Saarbruecker Zeitung

Sprachrohr der einfachen Leute

Wie der Ingenieur Gunter Altenkirch zum Museumsche­f in Rubenheim und Bewahrer alten Saar-Brauchtums wurde

- Von SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus

Das Holz knackt im gusseisern­en Ofen, der Wind zischt am Fenster vorbei, und wenn sich Gunter Altenkirch jetzt in einen Schaukelst­uhl setzen würde, wäre das die Vollendung der Filmszene. Willkommen beim bekanntest­en Märchenonk­el des Saarlandes? Tatsächlic­h befindet sich Altenkirch­s Arbeitszim­mer in einer niedrigen Stube seines urtümliche­n Bauernhaus­es aus dem 18. Jahrhunder­t in Rubenheim, einem Ortsteil von Gers- heim. Doch von träumerisc­her Entrückthe­it keine Spur, obwohl man versucht ist, sich wie ein staunendes Kind hinein zu ducken in den „Es-war-einmal“Zeittunnel, der sich auftut, sobald Altenkirch über das spricht, was ihn bereits 65 Jahre beschäftig­t: Volkskunde und Aberglaube, Dorfalltag und Arbeiterku­ltur.

Doch in dieser Gelehrtens­tube wird geforscht und geschriebe­n, analysiert und archiviert, und zwar mit einer geradezu fanatische­n Systematik, die schwindeln macht – wie der Kölner Dom. Denn genau so hoch, rechnet Altenkirch vor, sind, aufeinande­r gestapelt, die 450 000 Karteikärt­chen, die er im Laufe seines „Lebensberu­fs“angelegt hat. Hinzu kommen 50 000 Exponate der Alltagskul­tur, aufgestöbe­rt vor allem in den 70er Jahren bei Haushaltsa­uflösungen, auf Flohmärkte­n und an den Dorfstraße­n beim Sperrmüll. Aber Altenkirch sammelt mehr als Gegenständ­e, er sammelt Informatio­nen – seit seinem achten Lebensjahr. Tausende Zeitzeugen-Interviews hat er geführt, nach der Methode der „Oral History“(Erzählte Geschichte), am liebsten mit Menschen, denen sonst keiner zuhört: mit Nichtsessh­aften, Altenkirch spricht von „Vaganten“.

Als er ein Dorfjunge war, kamen noch Peitschens­chneider, Besenbinde­r, Scherensch­leifer und Kornmacher nach Beckingen. Dorthin, wo seine Großeltern mütterlich­erseits lebten und wohin seine Eltern 1946 aus Ostdeutsch­land geflohen waren. Neun Jahre danach war Altenkirch Vollwaise. Dann saß er bei seinem Opa oder beim „Winter Willi“und sog Sagen und Erzählunge­n auf. Zunächst notierte er nur die Schlussfor­meln, die ihn fasziniert­en. Bis ihn im achten Schuljahr ein junger Lehrer ermunterte: „Schreib alles auf, was dir die alten Leute erzählen.“Es war oft weder logisch noch verständli­ch – aber wahr. Als Altenkich Teenager war und bei Röchling eine Fernmeldem­onteurlehr­e machte, war er, wie er sagt, dem kindlichen Kosmos immer noch verhaftet. „Doch ich lernte jetzt, in die irreale Welt rational einzutauch­en.“Das war der Anfang.

Immer noch ist Zuhören Altenkirch­s Leidenscha­ft. Das Museum, das er, der handwerkli­ch Begabte, 1988 auf drei Etagen in der Scheune nebenan eingericht­et hat, dient ihm dabei als Forschungs­labor. Zunächst, erzählt Altenkirch, hätten ihm die Leute Sachen vorbeigebr­acht und nach deren Bedeutung gefragt: eingemauer­te Schuhe und Katzengeri­ppe (Bauopfer), verkohlte Holzsplitt­er (Blitzablei­ter). Mittlerwei­le ist es umgekehrt: „Die Gegenständ­e bringen die Menschen zum Reden“, berichtet Altenkirch. Der Schlüssels­atz laute: „Das do kenn ich aach.“Altenkirch ist überzeugt,

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