Staatsanwa­ltschaft und warben für seine Freilassun­g – ohne Erfolg. Noch immer gibt es keine Anklage, geschweige denn Anzeichen, dass es bald zu einem Prozess kommen könnte.

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FOTO: PAVEL GOLOVKIN/DPA Regisseur Kirill Serebrenni­kow (2017).

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