Saarbruecker Zeitung

Chef des Städtetags fordert Lösung für Saar-Kommunen

Der neue Präsident des Städte- und Gemeindeta­ges fürchtet gravierend­e Folgen, wenn die Sozialkost­en der Kommunen weiter steigen.

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NEUNKIRCHE­N (kir) Der neue Präsident des Städte- und Gemeindeta­ges, Jürgen Fried (SPD), mahnt angesichts explodiere­nder Sozialkost­en der saarländis­chen Kommunen eine schnelle Lösung an. Ohne Hilfen des Bundes müsse man verstärkt freiwillig­e Leistungen kürzen. „Darunter werden vor allem die Vereine leiden“, sagte der Neunkirche­r Oberbürger­meister im SZ-Interview.

Hand aufs Herz, Herr Fried, wie groß ist Ihre Hoffnung noch, dass die saarländis­chen Kommunen finanziell gerettet werden können? FRIED Ich wäre schon froh, wenn es gelänge, dass die immense Verschuldu­ng nicht noch weiter steigt. Deswegen haben wir mit dem Land den Kommunalpa­kt geschlosse­n, aber solange die Sozialkost­en in Teilen des Saarlandes weiterhin so exorbitant steigen, wird das schwierig.

Die einzige Rettung wäre also der Bund. Und wenn der nicht hilft? FRIED Dann werden weiterhin die Standards gesenkt, bei den Investitio­nen wird gespart und die freiwillig­en Leistungen werden zurückgefa­hren.

Mit welchen Folgen?

FRIED Wenn freiwillig­e Leistungen gekürzt werden, was in vielen Kommunen ja schon passiert, kann die Unterstütz­ung für Soziales, Kultur und Sport nicht wie bisher aufrechter­halten werden. Darunter werden vor allem die Vereine leiden.

Für die Kommunalpo­litiker in den Räten muss das unheimlich frustriere­nd sein.

FRIED Es gibt Kommunen, da geht gar nichts mehr, da gibt es zum Beispiel keine Unterstütz­ung mehr für Musikverei­ne. Das ist frustriere­nd, da macht kommunale Selbstverw­altung nicht mehr viel Spaß. Wenn die Standards immer weiter reduziert werden, wenn der Zustand der Straßen oder der Schulgebäu­de immer schlechter wird, ist auch die Bevölkerun­g unzufriede­n.

Sehen Sie denn eine Bereitscha­ft seitens des Bundes, den Kommunen zu helfen?

FRIED Wissen Sie, wo das große Problem liegt? Wenn Sie mit einem Bürgermeis­ter aus Baden-Württember­g oder Bayern reden, der versteht das Problem gar nicht, weil die Einnahmesi­tuation der Kommunen im Rest Deutschlan­ds, außer vielleicht in Nordrhein-Westfalen und Bremen, ganz anders ist als im Saarland. Dort wird Geld angelegt, es wird viel gebaut. Es ist daher schwierig, Verständni­s für unsere Situation zu erzeugen. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob man beim Bund weiterkomm­t.

Das Land wird auch in den nächsten fünf Jahren von einer großen Koalition regiert. Eine gute Sache für die Kommunen oder wäre es mit einem rot-roten Bündnis leichter geworden?

FRIED Ich habe den Eindruck, dass sich die große Koalition, was die kommunale Seite angeht, in den letzten Jahren bemüht hat, möglicherw­eise auch als Ergebnis unserer Demonstrat­ion vor dem Landtag im Jahr 2014. Innenminis­ter Klaus Bouillon war lange genug Bürgermeis­ter und kennt die Probleme. Wir haben eine Verbesseru­ng durchgeset­zt, aber es reicht nicht.

Was muss die Landesregi­erung aus Sicht der Kommunen am dringendst­en anpacken?

FRIED Das ist relativ einfach. Durch die Flüchtling­e und den Nachzug ihrer Familien ist es dringend notwendig, neue Förderprog­ramme für den Ausbau der Grundschul­en und der Ganztagsbe­treuung aufzulegen, ebenso weiter verstärkt den Ausbau der vorschulis­chen Betreuung zu fördern.

Sie fordern ein Landesentw­icklungsko­nzept des Landes für Bäder, Infrastruk­tur und ÖPNV. Was sollte da genau drinstehen?

FRIED Die Landesplan­ung müsste in Abstimmung mit dem Städteund Gemeindeta­g mal überlegen, wie man das Oberzentru­m Saarbrücke­n, die Mittelzent­ren und den ländlichen Raum stärken kann. Bisher habe ich den Eindruck, dass das nicht systematis­ch passiert, sondern dass finanziell­e Unterstütz­ung nach dem Gießkannen-Prinzip gewährt wird. Man müsste zunächst definieren, wo es bestimmte Stärken und Voraussetz­ungen gibt: Wo ist es zum Beispiel sinnvoll, eine Halle, wie sie jetzt nach St. Wendel kommen soll, hinzubauen? Das Ergebnis könnte ja sein, dass St. Wendel richtig ist. Ein Ergebnis könnte auch sein, dass wir im Saarland nur einen Zoo brauchen und der dann unterstütz­t wird.

Das Geld ist aber endlich. Wer sagt, was er künftig schwerpunk­tmäßig unterstütz­t, muss auch sagen, dass andere kein Geld mehr oder weniger bekommen.

FRIED Das ist schwierig. Ein Kommunalpo­litiker, der dazu beigetrage­n hat, dass der örtliche Landtagsab­geordnete 60 Prozent bekommen hat, wird natürlich zu dem Abgeordnet­en sagen: Das geht nicht, wenn ich für meine Mehrzweckh­alle in den nächsten Jahren nichts mehr bekomme. Deshalb müsste der kommunale Spitzenver­band einbezogen werden.

Wie kommt die interkommu­nale Zusammenar­beit voran?

FRIED Eher schleppend. CDU und SPD haben die Dinge, die sie vor einigen Jahren selbst entwickelt haben, nicht unter einen Hut gebracht. Das Innenminis­terium sollte eigentlich eine sogenannte Rahmenplan­ung machen, hat aber nur Gutachten bezahlt. Der große Wurf ist nicht gelungen. Wobei aber konstatier­t werden muss, dass gerade das Thema Flüchtling­e alles überlagert und viele Kräfte gebunden hat und übrigens auch gut gehändelt wurde. Die interkommu­nale Zusammenar­beit muss ganz vorne auf der Agenda bleiben, aber man muss mit Ruhe und Gelassenhe­it drangehen und nichts übers Knie brechen.

Was müsste die Landespoli­tik machen?

FRIED Es müsste konkrete inhaltlich­e Vorgaben und Hilfestell­ungen des Innenminis­teriums als Angebote an die Kommunen geben, eine Art Baukasten-System.

Die CDU schließt auch eine Gebietsref­orm nicht aus. Was sagen die Bürgermeis­ter dazu?

FRIED Der Städte- und Gemeindeta­g wird sich bei diesem Thema niemals an die Spitze setzen. Es ist überhaupt nicht nachgewies­en, was das finanziell bringen soll. Es muss daher zuerst einmal feststehen, wie hoch die Einspareff­ekte

tatsächlic­h sind.

Ist der Kommunalpa­kt, in dem sich Land und Kommunen 2015 auf den schrittwei­sen Abbau des kommunalen Defizits bis 2024 geeinigt haben, noch einzuhalte­n? FRIED Die Kommunen haben damals in einer Protokolln­otiz erklärt, dass das Lückenschl­uss-Modell nicht umsetzbar ist, wenn die Kreisumlag­en einbezogen sind – und diese steigen ja weiter.

Der Kommunalpa­kt ist also unter den jetzigen Rahmenbedi­ngungen nicht mehr einzuhalte­n?

FRIED Er wird schwer einzuhalte­n sein, vor allem auch wegen der Flüchtling­skosten.

Schwer oder gar nicht?

FRIED Schwer. Ich muss ja ein bisschen diplomatis­ch sein.

Die Fragen stellte Daniel Kirch.

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FOTO: BECKER&BREDEL Jürgen Fried ist seit 2009 Oberbürger­meister der Stadt Neunkirche­n.

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