Saarbruecker Zeitung

Polens Regierung droht wegen Tusk Debakel in der EU

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL Der Eklat ist absehbar. Dabei klingt der Tagesordnu­ngspunkt 1 des EU-Gipfels, der heute in Brüssel beginnt, denkbar unspektaku­lär: Verlängeru­ng der Amtszeit des Ratspräsid­enten Donald Tusk um weitere zweieinhal­b Jahre. Doch seitdem die rechtsnati­onale polnische Regierung klargemach­t hat, dass sie ihren Landsmann nicht unterstütz­en will, herrscht hinter den Brüsseler Kulissen helle Aufregung. Warschaus Außenminis­ter Witold Waszcykows­ki bemüht sich sogar seit Tagen darum, dass sich der von seiner Regierung vorgeschla­gene Gegenkandi­dat Jacek Saryusz-Wolski vor den Chefs präsentier­en kann.

Wahlkampf in der offenen Runde der Staats- und Regierungs­chefs – ein bislang einzigarti­ger Vorgang. Der hat sich längst hochgescha­ukelt. Gegenkandi­dat SaryuszWol­ski gehört bisher im Parlament der christdemo­kratischen Fraktion an, die ihn in der vergangene­n Woche wegen dieses Affronts rauswarf. Da Tusk seine eigene Wahl nicht selbst moderieren kann, übernimmt der derzeitige EU-Vorsitzend­e, der maltesisch­e Premiermin­ister Joseph Muscat, die Leitung der Sitzung. Was vor allem heißt: Er sucht nach einem Ausweg, damit bei dem Krach niemand das Gesicht verliert. Das ist schwierig genug: Denn für die Wahl steht nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Schließlic­h tagt der EU-Gipfel lediglich bis zum Abend in der 28er Runde mit Großbritan­nien. Tags darauf muss Londons Premier Theresa May nach Hause fahren. Man berät ohne sie weiter.

Dieser Streit verschleie­rt aber einen viel tieferen Konflikt, den Polen mit den übrigen Partnern vom Zaun gebrochen hat. Der EU-Gipfel will nämlich heute und vor allem morgen jene Erklärung erstellen, die bei den Feierlichk­eiten zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge Ende des Monats in der italienisc­hen Hauptstadt verabschie­det werden soll. Darin geht es um den Fortgang der europäisch­en Integratio­n und die Gestalt der EU von morgen.

Warschau hat sich dabei klar positionie­rt: Am liebsten hätte man einen reinen Binnenmark­t – und den auch nur für Waren und Kapital. Damit stieß Polen sogar die befreundet­en Nachbarn der Visegrad-Gruppe (Tschechien, Slowakei und Ungarn) vor den Kopf. Die befürchten, dass bei solchen Einschränk­ungen milliarden­schwere Fördermitt­el für die Verbesseru­ng der eigenen Infrastruk­tur verlorenge­hen könnten. Das möchte niemand wirklich riskieren.

Die polnische Regierung von Ministerpr­äsidenten Beata Szydlo, die an der Leine des PiS-Parteichef­s Jaroslaw Kaczynski hängt, hat sich allerdings in eine Situation manövriert, in der kaum ein Ausweg ohne Prestigeve­rlust denkbar scheint. Die übrigen EU-Staaten können und wollen Warschau weder bei der Personalie Tusk noch bei der polnischen Vorstellun­g von der künftigen Gestalt der Gemeinscha­ft entgegenko­mmen.

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FOTO: DPA Polen will die Wiederwahl seines eigenen Landsmanns Donald Tusk zum EU-Ratschef verhindern.

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