Einfach nur Hec-Tor
Ein 26-Jähriger aus Auersmacher begeistert die Fußballwelt – Sein ehemaliger Trainer hat ihn in guter Erinnerung
Jonas Hector gelang innerhalb weniger Jahre der große Sprung von der Oberliga in die Bundesliga zum 1. FC Köln – und schließlich in die Nationalmannschaft. Jetzt ist er stolz darauf, „Teil des Großen“zu sein.
Évian. Vor 30 Tagen kamen 300 Journalisten in Évian an. In diesem französischen Kurörtchen am Genfer See, wo die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr Camp während der EM aufgeschlagen hat. Sie stellten erste Anfragen an den Pressestab des DFB. Ein Interview mit Mesut Özil, bitte, eines mit Mats Hummels, Bastian Schweinsteiger, Jérôme Boateng, Joachim Löw. Alleine, bitte. Thomas Hackbarth heißt der Mann, der die Anfragen bearbeitet. Ein besonnener Mensch, höflich, und einer, der sich viel anhören muss. Weil er nie alle Wünsche erfüllen kann. Um genau zu sein: fast keinen.
Außer der Journalist interessiert sich für einen Spieler, den kaum jemand interessant findet. Einen wie Jonas Hector zum Beispiel. Und so kam es, dass Hackbarth Hector der „Saarbrücker Zeitung“zusagte. Zumal der 26jährige aus Auersmacher keine Plaudertasche ist, die Wörter mit Bedacht auswählt. Ein ruhiger Mensch, keiner der Hochglanztypen, kein Tattoo, noch nicht mal eine Facebookseite. Einfach nur ein Fußballer, der das Spiel liebt und sagt, was ist. Und so saß er da und sagte einen Satz, der zunächst untypisch für ihn scheint. „Ich bin jetzt Teil des Großen.“Nur zunächst. Er hatte ja Recht. Damals schon.
Seit Januar 2015 hat er die meisten Länderspielminuten aller Spieler, hat die linke Außenbahn sachlich bearbeitet. Nicht spektakulär, seriös. Der BWL-Student, der erst seit 2014 für den 1. FC Köln in der 1. Liga spielt, erzielte im März gegen Italien sein erstes Länderspieltor – und es war absehbar, dass er bei der EM spielen würde. Löw hatte sonst keinen Linksverteidiger nominiert.
Hector wechselte erst im Sommer 2010 vom damaligen Oberligisten SV Auersmacher
Jonas Hector (links, grünes Trikot) im Jahr 2010. Da spielte er noch in der Oberliga für Auersmacher – hier gegen Hasborn. Foto: Hartung
zur U21 des 1. FC Köln. Als 19Jähriger. Ohne jemals Jugendnationalspieler gewesen zu sein, ohne jemals ein Nachwuchsleistungszentrum von innen gesehen zu haben. Für seinen damaligen Trainer Jörn Birster einer der wichtigsten Schlüssel für seinen Erfolg: „Heute wollen viele Eltern ihre Kinder bereits mit 15 zu einem weit entfernten Nachwuchsleistungszentrum schicken.“Die Talente verlieren ihr soziales Umfeld, sind auf sich allein gestellt. „Das ist oft nicht der richtige Weg zum Erfolg“, sagt Birster. Und: „Jonas war mit 20 Jahren ein fester Bestandteil der Auersmacher Fastnacht, absolvierte beim SVA ein Soziales Jahr, hat Abi gemacht. Er ist normal sozialisiert, das kommt ihm jetzt zugute.“
Natürlich auch sein Talent, Traineranweisungen perfekt umzusetzen. „Egal, was ich ihm sagte“, erinnert sich Birster, „Jonas setzte es perfekt um: Er ist eine Freude für jeden Trainer.“Hector weiß seinen Werdegang zu schätzen: „Wenn man so lange an einem Ort gelebt hat, hat man Freundschaften aufgebaut, die nicht oberflächlich sind. Ich habe das normale Leben genossen, so wie man es kennt in der Gegend. Das will ich nicht missen.“
18 Tage nach dem Interview läuteten um Mitternacht die Glocken in Auersmacher. Es glich ja auch fast einer himmlischen Fügung, dass Hector 20 Minuten zuvor zum Heiland der deutschen Fußballwelt empor- stieg. Der bescheidene Junge aus Auersmacher war es, der das Italien-Trauma der deutschen Fußballgemeinde am vergangenen Samstag austrieb, der den entscheidenden Elfmeter im Viertelfinalspiel gegen die Squadra Azzurra reinschoss. Noch nie zuvor konnte Deutschland bei einem Turnier gegen Italien gewinnen. Und nun hatte Hector „den Deckel druff gemacht“, wie sein Vater Erhard kurz nach dem Spiel sagte. Er hat Geschichte geschrieben.
Seither wird für Jonas nichts mehr so sein, wie es war: Eine Saarbrücker Disco verspricht ihm Freibier auf Lebenszeit. Die „Universität des Saarlandes“benannte sich kurz in „Univer- sität des Hectorlandes“um. „Jonas Hector ist für Deutschland ein gutes Omen“, sagte Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, will ihn am 15. Juli persönlich empfangen. Der Stolz ist groß. Das Saarland hat seit 20 Jahren keinen Nationalspieler bei einer WM oder EM dabei gehabt. Der letzte war Stefan Kuntz 1996. Er wurde Europameister.
Inzwischen kann sich auch Thomas Hackbarth vor Interviewanfragen für Hector nicht mehr retten. Gestern saß Jonas mit den Kollegen der „Süddeutschen Zeitung“zusammen. Die große Welt. Dabei will er einfach nur Fußball spielen. Mit den Besten der Welt.