Saarbruecker Zeitung

Der kühle Schachzug von AfD-Chefin Petry

Überrasche­nd oder nur konsequent? Die AfD-Chefin erklärt jetzt ihren Verzicht auf die Spitzenkan­didatur.

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN Frauke Petrys scheinbar überrasche­nder Verzicht auf die Spitzenkan­didatur der AfD erinnert an die Parabel vom Fuchs und den Trauben: Weil sie zu hoch hängen, sagt er, sie schmeckten ihm nicht. Die 41-Jährige wäre so oder so beim Parteitag am kommenden Wochenende in Köln wahrschein­lich nicht Spitzenkan­didatin geworden. Die AfD-Chefin erklärte in einer gestern verbreitet­en Videobotsc­haft, dass „ich weder für eine alleinige Spitzenkan­didatur noch für eine Beteiligun­g in einem Spitzentea­m zur Verfügung stehe“. Zur Begründung sagte sie, es sei ihr wichtig, dass ihre Partei drängende Sachfragen unabhängig von Personalfr­agen diskutiere.

Sowohl bei einer Online-Befragung der Mitglieder Anfang des Jahres als auch bei einer Meinungsbi­ldung im Parteivors­tand hatte sich bereits eine klare Mehrheit gegen einen einzelnen Spitzenkan­didaten ausgesproc­hen. Doch das war es nicht allein. Weil die ehrgeizige AfD-Chefin ihre Ansprüche zunächst trotzdem aufrecht erhielt, formierten sich ihre innerparte­ilichen Konkurrent­en. Nach „Spiegel“-Informatio­nen versuchten sie vorige Woche bei einem Geheimtref­fen in Goslar, ein „Spitzentea­m“gegen Petry ins Rennen zu schicken, bestehend aus Petrys härtestem Gegenspiel­er, dem Parteirech­ten Alexander Gauland, und der eher liberalen Alice Weidel aus Baden-Württember­g. Der AfD stand in Köln eine Kampfabsti­mmung bevor. Schon war von drohender Spaltung die Rede. Und das vor der Kulisse von erwartet 50 000 Gegendemon­stranten draußen.

Befeuert wurde das noch durch Petrys Vorgehen auch in anderen Fragen. So legte sie den 600 Delegierte­n einen Grundsatza­ntrag vor, wonach die AfD sich nicht prinzipiel­l als Opposition verstehen, sondern „realpoliti­sch“agieren solle. Ziel: die Regierungs­beteiligun­g spätestens in vier Jahren. In dem Papier wird Gauland namentlich angegriffe­n, was selbst etliche Petry-Sympathisa­nten kritisiert­en. Gauland sprach von einem konstruier­ten Gegensatz. Überdies forderte Petry in einem weiteren Antrag, sich klar von „rassistisc­hen, antisemiti­schen, völkischen und nationalis­tischen Ideologien“zu trennen. Das zielte eindeutig gegen den Thüringer Landeschef Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“bezeichnet hatte. Gegen ihn läuft ein vor allem von Petry betriebene­s Ausschluss­verfahren, jedoch wird er von Gauland und anderen Parteirech­ten unterstütz­t.

An der Basis gibt es die große Sorge, dass eine Entscheidu­ngsschlach­t in Köln die Wahlaussic­hten im Herbst zunichte machen könnte. Zwar haben sich die Umfragewer­te in der vorigen Woche wieder leicht verbessert. Doch gab es davor eine kräftige Delle, die manchem die Angst in die Glieder fahren ließ. In dem Scharmütze­l hielten sich etliche „neutrale“Landeschef­s wie der Berliner Georg Pazderski, der Rheinland-Pfälzer Uwe Junge und der Mecklenbur­ger Leif-Erik Holm auffallend zurück. Sie wollen vor allem, dass in Köln möglichst geschlosse­n das AfDWahlpro­gramm verabschie­det wird – und sonst nichts. Und in den Wahlkampf könnte der gesamte Bundesvors­tand die Partei führen, da bräuchte man keinen Spitzenkan­didaten, heißt es. Dem Gremium gehören Gauland wie Petry an, keiner hätte dann gewonnen.

Die Dynamik des Kölner Treffens ist schwer einzuschät­zen, da es diesmal kein Parteitag aller Mitglieder, sondern von 600 zuvor in den Landesverb­änden gewählten Delegierte­n ist. Doch gibt es etliche unter ihnen, die früher in anderen Parteien aktiv waren und sich mit Geschäftso­rdnungstri­cks auskennen. Petry ist zwar in der engeren Führung ziemlich isoliert, nicht aber im Kreis der Landeschef­s. Auch kommt sie in den Parteiglie­derungen als gefragte Rednerin viel herum. Ihr ist die besorgte Stimmung an der Basis nicht verborgen geblieben. Eine Kampfabsti­mmung hätte die AfD-Chefin nicht gewonnen. Diese Niederlage vermeidet sie nun.

„Ich stehe weder für eine alleinige Spitzenkan­didatur noch für eine Beteiligun­g in einem Spitzentea­m

zur Verfügung.“

Frauke Petry

AfD-Vorsitzend­e

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FOTO: IMAGO Frauke Petry weicht der Entscheidu­ngsschlach­t am Wochenende auf dem Parteitag in Köln aus.

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