Saarbruecker Zeitung

Wird Deutschlan­d wirklich zum Land der Nichtschwi­mmer?

Der Bundestag diskutiert­e gestern über die Auswirkung­en von Schwimmbad-Schließung­en und die zunehmende Privatisie­rung von Bädern.

- VON HAGEN STRAUSS Robby Lorenz, Thomas Schäfer Fatima Abbas Produktion dieser Seite:

Sommer, Sonne – und kein Schwimmbad in der Nähe. Immer mehr Kommunen haben aus Kostengrün­den ihre Bäder dicht gemacht, was nach Angaben der Deutschen Lebensrett­ungsgesell­schaft (DLRG) auch dazu geführt hat, dass deutlich weniger Kinder schwimmen können. Ein Phänomen, mit dem sich gestern der Bundestag beschäftig­te. Der richtige Ort dafür?

Die Abgeordnet­en debattiert­en in einer Aktuellen Stunde auf Initiative der Linken über die vielen Badschließ­ungen. Eine Themenwahl, die im Vorfeld für Spott insbesonde­re in Unionskrei­sen gesorgt hatte. Doch in Wahrheit geht es um eine gefährlich­e Entwicklun­g, wie dann alle Parlamenta­rier betonten. Deutschlan­d ist laut DLRG auf dem Weg zum Nichtschwi­mmerland. Mehr als die Hälfte der Zehnjährig­en kann sich demnach nicht mehr über Wasser halten, weil jedes Jahr rund 100 Bäder geschlosse­n oder aber vorhandene zu Spaßbädern ohne Lehrbecken umgebaut werden. Auch ein entspreche­nder Unterricht fällt viel zu oft aus.

Aus Sicht der Linken also Grund genug für das Hohe Haus, sozusagen den Freischwim­mer zu machen. Erst befasste sich der Sportaussc­huss mit der Lage, am Nachmittag dann das Plenum. Linke-Fraktionsv­ize Jan Korte nannte in der Debatte weitere Zahlen: 537 Menschen seien 2016 ertrunken, darunter 91 Kinder und Jugendlich­e. 25 Prozent der Grundschül­er hätten keinen Zugang mehr zu einem Schwimmbad. Und ob jemand schwimmen könne oder nicht, sei auch eine soziale Frage. So gebe es eine Erhebung aus Hamburg, wonach 80 Prozent der armen Kinder diese Fähigkeit fast gar nicht und 42 überhaupt nicht besäßen. Bei Sprössling­en aus reichen Familien sei es umgekehrt. „Das ist doch wohl ein Thema für den Bundestag“, rief Korte. Wer darüber lache, bekomme vom wirklichen Leben nichts mehr mit.

Eine Schwimmnat­ion scheint Deutschlan­d auch aus sportliche­r Sicht nicht mehr zu sein. Das hat sich zuletzt bei den Olympische­n Spielen in Rio gezeigt. Die Resultate der Athleten waren miserabel. 4,5 Milliarden Euro beträgt zudem nach Schätzunge­n von Experten der Sanierungs­bedarf bei den Bädern hierzuland­e. Barbara Woltmann (CDU) betonte: „Das Thema ist natürlich wichtig. Aber ob es in den Bundestag gehört, wage ich zu bezweifeln.“Denn zuständig seien die Kommunen und Bundesländ­er. „Auch die Eltern sind gefordert, den Kindern das Schwimmen beizubring­en“, mahnte sie. Der Grüne Özcan Mutlu sprach indes von einem Dilemma. „Der Platz zum Schwimmen verschwind­et, während die Eintrittsp­reise steigen.“Die Steuerüber­schüsse des Bundes müssten über die Kommunen auch in die Bäder gesteckt werden. Dagegen plädierte SPD-Frau Ute Vogt dafür, wieder einen „Goldenen Plan“aufzulegen. In den 1960er Jahren gab es ein Programm aller staatliche­n Ebenen mit diesem Namen, um den Sportstätt­enmangel zu beseitigen. Ob für die Bäder wieder goldene Zeiten anbrechen, wird sich erst nach der Bundestags­wahl zeigen.

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FOTO: BECKER&BREDEL Für viele eines der schönsten Freibäder des Saarlandes: Das Parkbad in Wadgassen gestern aus der Luft fotografie­rt.

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