Immer schön der Reihe nach
Kita-Plätze werden in Saarbrücken nach klaren Regeln vergeben – nicht ohne Ärger
Haben Eltern einen Anspruch, ihr Kind am Wohnort im Kindergarten betreuen zu lassen? Ja, wenn es nach Ansicht von Heiner Engelhardt geht. Nein, hat die Stadt entschieden. Andere Kriterien seien wichtiger.
Saarbrücken. Wer ein Kind hat, hat vor allem feste Vorstellungen davon, wie das Kind heranwachsen soll. Das hat nichts mit Besserwisserei zu tun, sondern mit Schutzinstinkten. Eltern möchten, dass es ihren Kindern gut geht und sie sicher und gesund aufwachsen. Sie wollen entscheiden, welche Impfungen das Kind braucht, welches Essen es bekommt und wie die Ausbildung aussehen soll. Das alles steht für viele Eltern schon früh fest und kann bis zu einem gewissen Maß selbst gestaltet werden. Die eigenen Vorstellungen geraten jedoch dort an ihre Grenzen, wo das Gemeinschaftswesen organisiert werden muss. Wie bei der Kinderbetreuung: Die Platzvergabe ist dort nach Kriterien organisiert, die die unterschiedlichsten Interessen und Bedürfnisse von Kindern möglichst auf einen gemeinsamen Nenner bringen sollen.
Und in solch einem Prozess gibt es auch Verlierer: Heiner Engelhardt wohnt auf der Rußhütte und hat eine zweijährige Tochter – Ella. Einen Krippenplatz hatte er ursprünglich im städtischen Montessori-Kinderhaus schon sicher gehabt, sich aber dann zusammen mit seiner Frau entschieden, seine Tochter die ersten drei Jahre zuhause zu betreuen. Die meisten Kindergartenplätze werden im Herbst vergeben, wenn die Sechsjährigen zu Schulkindern werden. Da Heiner Engelhardts Tochter im Dezember Geburtstag hat, wollte der Montessori-Kindergarten aus wirtschaftlichen Gründen den Platz nicht von September bis Dezember freilassen und hat den Kita-Platz deshalb an ein anderes Kind vergeben – an ein Kind, das bereits auch hier in der Krippe war. Solche Kinder würden bevorzugt behandelt, habe man der Familie gesagt.
Die Entscheidung fand Heiner Engelhardt ungerecht und wollte sich damit nicht abfin- den. Er und seine Frau möchten, dass ihr Kind – wie seit Generationen üblich in der Familie – auf der Rußhütte in den Kindergarten geht. „In meinen Augen sollte es Familien ermöglicht werden, ihre Kinder am Wohnort in die Kinderbetreuung zu geben. Es darf doch nicht die Regel werden, dass man sein Kind auf Reisen schicken muss.“Heiner Engelhardt ist darüber so aufgebracht, dass er über die Gründung einer Bürgerinitiative nachdenkt. Denn: Auch mindestens drei andere Eltern in seinem Umkreis seien von dem Problem betroffen. „Im Fall unserer Ella kann das bedeuten, dass wir sie morgens in Zukunft ins Auto setzen müssen und an dem Kindergarten in unserer Nachbarschaft vorbeifahren – den sie im Übrigen aus ihrem Kinderzimmerfenster sehen kann – um sie dann irgendwo im Stadtgebiet in einen anderen Kindergarten zu bringen, anstatt sie bei einem morgendlichen Spaziergang zu dem Kindergarten zu bringen, in dem schon ihre Urgroßeltern, ihre Großeltern und ihre Mutter waren.“
In Saarbrücken ist „das Auswahlverfahren, das zu diesem Ergebnis geführt hat, allerdings keine willkürliche politische Ad-hoc-Entscheidung, sondern das Resultat langer verwaltungsinterner Diskussionen und Abstimmungen in den städtischen Gremien“, schreibt Oberbürgermeisterin Charlotte Britz den enttäuschten Eltern in einem Brief. Britz erklärt, dass man in den letzten Jahren das Betreuungsangebot erheblich erweitert hätte. Allein auf der Rußhütte seien so „immerhin zwölf neue Kindergartenplätze und 33 Krippenplätze in städtischer Trägerschaft entstanden“. Da parallel die Nachfrage ebenfalls gestiegen sei, könnten weiterhin nicht alle Kinder in der Wunscheinrichtung einen Platz bekommen.
Um eine transparente Betreuungsplatzvergabe zu gewährleisten, hat die Stadt eine „Aufnahmesatzung“beschlossen. Dort stehen die Kriterien, nach denen Kinder angenommen werden (siehe Infokasten). Im Falle von Familie Engelhardt stehen Kinder, die bereits vorher die Krippe besucht haben, vor Ella. Auch Kinder, die Geschwister dort haben, werden bevorzugt. Erst dann zählt der Wohnort.
In Saarbrücken wird der Bedarf von Kindergartenplätzen auf 83 Prozent beziffert. 4509 Kinder von 5413 in ganz Saarbrücken brauchen demnach einen Betreuungsplatz. Aktuell hat die Stadt rund 4700 KitaPlätze, also mehr als der Bedarf. Davon sind allerdings nur 2900 Ganztagesplätze. Britz will daher mehr Betreuungsplätze schaffen. Auf der Rußhütte will sie zum Beispiel das alte Kinderhaus- Gebäude wieder aktivieren. Das sei verwaltungsintern diskutiert worden, so Britz im Brief an die Engelhardts. Plan sei, zum Kindergartenjahr 2015/2016 zusätzlich Kindergartenplätze anzubieten.
Für Familie Engelhardt gab es mittlerweile ein Happy End. Sie bekommen einen Platz in der Montessori-Kita – dank eines kleinen Umwegs. Das Montessori-Kinderhaus gibt Ella einen Krippenplatz für ein halbes Jahr. Damit steigt sie in der Kriterien-Rangliste nach oben und kann in den Montessori-Kindergarten wechseln.