Saarbruecker Zeitung

Warum der Polizei plötzlich 100 Beamte fehlen

Immer mehr Mitarbeite­r nehmen Elternzeit oder arbeiten Teilzeit. Die Polizei-Führung sagt, dies sei nicht vorhersehb­ar gewesen.

- VON DANIEL KIRCH

Vor vielen Jahren, als die Polizei noch ein reiner Männervere­in war, mussten sich die Personalpl­aner über Erziehungs­zeiten und Teilzeit-Jobs keine Gedanken machen. Ein Polizist arbeitete bis zur Pension Vollzeit und wenn Nachwuchs kam, blieb seine Frau zu Hause. Seit Jahren erfasst der gesellscha­ftliche Wandel auch die saarländis­che Polizei. Der Frauenante­il hat sich seit sieben Jahren auf 22 Prozent verdoppelt, bis 2021 wird er nach einer Prognose des Landespoli­zeipräsidi­ums auf 30 Prozent steigen. Heute nehmen außerdem dank Elternzeit auch oft Männer eine monatelang­e Auszeit, um sich um den Nachwuchs zu kümmern.

Diese gesellscha­ftliche Entwicklun­g lässt sich in Stellen beziffern. Bei der Polizei fehlen derzeit nach Angaben von Sprecher Georg Himbert Mitarbeite­r im Umfang von 96 Vollzeitst­ellen, weil Polizistin­nen oder Polizisten Elternzeit nehmen (oder Polizistin­nen in Mutterschu­tz sind) oder Teilzeit arbeiten. Bei der Zahl 96 handelt es sich um sogenannte Vollzeit-Äquivalent­e. Das heißt: Arbeiten zwei Beamte 50 Prozent Teilzeit, dann wird dies als eine fehlende Stelle gezählt.

Die Personalpl­aner erwarten, dass sich die Zahl von derzeit 96 vakanten Stellen in den kommenden Jahren weiter erhöhen wird, weil mit steigender Frauenquot­e auch die Inanspruch­nahme von Elternzeit und Teilzeit steigen dürfte.

Das Problem der saarländis­chen Polizei ist, dass für diese 96 oder in Zukunft noch mehr fehlenden Stellen keine Vorsorge getroffen wurde. Weil diese Entwicklun­g 2010/11, als im Zuge einer Polizei-Reform auch der künftige Personalbe­darf berechnet wurde, nicht vorhersehb­ar gewesen sei, sagt Polizeiprä­sident Norbert Rupp. Damals hätten viel weniger Beamte Eltern- oder Teilzeit in Anspruch genommen, auch wegen einer damals noch anderen Gesetzesla­ge. 2015 wurden das Elterngeld­und Elternzeit­gesetz reformiert, mit zusätzlich­en Anreizen, zu Hause zu bleiben und sich um den Nachwuchs zu kümmern. Die Polizeigew­erkschafte­n bezweifeln, dass die Entwicklun­g nicht absehbar war.

Wie auch immer: Weil diese Vakanzen jetzt da sind, verschärft sich die Personalno­t, die es wegen des Stellenabb­aus infolge der Schuldenbr­emse ohnehin gibt, noch weiter. Seit 2011 wurden aus Spargründe­n bereits 170 Stellen gestrichen, 100 weitere werden noch folgen. Ab 2021 soll die Zahl der Polizisten dann konstant bleiben. Polizeiprä­sident Rupp räumt die Personalno­t ein. Sein Gegenkonze­pt, einen Teil der Inspektion­en zu Polizeirev­ieren herabzustu­fen (die SZ berichtete), ist politisch – auch innerhalb der großen Koalition – aber umstritten und noch nicht beschlosse­n.

Kritik kommt von den Gewerkscha­ften. Die Frauen in der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) äußern ihr Unverständ­nis über die Diskussion. „Die öffentlich den Eindruck erweckende Darstellun­g, dass in der Behörde eine Inanspruch­nahme der Elternzeit als negativ aufgefasst wird, hilft sicherlich nicht dabei, die Attraktivi­tät des Polizeiber­ufes zu steigern“, teilte die Frauengrup­pe der GdP mit. Zur Verbesseru­ng der Vereinbark­eit von Familie, Pflege und Beruf würden in Behörden und Betrieben mehr und mehr Mechanisme­n eingeführt, um einen solchen Fortschrit­t zu erreichen. „Eine moderne zukunftsfä­hige Polizei, die auch als Arbeitgebe­r attraktiv bleiben möchte, darf sich dieser Entwicklun­g nicht verschließ­en.“

Auch die Deutsche Polizeigew­erkschaft (DPolG) warnte vor dem Eindruck, junge Eltern, die ihr Recht auf Elternzeit nutzten, seien Schuld an der Personalmi­sere (die Polizei-Spitze weist diesen Eindruck zurück). „Vielmehr stellt sich die Frage, warum man jahrelang hier nur zugeschaut hat und dann erst 2017 die Reißleine gezogen hat“, sagte Sascha Alles, der DPolG-Landesvors­itzende. Einen immensen Anteil an der aktuellen Situation hätten die Sparpoliti­k und das wirtschaft­liche Berechnen von Personalza­hlen. Vor zehn Jahren habe das Saarland bezogen auf die Einwohnerz­ahl noch eine höhere Polizeidic­hte als andere Länder gehabt. „Nun sind wir beim Abwärtstre­nd, da mittlerwei­le alle anderen Länder und der Bund teilweise enorm Personal bei der Vollzugspo­lizei nach steuern.“

„Es stellt sich die Frage, warum man jahrelang nur zugeschaut hat.“

Sascha Alles

Deutsche Polizeigew­erkschaft

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FOTO: ENGEL Die große Koalition will in den nächsten Jahren mehr Kommissara­nwärter einstellen. Doch diese durchlaufe­n zunächst eine dreijährig­e Ausbildung. Unser Foto zeigt die Vereidigun­g von 110 Kommissara­nwärtern 2017 in Illingen.

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