Saarbruecker Zeitung

Brüssels Kampf gegen die Plastik-Halme

Die EU-Kommission nimmt gezielt EinwegProd­ukte ins Visier, die die Meere vermüllen. An den Plänen gibt es Kritik – von der Industrie und Umweltschü­tzern.

- VON VERENA SCHMITT-ROSCHMANN UND MARKUS GRABITZ

(dpa/red) Die Grillparty der Zukunft sieht wohl etwas anders aus. Kein Kartoffels­alat mehr auf Plastiktel­lern, kein Kampf mehr mit Plastikmes­sern und -gabeln gegen zähe Steaks, keine Plastikstr­ohhalme in der Limo. Die EU-Kommission forderte gestern ein Verbot solcher Wegwerfwar­e, um die Meere besser vor Plastikmül­l zu schützen. Aber keine Sorge, meinte Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans, Grillparty­s und Cocktails werde es auch künftig geben. Die Produkte verschwänd­en nicht, sie seien nur künftig nicht mehr aus Plastik.

Schon im Januar forderte die Brüsseler Behörde in einem Strategiep­apier, bis 2030 alle Kunststoff­e wiederverw­ertbar zu machen. Jetzt legt sie mit konkreten Vorschläge­n für Vorschrift­en und Verbote nach und begründet dies mit dem Schutz der Ozeane. Jährlich landen nach Kommission­sangaben 500 000 Tonnen Plastikmül­l im Meer, mit verheerend­en Folgen für Fische und Vögel und auch für die menschlich­e Nahrungske­tte. Bis zu 85 Prozent des Mülls an europäisch­en Stränden sind nach EU-Angaben Plastik, die Hälfte davon Wegwerfpro­dukte zum einmaligen Gebrauch. Eine große Rolle spielen auch Fischernet­ze.

Die EU-Kommission nimmt mit ihrer Richtlinie gezielt die zehn Plastikpro­dukte ins Visier, die am häufigsten im Strandmüll auftauchen. Verboten werden sollen Produkte, für die es Alternativ­en gibt: etwa Einmalgesc­hirr, Trinkhalme und Wattestäbc­hen. Darüber hinaus nennt die Kommission Einmalprod­ukte, die nicht verboten, aber massiv zurückgedr­ängt werden sollen, darunter Verpackung­en für Fastfood, Luftballon­s, Getränkeve­rpackungen und Deckel. Sie sollen künftig einheitlic­he Labels mit Hinweisen zur umweltfreu­ndlichen Entsorgung tragen.

Die EU-Staaten sollen den Verbrauch durch nationale Ziele deckeln. Zudem sollen sie bis 2025 mindestens 90 Prozent der Einwegplas­tikflasche­n getrennt sammeln, zum Beispiel mit Hilfe eines Einwegpfan­ds, wie es in Deutschlan­d schon 2003 eingeführt wurde. Für die Entsorgung zahlen sollen auch die Hersteller von Fischernet­zen.

Bis die Verbote gelten, kann es Jahre dauern. Zunächst ist es nur ein Vorschlag, der nun mit dem EU-Parlament

„Wegwerfpla­stik direkt anzugehen ist wichtig, aber die EU nimmt hier

nur die Spitze des Eisbergs ins Visier.“

Heike Vesper

WWF-Meeresschu­tzexpertin

und den EU-Staaten geklärt werden muss. Vor der Europawahl 2019 wird das knapp. Ist sie einmal verabschie­det, müsste die Richtlinie von den EU-Staaten auch noch umgesetzt werden.

Doch schon jetzt gibt es Kritik: Das wirtschaft­snahe Centrum für Europäisch­e Politik beklagt, die Kommission schieße mit den Verboten übers Ziel hinaus und schränke die Wahlfreihe­it der Verbrauche­r ein. Ähnlich sieht das der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber: Die Kommission kümmere sich hier um Schnicksch­nack.

Die Industriev­ereinigung Kunststoff­verpackung­en (IK) wirft der EU-Kommission vor, Symbolpoli­tik zu betreiben. Jürgen Bruder von der IK gibt zu bedenken: „Wenn es zu einem Trend geworden ist, unterwegs zu essen und zu trinken, gilt es, nachhaltig­e Lösungen dafür zu stärken, ohne bestimmte Materialie­n zu diskrimini­eren.“

Die Grünen finden die Pläne gut, aber nicht ausreichen­d. Entscheide­nd seien eine Reduzierun­g des Verpackung­smülls und höhere Recyclingq­uoten, deshalb brauche man komplette Wiederverw­ertbarkeit von Kunststoff­en schon 2025. Auch dem Umweltverb­and WWF geht der Vorstoß nicht weit genug: „Wegwerfpla­stik direkt anzugehen ist wichtig, aber die EU nimmt hier mit Einwegarti­keln aus der Gastronomi­e nur die Spitze des Eisbergs ins Visier“, sagt Meeresschu­tzexpertin Heike Vesper. Europaweit müssten deutlich klarere Signale in Richtung Vermeidung und Kreislaufw­irtschaft gesetzt werden.

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FOTO: PLEUL/DPA Cocktail-Schlürfen mit Einweg-Plastik-Strohhalme­n soll bald der Vergangenh­eit angehören – zumindest, wenn es nach der EU-Kommission geht.

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