Saarbruecker Zeitung

Ein 30-Jähriger ist Amerikas neue Hoffnung

ANALYSE Mit einem klaren Wahlsieg in der Republikan­er-Hochburg Georgia hat der bislang weitgehend unbekannte Demokrat Jon Ossoff für einen Paukenschl­ag gesorgt.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Er ist ein aufstreben­der Demokrat, seinen Namen kannte bis vor Kurzem kaum jemand. Jetzt kennt ihn das ganze Land. Bei einer Nachwahl im eher konservati­ven Speckgürte­l am Rande der Südstaaten­metropole Atlanta ließ Jon Ossoff einen Paukenschl­ag dröhnen. Bei einem Duell, das drei Monate nach dem Amtsantrit­t Donald Trumps als aufschluss­reicher Stimmungst­est galt, hätte er um ein Haar die absolute Mehrheit und damit auf Anhieb einen frei gewordenen Sitz im Abgeordnet­enhaus gewonnen. Er holte 48 Prozent, womit er seine härteste Konkurrent­in, eine republikan­ische Politikvet­eranin namens Karen Handel, förmlich deklassier­te. Handel kam nur auf 20 Prozent. Nun muss eine Stichwahl darüber entscheide­n, wer in den US-Kongress einzieht.

Nicht, dass Ossoff die Idealbeset­zung wäre, um die Demokraten in der Rolle des plötzlich aufgetauch­ten Hoffnungst­rägers aus dem Jammertal zu führen. Seit die Niederlage Hillary Clintons verdeutlic­hte, wie sehr sie mit der weißen Arbeitersc­haft fremdeln, sucht die Partei händeringe­nd nach Leuten, die zuschütten können, was sich im Verhältnis zu ihrer früheren Stammklien­tel an Gräben aufgetan hat. Ossoff aber ist so ziemlich das Gegenteil eines hemdsärmel­igen Helden der Arbeiterkl­asse. Eher Weltbürger als Volkstribu­n, monieren Kritiker.

Schon mit 17 machte er ein Praktikum in einem Abgeordnet­enbüro, bei John Lewis, einer Legende der Bürgerrech­tsbewegung. Später studierte er an der renommiert­en Georgetown University Internatio­nale Beziehunge­n, dann drehte er Dokumentar­filme zu Themen wie Korruption und Machtmissb­rauch in Afrika. In Wahlkampf-Interviews klangen seine sorgfältig gewählten Sätze bisweilen, als hätte er sie auswendig gelernt. Was am ehesten hängen blieb, ist ein Fernsehspo­t, in dem er Trump die Leviten las. „Er blamiert uns nicht nur auf der Weltbühne, er könnte auch einen unnötigen Krieg vom Zaun brechen“, sagte der 30-Jährige über den Mann im Weißen Haus.

Nun steht der sechste Wahldistri­kt des Bundesstaa­ts Georgia aber nicht für klassische­s Arbeitermi­lieu, sondern für die klassische Vorstadt, die scheinbar heile Welt der Mittelschi­chten mit Einfamilie­nhaus und Basketball­korb über dem Garagentor. Dort leben Menschen mit College-Abschluss, die Populisten mit Skepsis begegnen. Trump haben sie im November nur knapp den Vorzug vor Clinton gegeben, obwohl sich eine Mehrheit seit Längerem zu den Republikan­ern bekennt. Mit anderen Worten, es ist das Paradebeis­piel eines Wahlkreise­s, in dem sich die Demokraten Chancen ausrechnen, wenn sie beim Kongressvo­tum im Herbst 2018 auf eine Protestwel­le hoffen. Falls sie ins Rollen kommt, könnten sie den Republikan­ern sogar die – momentan sehr komfortabl­e – Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus abnehmen. Jedenfalls dann, wenn die Ernüchteru­ng über den großmäulig­en Dilettante­n Trump, der seinen zentralen Verspreche­n an Taten nur wenig folgen lässt, bis dahin anhält und frustriert­e Wähler dem egozentris­chen Angeber im Oval Office einen Denkzettel verpassen wollen.

Gut möglich, dass sich in Georgia die Republikan­er, die zunächst mit mehreren Bewerbern ins Rennen gingen, jetzt geschlosse­n um ihre Favoritin scharen und Ossoff noch abfangen. Beeindruck­en lässt sich der Newcomer von einem solchen Szenario aber nicht. „Wir sind bereit für einen Kampf, den wir gewinnen werden“, rief er seinen jubelnden Anhängern nach seinem Paukenschl­ag zu.

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