Saarbruecker Zeitung

Eine ganze Region probt den Aufstand

In zwei Tagen will Katalonien über die Unabhängig­keit von Spanien abstimmen.

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Gerrit Dauelsberg VON CAROLA FRENTZEN

BARCELONA (dpa) Vor dem Rathaus von Arenys de Munt fassen sich die Menschen an den Händen und drehen sich in einem großen Kreis im Tanze. Aus Lautsprech­ern ertönt Musik von Flöten, Trommeln und Trompeten – der Startschus­s für die „Sardana“, den Volkstanz Katalonien­s. Einen Moment lang scheint es, als sei die Welt in diesem Teil Spaniens in bester Ordnung. Aber um die fröhlich hüpfenden Bürger herum, an den Häuserwänd­en und über ihren Köpfen, flattern Fahnen und Schriftban­ner im Wind – sichtbare Zeichen dafür, dass hier eine ganze Region den Aufstand probt. An Balkonen und Fenstern haben sie „Esteladas“angebracht, die Flagge der Unabhängig­keitsbeweg­ung: Vier rote Streifen auf gelbem Grund, seitlich ein blaues Dreieck mit weißem Stern.

„Es ist alles vorbereite­t, es kann losgehen“, sagt Joan Rabasseda, der Bürgermeis­ter des 40 Autominute­n von Barcelona entfernten Ortes, und lehnt sich in seinem schmucken Büro lässig zurück. Trotz aller Drohgebärd­en aus Madrid hat er entschiede­n, das von der Regionalre­gierung ausgerufen­e Referendum über eine Abspaltung der wirtschaft­sstarken Region am 1. Oktober abzuhalten. Dass die Polizei Millionen von Wahlzettel­n beschlagna­hmt hat, stellt offensicht­lich keine Hürde dar. „Wir drucken in unseren Häusern einfach neue“, schmunzelt Rabasseda, schließlic­h lebe man ja im 21. Jahrhunder­t.

„Ich muss auf die Bürger hören. Wie soll ich ihnen denn erklären, dass sie nicht wählen dürfen?“, verteidigt er seinen Entschluss. Denn die Regionalre­gierung sagt „sí“, wir werden abstimmen – ungeachtet aller Versuche von Ministerpr­äsident Mariano Rajoy und seiner konservati­ven Volksparte­i (PP), dies zu unterbinde­n.

Jaume López

Das Verfassung­sgericht gab Rajoy zwar Recht und untersagte die Volksbefra­gung, aber die Katalanen geben sich kühn und kämpferisc­h. Für seine Aufmüpfigk­eit musste Rabasseda bereits bei der Justiz vorstellig werden – eine ganze Busladung von Unterstütz­ern aus dem Dorf reiste mit ihm zur Anhörung.

Denn die Katalanen halten zusammen. Sie pochen auf ihre „Andersarti­gkeit“, auf ihre katalanisc­he Sprache und Kultur, die so gar nichts mit dem Rest des Landes gemeinsam hätten. Der Wunsch nach Selbstbest­immung hat tiefe Wurzeln und ist beileibe nicht neu. Seit Jahrhunder­ten gab es immer wieder separatist­ische Bewegungen.

Doch es ist nicht sicher, ob bei einem Referendum tatsächlic­h die Mehrheit der Wähler für die Trennung von Spanien stimmen würde – was die Menschen vor allem wollen, ist die Möglichkei­t, darüber abstimmen zu dürfen.

Allerdings gibt es auch Orte in Katalonien, in denen die Menschen das ganze Brimborium um das Referendum kaum interessie­rt. In der Industries­tadt Baladona etwa, nordöstlic­h von Barcelona, hängen keine „Esteladas“aus den Fenstern. Die grauen Hochhäuser sind vom Flaggenmee­r verschont geblieben. An vielen Lagerhalle­n prangen hingegen chinesisch­e Schriftzei­chen. Hier leben vor allem Zuwanderer, die um ihr tägliches Auskommen kämpfen. Sie haben andere Sorgen als die Abstimmung.

In Barcelona ist das bevorstehe­nde Referendum dagegen allgegenwä­rtig. „Votamos para ser libres“(Wir wählen, um frei zu sein), lautet einer der Slogans, mit denen ganze Häuserzeil­en zugekleist­ert wurden. Irgendwie kommt das Gefühl des Gruppenzwa­ngs auf – und wer nicht mitmacht, wird als Verräter betrachtet. Ein kritischer Bürger bringt es auf den Punkt: „Für die Unabhängig­keit zu sein, wird als toll angesehen, es ist in Mode. Aber wenn du es wagst, das zu hinterfrag­en oder

„Die Katalanen sehen das eher als ‚Scheidung’, nach der man zwar noch im gleichen Haus

wohnen kann, aber jeder seiner eigenen Wege geht.“

Skepsis zu zeigen, bist du ein Faschist und Antidemokr­at.“

Was am Sonntag geschehen wird, steht in den Sternen. Denn die verhärtete­n Fronten werden sich nicht erweichen lassen. „Die Regierung meint, Spanien würde durch die Unabhängig­keit Katalonien­s ein Arm oder ein Bein amputiert“, resümiert Jaume López, Professor für Politikwis­senschafte­n in Barcelona. „Die Katalanen sehen das eher als ‚Scheidung’, nach der man zwar noch im gleichen Haus wohnen kann, aber jeder seiner eigenen Wege geht.“

Professor für Politikwis­senschafte­n

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FOTO: GENE/AFP Seit Tagen gibt es in Barcelona Demonstrat­ionen für das Referendum, das Spanien verhindern will. Gestern protestier­ten die Feuerwehrl­eute.

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