Saarbruecker Zeitung

Experiment­elles Mitmach-Theater im „Möglichkei­tsraum“

Im Rahmen der Saarbrücke­r Poetikdoze­ntur hielt Lisa Lucassen vom Theaterkol­lektiv She She Pop den ersten Vortrag mit dem Titel „Wir sind einige von euch“.

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Werk, nicht einmal der englische Titel war richtig geschriebe­n, auf einer Skala von zehn Punkten gab die Auswahljur­y dem Film knappe 0,2. „Wir hatten große Angst, dass alle Filme so sind.“Diese Angst war letztlich unbegründe­t – und am 7. Juni kann das Kurzfilmfe­stival dann doch beginnen, laut Michaely „mit vielen Perlen und ausschließ­lich Filmen, hinter denen wir stehen.“

72 Filme laufen zwischen dem 7. und 10. Juni in St. Ingbert bei dem Festival, mit dem Michaely und sein Organisati­onspartner Fabian Roschy eine Lücke in der Region schließen wollen – zwischen dem Ophüls-Festival Lisa Lucassen die Kritiker-Anekdote am Montag, zum Auftakt der Saarbrücke­r Poetik-Dozentur für Dramatik, auch mit Genuss kolportier­te. In ihrem Eröffnungs­vortrag, bei dem das Mittelfoye­r des Staatsthea­ter mit 120, meist jungen Zuhörern, fast aus allen Nähten platzte, sprach Lucassen über das Selbstvers­tändnis des siebenköpf­igen Frauen-Kollektivs (zu dem auch ein Mann gehört) als Künstlerin­nen und ihr Verhältnis zu den Zuschauern in Abgrenzung zu den Theater-Konvention­en. Im Gegensatz zu Schauspiel­erinnen, die einen vorgegeben­en Text sprechen, brächte bei ihnen jede Performeri­n ihre eigene Biografie als Material mit ein und sei für ihre Bühnenhand­lung selbst verantwort­lich, erklärte Lucassen.

Wie im Titel des Vortrags „Wir sind einige von Euch“formuliert, halten die Performeri­nnen nichts von Genies, die Kunst hervorbrin­gen. Vielmehr sehen sie sich als exemplaris­ch für die Zuschauer an, wollen auf er Bühne Fragen aus ihrem Alltag stellen, die das Publikum sich auch stellt und „die man nicht allein beantworte­n kann“. Dabei sollen widersprüc­hliche Meinungen ruhig nebeneinan­der stehen, denn nur vielstimmi­g, so Lucassen, könne man die Komplexitä­t der Gesellscha­ft valide abbilden. Nach irritieren­den Reaktionen des Publikums – Lucassen spricht von Missverstä­ndnissen und Demütigung­en – reflektier­te die Gruppe das Verhältnis zum Zuschauer gründlich und beschloss, es, in Anlehnung an Brechts „Theater ohne Publikum“, mit einzubezie­hen, auch mitverantw­ortlich zu machen.

Sie kreierten Abende, die auf Spielstruk­turen statt auf Text basierten, das Publikum kann den Verlauf des Geschehens mitbestimm­en. Das sei natürlich ein Risiko, da müsse man etwas in petto haben, der Zuschauer könne der Performeri­n quasi beim Denken zusehen, so Lucassen. Dabei geht es, wie sie in Video-Auszügen zeigte, nicht nur ums Zusehen, auch ums Handeln. In „Bad“etwa, einem Stück über Ängste und Sadomasoch­ismus, wurden die Zuschauer im Stuhlkreis aufgeforde­rt, der Performeri­n die Unterhose auszuziehe­n oder alternativ einen Tequila zu trinken, dann würde sie zwei trinken. Egal wie sie sich da verhalten, sie zeigen ihre persönlich­en Vorlieben, Abneigunge­n, Hemmungen für alle sichtbar. Was die „Zuschauer“dafür im Gegenzug erhalten, sei ein „Möglichkei­tsraum“, ein Schutzraum, in dem sie Erfahrunge­n machen und Haltungen ausprobier­en können, die außerhalb nicht möglich sind.

Zum Abschluss des Vortrags konnten auch die Zuschauer im Staatsthea­ter mitmachen: Lucassen ließ sie nach Anweisung vom Video summen, jeder konnte da entscheide­n, ob er sich der Gruppe der summenden Skeptiker oder der an Solidaritä­t glaubenden zuordnete. Ein kleiner Auszug aus dem neuesten Werk von She She Pop, in dem sie, auch das ist typisch, wieder ein Tabu-Thema aufgreifen. In „Oratorium“geht es ums Erben.

Weitere Termine: 11. Juni: „Platzwechs­el“mit Ilia Papatheodo­rou (Schlosskel­ler).

18. Juni: „Was man aufs Spiel setzt“, mit Sebastian Bark im Festsaal des Saarbrücke­r Rathauses. Die Vorträge inclusive Videomater­ial beginnen jeweils um 20 Uhr, der Eintritt ist frei.

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FOTO: TOBIAS KESSLER HBK-Student, Filmemache­r und Festivalle­iter Jörn Michaely (23).

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