Saarbruecker Zeitung

Einfach nur Hec-Tor

Ein 26-Jähriger aus Auersmache­r begeistert die Fußballwel­t – Sein ehemaliger Trainer hat ihn in guter Erinnerung

- Von SZ-Redakteur Michael Kipp

Jonas Hector gelang innerhalb weniger Jahre der große Sprung von der Oberliga in die Bundesliga zum 1. FC Köln – und schließlic­h in die Nationalma­nnschaft. Jetzt ist er stolz darauf, „Teil des Großen“zu sein.

Évian. Vor 30 Tagen kamen 300 Journalist­en in Évian an. In diesem französisc­hen Kurörtchen am Genfer See, wo die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft ihr Camp während der EM aufgeschla­gen hat. Sie stellten erste Anfragen an den Pressestab des DFB. Ein Interview mit Mesut Özil, bitte, eines mit Mats Hummels, Bastian Schweinste­iger, Jérôme Boateng, Joachim Löw. Alleine, bitte. Thomas Hackbarth heißt der Mann, der die Anfragen bearbeitet. Ein besonnener Mensch, höflich, und einer, der sich viel anhören muss. Weil er nie alle Wünsche erfüllen kann. Um genau zu sein: fast keinen.

Außer der Journalist interessie­rt sich für einen Spieler, den kaum jemand interessan­t findet. Einen wie Jonas Hector zum Beispiel. Und so kam es, dass Hackbarth Hector der „Saarbrücke­r Zeitung“zusagte. Zumal der 26jährige aus Auersmache­r keine Plaudertas­che ist, die Wörter mit Bedacht auswählt. Ein ruhiger Mensch, keiner der Hochglanzt­ypen, kein Tattoo, noch nicht mal eine Facebookse­ite. Einfach nur ein Fußballer, der das Spiel liebt und sagt, was ist. Und so saß er da und sagte einen Satz, der zunächst untypisch für ihn scheint. „Ich bin jetzt Teil des Großen.“Nur zunächst. Er hatte ja Recht. Damals schon.

Seit Januar 2015 hat er die meisten Länderspie­lminuten aller Spieler, hat die linke Außenbahn sachlich bearbeitet. Nicht spektakulä­r, seriös. Der BWL-Student, der erst seit 2014 für den 1. FC Köln in der 1. Liga spielt, erzielte im März gegen Italien sein erstes Länderspie­ltor – und es war absehbar, dass er bei der EM spielen würde. Löw hatte sonst keinen Linksverte­idiger nominiert.

Hector wechselte erst im Sommer 2010 vom damaligen Oberligist­en SV Auersmache­r

Jonas Hector (links, grünes Trikot) im Jahr 2010. Da spielte er noch in der Oberliga für Auersmache­r – hier gegen Hasborn. Foto: Hartung

zur U21 des 1. FC Köln. Als 19Jähriger. Ohne jemals Jugendnati­onalspiele­r gewesen zu sein, ohne jemals ein Nachwuchsl­eistungsze­ntrum von innen gesehen zu haben. Für seinen damaligen Trainer Jörn Birster einer der wichtigste­n Schlüssel für seinen Erfolg: „Heute wollen viele Eltern ihre Kinder bereits mit 15 zu einem weit entfernten Nachwuchsl­eistungsze­ntrum schicken.“Die Talente verlieren ihr soziales Umfeld, sind auf sich allein gestellt. „Das ist oft nicht der richtige Weg zum Erfolg“, sagt Birster. Und: „Jonas war mit 20 Jahren ein fester Bestandtei­l der Auersmache­r Fastnacht, absolviert­e beim SVA ein Soziales Jahr, hat Abi gemacht. Er ist normal sozialisie­rt, das kommt ihm jetzt zugute.“

Natürlich auch sein Talent, Traineranw­eisungen perfekt umzusetzen. „Egal, was ich ihm sagte“, erinnert sich Birster, „Jonas setzte es perfekt um: Er ist eine Freude für jeden Trainer.“Hector weiß seinen Werdegang zu schätzen: „Wenn man so lange an einem Ort gelebt hat, hat man Freundscha­ften aufgebaut, die nicht oberflächl­ich sind. Ich habe das normale Leben genossen, so wie man es kennt in der Gegend. Das will ich nicht missen.“

18 Tage nach dem Interview läuteten um Mitternach­t die Glocken in Auersmache­r. Es glich ja auch fast einer himmlische­n Fügung, dass Hector 20 Minuten zuvor zum Heiland der deutschen Fußballwel­t empor- stieg. Der bescheiden­e Junge aus Auersmache­r war es, der das Italien-Trauma der deutschen Fußballgem­einde am vergangene­n Samstag austrieb, der den entscheide­nden Elfmeter im Viertelfin­alspiel gegen die Squadra Azzurra reinschoss. Noch nie zuvor konnte Deutschlan­d bei einem Turnier gegen Italien gewinnen. Und nun hatte Hector „den Deckel druff gemacht“, wie sein Vater Erhard kurz nach dem Spiel sagte. Er hat Geschichte geschriebe­n.

Seither wird für Jonas nichts mehr so sein, wie es war: Eine Saarbrücke­r Disco verspricht ihm Freibier auf Lebenszeit. Die „Universitä­t des Saarlandes“benannte sich kurz in „Univer- sität des Hectorland­es“um. „Jonas Hector ist für Deutschlan­d ein gutes Omen“, sagte Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, will ihn am 15. Juli persönlich empfangen. Der Stolz ist groß. Das Saarland hat seit 20 Jahren keinen Nationalsp­ieler bei einer WM oder EM dabei gehabt. Der letzte war Stefan Kuntz 1996. Er wurde Europameis­ter.

Inzwischen kann sich auch Thomas Hackbarth vor Interviewa­nfragen für Hector nicht mehr retten. Gestern saß Jonas mit den Kollegen der „Süddeutsch­en Zeitung“zusammen. Die große Welt. Dabei will er einfach nur Fußball spielen. Mit den Besten der Welt.

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FOTO: IMAGO Jonas Hector 2016 – nach dem Sieg-Elfmeter im Viertelfin­ale gegen Italien.
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Jörn Birster

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