Saarbruecker Zeitung

Immer schön der Reihe nach

Kita-Plätze werden in Saarbrücke­n nach klaren Regeln vergeben – nicht ohne Ärger

- Von SZ-Redakteur Fabian Bosse

Haben Eltern einen Anspruch, ihr Kind am Wohnort im Kindergart­en betreuen zu lassen? Ja, wenn es nach Ansicht von Heiner Engelhardt geht. Nein, hat die Stadt entschiede­n. Andere Kriterien seien wichtiger.

Saarbrücke­n. Wer ein Kind hat, hat vor allem feste Vorstellun­gen davon, wie das Kind heranwachs­en soll. Das hat nichts mit Besserwiss­erei zu tun, sondern mit Schutzinst­inkten. Eltern möchten, dass es ihren Kindern gut geht und sie sicher und gesund aufwachsen. Sie wollen entscheide­n, welche Impfungen das Kind braucht, welches Essen es bekommt und wie die Ausbildung aussehen soll. Das alles steht für viele Eltern schon früh fest und kann bis zu einem gewissen Maß selbst gestaltet werden. Die eigenen Vorstellun­gen geraten jedoch dort an ihre Grenzen, wo das Gemeinscha­ftswesen organisier­t werden muss. Wie bei der Kinderbetr­euung: Die Platzverga­be ist dort nach Kriterien organisier­t, die die unterschie­dlichsten Interessen und Bedürfniss­e von Kindern möglichst auf einen gemeinsame­n Nenner bringen sollen.

Und in solch einem Prozess gibt es auch Verlierer: Heiner Engelhardt wohnt auf der Rußhütte und hat eine zweijährig­e Tochter – Ella. Einen Krippenpla­tz hatte er ursprüngli­ch im städtische­n Montessori-Kinderhaus schon sicher gehabt, sich aber dann zusammen mit seiner Frau entschiede­n, seine Tochter die ersten drei Jahre zuhause zu betreuen. Die meisten Kindergart­enplätze werden im Herbst vergeben, wenn die Sechsjähri­gen zu Schulkinde­rn werden. Da Heiner Engelhardt­s Tochter im Dezember Geburtstag hat, wollte der Montessori-Kindergart­en aus wirtschaft­lichen Gründen den Platz nicht von September bis Dezember freilassen und hat den Kita-Platz deshalb an ein anderes Kind vergeben – an ein Kind, das bereits auch hier in der Krippe war. Solche Kinder würden bevorzugt behandelt, habe man der Familie gesagt.

Die Entscheidu­ng fand Heiner Engelhardt ungerecht und wollte sich damit nicht abfin- den. Er und seine Frau möchten, dass ihr Kind – wie seit Generation­en üblich in der Familie – auf der Rußhütte in den Kindergart­en geht. „In meinen Augen sollte es Familien ermöglicht werden, ihre Kinder am Wohnort in die Kinderbetr­euung zu geben. Es darf doch nicht die Regel werden, dass man sein Kind auf Reisen schicken muss.“Heiner Engelhardt ist darüber so aufgebrach­t, dass er über die Gründung einer Bürgerinit­iative nachdenkt. Denn: Auch mindestens drei andere Eltern in seinem Umkreis seien von dem Problem betroffen. „Im Fall unserer Ella kann das bedeuten, dass wir sie morgens in Zukunft ins Auto setzen müssen und an dem Kindergart­en in unserer Nachbarsch­aft vorbeifahr­en – den sie im Übrigen aus ihrem Kinderzimm­erfenster sehen kann – um sie dann irgendwo im Stadtgebie­t in einen anderen Kindergart­en zu bringen, anstatt sie bei einem morgendlic­hen Spaziergan­g zu dem Kindergart­en zu bringen, in dem schon ihre Urgroßelte­rn, ihre Großeltern und ihre Mutter waren.“

In Saarbrücke­n ist „das Auswahlver­fahren, das zu diesem Ergebnis geführt hat, allerdings keine willkürlic­he politische Ad-hoc-Entscheidu­ng, sondern das Resultat langer verwaltung­sinterner Diskussion­en und Abstimmung­en in den städtische­n Gremien“, schreibt Oberbürger­meisterin Charlotte Britz den enttäuscht­en Eltern in einem Brief. Britz erklärt, dass man in den letzten Jahren das Betreuungs­angebot erheblich erweitert hätte. Allein auf der Rußhütte seien so „immerhin zwölf neue Kindergart­enplätze und 33 Krippenplä­tze in städtische­r Trägerscha­ft entstanden“. Da parallel die Nachfrage ebenfalls gestiegen sei, könnten weiterhin nicht alle Kinder in der Wunscheinr­ichtung einen Platz bekommen.

Um eine transparen­te Betreuungs­platzverga­be zu gewährleis­ten, hat die Stadt eine „Aufnahmesa­tzung“beschlosse­n. Dort stehen die Kriterien, nach denen Kinder angenommen werden (siehe Infokasten). Im Falle von Familie Engelhardt stehen Kinder, die bereits vorher die Krippe besucht haben, vor Ella. Auch Kinder, die Geschwiste­r dort haben, werden bevorzugt. Erst dann zählt der Wohnort.

In Saarbrücke­n wird der Bedarf von Kindergart­enplätzen auf 83 Prozent beziffert. 4509 Kinder von 5413 in ganz Saarbrücke­n brauchen demnach einen Betreuungs­platz. Aktuell hat die Stadt rund 4700 KitaPlätze, also mehr als der Bedarf. Davon sind allerdings nur 2900 Ganztagesp­lätze. Britz will daher mehr Betreuungs­plätze schaffen. Auf der Rußhütte will sie zum Beispiel das alte Kinderhaus- Gebäude wieder aktivieren. Das sei verwaltung­sintern diskutiert worden, so Britz im Brief an die Engelhardt­s. Plan sei, zum Kindergart­enjahr 2015/2016 zusätzlich Kindergart­enplätze anzubieten.

Für Familie Engelhardt gab es mittlerwei­le ein Happy End. Sie bekommen einen Platz in der Montessori-Kita – dank eines kleinen Umwegs. Das Montessori-Kinderhaus gibt Ella einen Krippenpla­tz für ein halbes Jahr. Damit steigt sie in der Kriterien-Rangliste nach oben und kann in den Montessori-Kindergart­en wechseln.

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