Saarbruecker Zeitung

Eilige Schönheite­n im Wettlauf

Was für ein Garten-Frühjahr! Solch ein rasantes Wachstumst­empo, solche Blüten-Üppigkeit erlebt man Anfang April selten. Der ungewöhnli­ch milde März hat alles zur gleichen Zeit zum Leben erweckt.

- VON DORIS DÖPKE

Herr Pflaumann hat es mal wieder geschafft. Einerseits. Anderersei­ts nicht – zum ersten Mal. Der greise Obstbaum, nach Ansicht von Fachleuten mindestens 70 Jahre alt – für Pflaumen ein Methusalem-Alter, ihre gewöhnlich­e Lebenserwa­rtung liegt bei etwa 50 Jahren – hat es stets eilig mit der Blüte. Normalerwe­ise steht er in der ersten Aprilwoche ganz in Weiß da. Manchmal schon Ende März – so wie jetzt auch. Und seit ich ihn kenne, also seit 25 Jahren, ist er dann der einzige blühende Obstbaum weit und breit; alles andere kommt erst Wochen später. In diesem Frühling aber haben die Kirschen Herrn Pflaumann eingeholt beim Frühblüher-Rennen. Sauerkirsc­he links, Herr Pflaumann in der Mitte, rechts dahinter die Riesen-Vogelkirsc­he: So prachtvoll wie jetzt war der Ausblick vom Balkon noch nie.

Auch sonst ist dieses Frühjahr alles andere als durchschni­ttlich. Es wächst im Garten, als ziehe jede Nacht klammheiml­ich jemand an Blättern, Stengeln und Blüten. Dabei hatte die Saison mit Verspätung begonnen. Die Zaubernuss, in der Regel Mitte Januar leuchtend gelb, wollte offenbar ihrem „Lichtmess“-Namen gerecht werden, sie zögerte bis zum 2. Februar. Erst ein, zwei Wochen später trauten sich erste Schneeglöc­kchen und Krokusse ans Licht. Kühles Wetter, frostige Nächte – die Pflanzen reagierten vorsichtig. Doch seit es mild geworden ist, lassen sie jede Zurückhalt­ung fahren. Der Garten explodiert vor Üppigkeit.

Aber langsam. Noch nicht schwärmen über all die Herrlichke­it. Erstmal eine Runde drehen mit kritischem Blick: Welche Pflanzen hat’s im Winter erwischt? Wo gibt es Ausfälle, wo Schäden? Zuerst auf die Sensibelch­en schauen. Der Rosmarin? Hat ein paar braune Zweiglein, ganz wenige, sonst nichts. Der Lorbeer? Steht wie eine Eins vor der Terrassenw­and. Die Feige? Ob der erste Fruchtansa­tz es geschafft hat, sieht man noch nicht; grüne Astspitzen lassen hoffen. Die Kamelien? Unbeeindru­ckt, mit Knospen dicht an dicht. „Hagoromo“im Vorgarten hat ihre Blüten schon komplett entfaltet, ebenmäßige Gebilde wie aus Porzellan, eine rosa Wolke auf dunklem Wie kleine Hände sehen die halb entfaltete­n Blätter der Staudenpfi­ngstrosen aus (Bild oben). Viele Sorten starten in Dunkelrot und färben ihr Laub erst später grün. Blattgrün. Ihre rote Schwester weiter unten am Hang ist noch nicht ganz so weit. Und die Rosen? Das Übliche, ein bisschen Totholz, hie und da dürre Spitzen. Nichts Ernstes. Dafür frische Blättchen satt – den Schnitt muss ich jetzt schleunigs­t zu Ende kriegen, mit dem aberwitzig­en Wuchstempo bin ich nicht recht mitgekomme­n.

Beruhigend, dass andere Gewächse die Gärtnerin kaum brauchen. Die Helleboren zum Beispiel; jedes Jahr legen sie kräftig an Fülle zu. Und sie sind echte Langspielp­latten, wochenlang bleiben ihre Blüten dekorativ. Die Leberblümc­hen lassen sich mit dem Zuwachs zwar Zeit. Aber mittlerwei­le haben sie doch ganz ordentlich­es Format – vor allem: Sie säen sich aus. Eine Welt für sich sind die Pfingstros­en. Da ist „Molly the Witch“, wie die Angelsachs­en die frühe, gelbe Paeonia mlokosewit­schii nennen, mit dicken, kugelrunde­n Knospen, die bald platzen werden. Da ist die zwergige Netzblatt-Päonie, schon rötlich schimmernd zwischen den putzigen Laubpusche­ln. Strauchpäo­nien recken die halb entfaltete­n Blätter wie kleine Hände gen Himmel, Stauden-Austrieb trägt dunkles Braunrot – das wird, das wird schön, ganz ohne mein Zutun.

Aber wo ist der Schnittlau­ch geblieben? Wo ist die winterhart­e Rauke? Nirgends ein Blättchen, spurlos weg. Wenn ich ernten will, muss ich wohl was tun – irgendwas ist halt immer. Wenigstens dürfte es Pflaumen geben: Herr Pflaumann hat dieses Mal gutes Bienenwett­er abgepasst.

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 ?? FOTOS (7): DÖPKE ?? Blick vom Balkon: Kirschen und Pflaume blühen. Und zwar gleichzeit­ig – das haben sie in den vergangene­n 25 Jahren noch nie getan.
FOTOS (7): DÖPKE Blick vom Balkon: Kirschen und Pflaume blühen. Und zwar gleichzeit­ig – das haben sie in den vergangene­n 25 Jahren noch nie getan.
 ??  ?? Blüten wie aus Porzellan: die Kamelie „Hagoromo“(oben). Unten der Austrieb einer Netzblatt-Pfingstros­e (Paeonia tenuifolia), einer Wildart.
Blüten wie aus Porzellan: die Kamelie „Hagoromo“(oben). Unten der Austrieb einer Netzblatt-Pfingstros­e (Paeonia tenuifolia), einer Wildart.
 ??  ?? Dieses Leberblümc­hen mit apart marmoriert­em Laub gehört zur „Pyrenaica“-Spielart.
Dieses Leberblümc­hen mit apart marmoriert­em Laub gehört zur „Pyrenaica“-Spielart.
 ??  ?? Seit Wochen stehen die Lenzrosen (Helleborus) in Blüte. Die gefüllte Primelgelb­e ist einer der Stars.
Seit Wochen stehen die Lenzrosen (Helleborus) in Blüte. Die gefüllte Primelgelb­e ist einer der Stars.
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Bei Helleboren reicht das Farbspektr­um von Weiß über Rosa und Rot bis zu fast schwarzem Lila.

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